Wenn in der zellulären Müllabfuhr etwas schief läuft, kann es beispielsweise zu Kardiomyopathien oder Alzheimer kommen. Welche Rolle Sport bei der Entsorgung von Proteinen spielt und wie zukünftigen Therapien aussehen könnten.
Verschleiß tritt nicht nur in der Technik auf. Damit unser Körper reibungslos funktioniert, müssen beschädigte oder fehlerhafte Proteine kontinuierlich entsorgt und erneuert werden. Ein spezieller Prozess, Autophagie genannt, macht das möglich: Zellen bauen beschädigte oder überflüssige Proteine ab und recyceln sie. Zellbestandteile werden in spezialisierten Vesikeln, den Autophagosomen, eingeschlossen und anschließend in Lysosomen verdaut.
Doch welches Protein muss abgebaut werden? Proteine wie BAG3 (B-Zell-Lymphom 2-assoziierte Athanogene) trennen die Spreu vom Weizen. Sie erkennen irreparabel geschädigte Proteine, markieren sie und leiten sie in die „Recyclingstation“ innerhalb der Zelle um. Dort werden sie von einer Membran umhüllt, zerkleinert und in ihre Bausteine zerlegt, um erneut für den Zellstoffwechsel genutzt zu werden.
Chaperone, spezialisierte Helferproteine, unterstützen den Prozess, indem sie Proteine korrekt falten und sicherstellen, dass nur fehlerhafte Strukturen entsorgt werden. Dieses ausgeklügelte Prinzip ist essenziell für unsere Muskeln, Nerven und Organe.
Pannen beim Recycling von Proteinen können schwerwiegende Folgen haben. Wissenschaftler bringen Mutationen in BAG3-Genen mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung:
Damit wird klar, dass BAG3 eine Schlüsselrolle in Zellen spielt. Fragen blieben aber offen.
Jetzt haben Wissenschaftler der Universität Bonn, der Deutschen Sporthochschule Köln, der Universität Hildesheim und der Universität Freiburg eine womöglich bahnbrechende Entdeckung gemacht: Das Protein BAG3 wird nämlich durch mechanische Reize aktiviert. Dies geschieht nicht wie erwartet durch Phosphorylierung (also durch das Anhängen einer Phosphatgruppe), sondern durch Dephosphorylierung: ein selten beobachteter Mechanismus.
Die Forscher konnte nachweisen, dass Krafttraining direkt zur Aktivierung von BAG3 beiträgt. Mechanische Reize wie Muskelanspannung entfernen Phosphatgruppen von BAG3, wodurch das Protein aktiv wird und beschädigte Zellbestandteile effizient bindet. Die Müllabfuhr gibt Gas.
Doch was passiert, wenn unser Körper keine mechanischen Reize bekommt? Genau das fragen sich Forscher, denn bei Astronauten in Schwerelosigkeit und Intensivpatienten beobachten Ärzte einen drastischen Muskelabbau.
Da BAG3 eine Schlüsselrolle bei der Proteinentsorgung in Zellen spielt, könnte seine gezielte Aktivierung zur Entwicklung neuer Therapien für Muskelerkrankungen, Herzinsuffizienz und neurodegenerative Erkrankungen führen. Wissenschaftler untersuchen bereits, wie bestimmte Phosphatasen diesen Prozess regulieren und ob sie sich als Targets für Arzneistoffe eignen.
Prof. Maja Köhn, Chemikerin und Zellbiologin an der Universität Freiburg, betont: „Die Identifizierung der beteiligten Phosphatasen ist ein wichtiger Schritt. Das könnte uns ermöglichen, gezielte Wirkstoffe zu entwickeln, die die BAG3-Aktivierung im Körper steuern.“ Denkbar ist, kleine Moleküle (small molecules) zu entwickeln, die Phosphatasen spezifisch regulieren.
Auch bei künftigen Weltraummissionen könnte BAG3 eine entscheidende Rolle spielen. Astronauten verlieren in der Schwerelosigkeit schnell Muskelmasse, da mechanische Reize fehlen. Die Forscher vermuten aufgrund ihrer Beobachtungen, dass eine mangelnde Aktivierung von BAG3 dazu beiträgt. Ohne diesen Reiz bleibt der Reinigungsprozess aus, und Muskeln schrumpfen. Dem könnten maßgeschneiderte Arzneistoffe oder bessere Trainingsprogramme entgegenwirken.
Jetzt plant die Arbeitsgruppe Experimente auf der internationalen Raumstation ISS. Ihr Ziel: Wirkstoffe entwickeln, die BAG3 auch ohne Bewegung aktivieren – eine potenzielle Revolution für die Raumfahrtmedizin und für die Behandlung bettlägeriger Patienten. Damit steigen die Chancen für lange Raumfahrtmissionen, etwa zum Mars.
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