Immer wieder erscheinen anklagende Berichte darüber, wie schlecht wir Ärzte telefonisch erreichbar seien. Und ja, da ist was dran – aber kommt doch mal in meiner Praxis vorbei und macht es besser, liebe Reporter.
Ich find es immer wieder bemerkenswert, wie sehr einige Journalisten sich in unsere Arbeit einmischen wollen. Nachzulesen zum Beispiel hier und hier. Ich wünschte, dass Reporter nicht ÜBER, sondern zur Abwechslung mal MIT uns reden und einfach mal einen Tag vorbeikommen. Gerade jetzt in der Infektsaison. Denn das Problem ist: Ja, eine gute telefonische Erreichbarkeit von Praxen ist essenziell – aber wie sollen wir das noch leisten?
Ich habe dieses Jahr in den ersten zwei Monaten über 2.100 Patienten in der Praxis gehabt, viele davon mehrfach. Wie soll ich da eine telefonische Erreichbarkeit gewährleisten? Ich hab an der Anmeldung statt einer MFA inzwischen schon zwei – aber letztlich ist manchmal auch einfach die Anzahl an Telefonleitungen der limitierende Faktor! Und dieses Telefon ging wirklich in einer Tour – zusätzlich zu den Patienten, die persönlich in die Praxis kommen und auch versorgt werden wollen.
Wir haben deswegen jetzt eine Telefonanlage, die Anrufe verschriftlicht, nach Kategorien sortiert und den MFA auf ihrem Monitor anzeigt. Wenn jemand „Brustschmerz“ oder „Luftnot“ sagt, wird automatisch ein rotes AKUT-Schild dazugepackt. Ansonsten können die Patienten selbst angeben, ob es um Rezeptwünsche, Termine oder Rückrufe geht.
Sie können auch durchgestellt werden, aber ja, dafür müssen sie erst bis zum 5. Punkt abwarten, weil sich sonst einfach alle durchstellen lassen. Das ist immer noch nicht perfekt. Manchmal klappt die Verschriftlichung nicht so, wie man sich das wünscht. Dann kann man den Originaltext auch abhören. Trotzdem ist es eine massive Erleichterung, weil nicht die ganze Zeit das Telefon geht. Die MFA können aus verschiedenen Zimmern die Liste abarbeiten, wenn dafür Zeit ist. Man kann SMS oder E-Mails verschicken, um dem Patienten kurz Rückmeldung zu geben, wenn eine Laborkontrolle fällig ist, die Krankenkassenkarte fehlt oder ein Medikament abgeholt werden kann. Wenn es um Termine geht, rufen wir zurück.
Außerhalb von Corona- oder Grippeimpfterminen finde ich die Online-Terminvergabe schwierig, weil dann auch häufiger Termine platzen oder Patienten Termine für Dinge vereinbaren, die weder indiziert noch möglich sind. Stichwort Gesundheits-Check-up – der geht halt nur alle 3 Jahre bei der KV.
Viele Patienten finden unsere Telefonanlage super, andere stören sich daran. Aber eine Lösung, wie man mit der stetig wachsenden Menge an Anrufen klarkommen soll, hat auch niemand. Denn letztlich ist diese Erreichbarkeit in der Patienten-Quartalspauschale mit drin bzw. die Berechnung einer separaten Ziffer schließt sich mit der Quartalspauschale aus. Das heißt: Wenn Frau Müller pro Quartal drei-,viermal anruft und ihre 8 verschiedenen Medikamente einzeln bestellt (und natürlich noch die obligatorische Diskussion um das Kreuzchen bei Aut-idem sein muss, weil sie sonst dauernd andere Generika geliefert bekommt und sie das verwirrt), ist das alles in der Pauschale enthalten. Diese Pauschale beträgt – sofern Frau Müller auch mal persönlich in die Praxis kommt, mit Zuschlägen etc. – für eine über 70-Jährige etwa 70 Euro. Für 3 Monate. Davon zahle ich dann die MFA-Löhne, die Telefonanlage, die Miete und so weiter.
Und ganz ehrlich: Gerade bei älteren Patienten ist man ja nicht in einer Minute pro Telefonat fertig. Also rechnen wir mal mit 1 Euro Entlohnung für 2–3 Minuten telefonieren. Da hab ich ja nicht mal meine Kosten raus! Vom Thema E-Mail rede ich hier noch nicht mal. Viele Patienten möchten „mal eben“ ihre Laborwerte per Mail. Aber Mails müssen verschlüsselt werden. Das kostet jede Menge Zeit und wird schlichtweg gar nicht vergütet – deswegen verschicken wir keine Befunde per Mail. Ist nicht komfortabel für die Patienten, aber dazu hab ich gerade echt keine Ressourcen.
Was die Terminvergabe angeht: Wie gesagt, rufen wir für Termine zurück. Man bekommt die Termine je nach Art unterschiedlich schnell: Für Check-Ups sind wir bei ca. 4–6 Wochen. Kürzere Gesprächstermine bekommen wir beim Wunscharzt normalerweise innerhalb von 1–2 Wochen unter. Für dringende Kontrollen gibt es Extra-Zeitfenster, das klappt normalerweise binnen 3 Tagen.
Und wenn es wirklich brennt, haben wir jeden Tag eine Akutsprechstunde. In der kann man sich zwar den Arzt nicht aussuchen, aber es ist auf jeden Fall Hilfe da. Das ist für mich der bisher beste Kompromiss, um sowohl den akuten Patienten gerecht zu werden – Hausarztmedizin ist halt nur sehr begrenzt planbar – als auch möglichst die Termine einigermaßen zeitnah nach Wunsch anbieten zu können. Wie gesagt: nicht perfekt, aber die bislang für uns beste Lösung.
Das Hauptproblem ist meiner Meinung nach die Diskrepanz zwischen Menge, Komplexität und Anspruch der Patienten auf der einen und knappen Ressourcen auf der anderen Seite. Wie gesagt: Ich hätte gern mal einen der Reporter da, der sich unseren Alltag ansieht und mir dann ein funktionierendes Konzept liefert, wie man diese Patientenströme noch versorgen soll! Denn Lösungsvorschläge fehlen in diesen Artikeln gern.
Letztlich „helfen“ sich die meisten Kollegen dann mit Überweisungen zu anderen Ärzten – das braucht weniger Zeit – und Abblocken. Und dann schimpfen alle auf die schlechte Terminsituation.
Meine Antwort darauf ist und bleibt: Ein funktionierendes Primärarztsystem würde die Fachärzte entlasten, wenn jeder auf seiner Ebenen den Job macht. Und zum Argument „Das können die älteren Patienten ja nicht“: meines Wissens schaffen es die Patienten in anderen Ländern, z. B. Skandinavien, schon. Also ist das dann eher nicht das Problem der Ärzte, sondern das Problem, die digitale Kompetenz der (älteren?) Bevölkerung zu stärken. Und nein, dieses Problem ist kein medizinisches, was ich als Ärztin lösen kann und muss.
Wie gesagt: Am Ende ganz einfach: Redet MIT uns – und schimpft nicht nur ÜBER uns. Alle versuchen, einen guten Job zu machen. Konkrete, umsetzbare Vorschläge wären dabei eine Hilfe – Berichte über Missstände, die weiter für Frust sorgen, ohne eine Lösung zu bieten, setzen uns emotional nur noch mehr zu.
Bildquelle: Pavan Trikutam, Unsplash