Wer viel sitzt, sollte sich und seinem Kreislauf durch stehende Tätigkeit einen Gefallen tun – so das erfolgreiche Marketing der Stehtisch-Industrie. Warum Ärzte vorsichtig sein sollten, ihren Patienten diesen Rat mitzugeben.
Ob Bürojob, Serienabend oder stundenlang im Auto – die Sitzzeiten der Deutschen nehmen von Jahr zu Jahr zu. Saßen Deutsche 2015 noch rund 7,5 Stunden am Tag, waren es 2023 bereits 9,2. Zumindest in Büros und im Privaten versucht man mit Steharbeitsplätzen und -tischen den negativen gesundheitlichen Auswirkungen entgegenzuarbeiten. Eine aktuelle Studie kommt nun zu dem ernüchternden Ergebnis: Das war ein Satz mit x.
Tatsache ist, dass stationäre Verhaltensweisen wie Sitzen und Stehen mit einem geringen Energieverbrauch verbunden sind und als potenzielle Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und frühzeitige Sterblichkeit gelten. Zwar wiesen bereits einige Studien darauf hin, dass weniger Sitzen und mehr Stehen positive Auswirkungen auf Stoffwechselmarker wie Cholesterinwerte haben könnte, allerdings fehlten eindeutige Belege für klinische Endpunkte wie Krankenhausaufenthalte aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Sterblichkeitsrisiken. Zudem basieren viele der bisherigen Studien auf Selbstauskünften, die anfällig für Verzerrungen sind, und differenzieren nicht zwischen orthostatischen Kreislauferkrankungen und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfällen oder koronarer Herzkrankheit. Auch könnten methodische Einschränkungen früherer Studien, insbesondere die unzureichende Differenzierung zwischen Sitzen und Stehen in tragbaren Messgeräten, zu verzerrten Ergebnissen geführt haben.
Um genauere Erkenntnisse zu gewinnen, analysierte die Studie eine große Stichprobe aus der UK Biobank mit objektiven Messungen von Körperhaltungen und körperlicher Aktivität mittels tragbarer Sensoren. 83.013 Erwachsene erhielten dazu ein am Handgelenk befestigtes Beschleunigungsmessgerät, das Sitz-, Steh- und Gehzeiten erfasste. Die Forscher berechneten das Risiko für orthostatische Kreislauferkrankungen und andere Herz-Kreislauf-Ereignisse in Abhängigkeit von der täglichen Dauer des Sitzens, Stehens und der gesamten stationären Zeit. Zu den orthostatischen Kreislauferkrankungen zählten orthostatische Hypotonie, Krampfadern, chronisch-venöse Insuffizienz und venöse Geschwüre. Neben Geschlecht, Alter und Lebensstilfaktoren wurden auch Faktoren wie Medikamenteneinnahme und familiäre Vorbelastung mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen berücksichtigt.
Während der Nachbeobachtungszeit von 6,9 Jahren traten 6.829 kardiovaskuläre Ereignisse und 2.042 orthostatische Kreislauferkrankungen auf. Bei einer Sitzdauer von mehr als 12 Stunden pro Tag war das Risiko für orthostatische Kreislauferkrankungen um eine durchschnittliche Hazard Ratio von 0,22 pro Stunde erhöht. Jede zusätzliche Stunde über 10 Stunden pro Tag im Sitzen war mit einem um 0,26 höheren Risiko verbunden. Stehen von mehr als 2 Stunden pro Tag war mit einem um 0,11 höheren Risiko für jede zusätzliche halbe Stunde pro Tag verbunden.
Die Forscher um Matthew Ahmadi et al. resümieren: „Die von uns beobachteten schädlichen Zusammenhänge zwischen der Zeit im Stehen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie orthostatischen Kreislauferkrankungen waren in erster Linie eine Folge der Zeit, die man im Sitzen verbrachte. Mehr Zeit im Stehen war nicht mit einem Herz-Kreislauf-Risiko verbunden, aber mit einem wesentlich höheren Risiko für orthostatische Kreislauferkrankungen. Insgesamt unterstützen unsere Ergebnisse klinische und öffentliche Gesundheitsstrategien zur Eindämmung übermäßiger Zeit im Stehen als wichtigen Risikofaktor für schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“
Auch wenn Stehen per se nicht mit einem erhöhten Inzidenzrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden war, wollten die Forscher verstanden wissen, dass „allein das Stehen möglicherweise keine ausreichende Strategie zur Senkung des Herz-Kreislauf-Risikos ist und zu einem höheren Risiko für Kreislauferkrankungen führen kann.“ Letztlich komme es auf die Bewegung und Muskelaktivität an. Klar positive Effekten unterstrich eine weitere Studie – diese seien mit 6 Minuten intensiver Aktivität, 30 Minuten mäßig-intensiver Aktivität (MVPA), 64 Minuten moderater Bewegung oder 163 Minuten leichter Bewegung pro Tag zu erreichen.
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