Generika verfügen über den gleichen Wirkstoff wie das Original, weichen aber in der Zusammensetzung der Trägerstoffe ab. So kommt es zu Unterschieden in der Wirksamkeit. Der Arzt weiß oft nicht, dass sein Patient in der Apotheke ein anderes Medikament bekommt.
„Ein Diabetes-Patient kommt zu mir in die Praxis und klagt über typische Symptome wie trockene Haut und Durst. Bei der Kontrolle stelle ich fest, dass der Blutzucker hoch ist, obwohl der Mann seit Jahren dasselbe Medikament von mir verschrieben bekommt“, sagt Uwe Denker, seit 1976 Hausarzt in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein. „Auf Nachfrage erfahre ich, dass seine Krankenkasse neuerdings ein anderes Medikament bezahlt. Es hat auch den Wirkstoff Metformin, ist aber ein Generikum mit einem anderen Namen. Und offenbar mit einer anderen Wirkung.“ So etwas stelle er häufig fest, sagt Denker, jedoch an wenigen Beispielen, so dass es nicht statistisch signifikant sei: „Aber die Aussage ist für mich wichtig. Man kann die Präparate nicht beliebig wechseln.“
Denker ist Hausarzt mit Leib und Seele. Nach der Pensionierung gründete er die Praxis ohne Grenzen, die Menschen ohne Krankenversicherung behandelt. Schon seit Jahren engagiert er sich mit Kollegen für die Medizin: „Wir Ärzte und Apotheker in Bad Segeberg haben uns früher regelmäßig getroffen und haben uns unterschiedliche Wirkstoffe angesehen“, sagt Susanne Zielke, Betreiberin der Kalkberg-Apotheke im Ort: „Wir haben uns die unterschiedlichen Bioverfügbarkeitskurven der einzelnen Wirkstoffe von unterschiedlichen Firmen angeschaut, zum Beispiel einmal von Hexal und einmal von Ratiopharm. Wir haben untersucht, wie der Wirkstoff überhaupt anflutet im Körper und was für den Arzt sinnvoll ist, zu verschreiben. Da haben wir gesehen, dass man die Mittel nicht einfach austauschen kann“, so Zielke. Sie hätten Listen zusammengestellt, aus denen hervorgegangen sei, warum einzelne Ärzte ein bestimmtes Medikament für besonders sinnvoll hielten.
Dem Hausarzt Uwe Denker fällt oft auf, dass Generika unterschiedlich wirken. Patienten haben plötzlich abweichende Werte, obwohl er nichts anderes verschrieben hat.
Dann kamen die Rabattverträge: Um die Kosten senken und berechnen zu können, schließen Krankenkassen Verträge mit einzelnen Herstellern, so dass deren Patienten nur die vertraglich vereinbarten Arzneien bekommen. Ist es nicht das Original, dann eines der Nachahmerpräparate. „Mit den Rabattverträgen war jede Bioverfügbarkeitskurve für uns hinfällig. Denn egal, ob wir uns die anschauen oder nicht, können wir doch nichts daran ändern, dass die Kasse uns mit ihrem Vertrag eine bestimmte Firma vorschreibt“, sagt Apothekerin Zielke. „Das entmündigt natürlich sowohl die Ärzte in ihrer Verschreibung als auch uns in unserer Beratungspflicht.“ Generika haben mittlerweile einen Marktanteil von mehr als 70 Prozent. Der Haken: Nachahmerpräparate dürfen, so schreibt es das Gesetz vor, bis zu 20 Prozent weniger und 25 Prozent stärker wirken als das Original. Dies bestimmt § 24b Abs. 2 Arzneimittelgesetz (AMG). Die Abweichung bezieht sich auf die Bioäquivalenz des Medikaments: „Das betreffende Arzneimittel muss die gleiche Zusammensetzung der Wirkstoffe nach Art und Menge und die gleiche Darreichungsform wie das Referenzarzneimittel aufweisen, und die Bioäquivalenz muss durch Bio-Verfügbarkeitsstudien nachgewiesen werden“, sagt Claudia Widmaier vom GKV-Spitzenverband (GKV-SV): „Das bedeutet, dass es keine Unterschiede im Gehalt des oder der Wirkstoffe zwischen Original und Generikum geben darf.“
Sabine Cibura, Sprecherin des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das für die Prüfung und Zulassung von Generika zuständig ist, ergänzt: „In Bezug auf den Wirkstoff ist zu bedenken, dass, sofern die Eigenschaften vergleichbar sind, zum Beispiel verschiedene Salze eingesetzt werden können. Die eingesetzte Menge an Wirkstoff bezogen auf den reinen Wirkstoff muss hierbei aber identisch sein.“ Wenn der Antragsteller des Generikums nachweisen könne, dass die beiden Arzneimittel bioäquivalent seien, dann seien die Unterschiede hinsichtlich der Zusammensetzung akzeptabel, so Cibura. Der Nachweis der Bioäquivalenz erfolge über eine so genanntes Doubletten-Verfahren. „Bei Studien, die in lebenden Organismen, hier im Menschen durchgeführt werden, kommt es unvermeidlich zu individuellen und interindividuellen Schwankungen“, sagt Widmaier. „Daher ist eine hundertprozentige Übereinstimmung nicht erreichbar. Für die Zulassung von Generika bestehen daher Grenzwerte für die zu bestimmenden Parameter.“ Details bestimme die Bioäquivalenz-Leitlinie von 1998. So weit, so deutlich. Doch der Teufel liegt im Detail: Ein neues Medikament durchläuft eine ganze Reihe umfangreicher Tests, bevor es zugelassen wird. „Mit abgelaufenem Patentschutz kommen vielfach preisgünstige Generika auf den Markt, mit einem deutlich vereinfachten Zulassungsverfahren“, sagt der Augenarzt Heino Hansen, der ebenfalls zur der Gruppe engagierter Bad Segeberger zählt. „Sie enthalten den gleichen Wirkstoff, oft jedoch mit anderen Begleitsubstanzen als das Original. So können die Verträglichkeit, die Verfügbarkeit und insbesondere die Wirksamkeit erheblich variieren.“ Diese Situation sei den Zulassungsbehörden und allen Beteiligten im Gesundheitssystem bekannt und bewußt, doch es gebe keine wissenschaftlich fundierte Übersicht über die unterschiedliche Wirksamkeit zwischen Original und seinen Generika, so der Facharzt. „Es scheint ein Phänomen zu sein, dass allgemein bekannt ist“, sagt auch Hausarzt Denker: „Aber keiner tut etwas dagegen. Für die Patienten ist es natürlich nicht gut.“
So sind Ärzte und Apotheker auf das Prinzip „try and error“ angewiesen, denn es gibt keine Referenz, auf die sie sich sicher verlassen können. Ein Generikum, das in seiner Bioäquivalenz vom Originalpräparat um plus 25 oder minus 20 Prozent abweicht, hat insgesamt eine Schwankungsbreite von 45 Prozent in der Wirksamkeit - fraglos nicht unerheblich für die Sicherheit der Patienten. „Wurde beispielsweise bei einem Augenpatienten unter einem Präparat ein Augeninnendruck auf 18 mm Hg einreguliert, so kann ein anderes Medikament den Druck auf 22 ansteigen oder auf 14 abfallen lassen“, sagt Hansen. „Der Druckanstieg würde eine deutliche Gefährdung des Sehvermögens provozieren.“ Ein Beispiel von vielen. „Die Zusammensetzung der einzelnen Begleitstoffe von Generika ist sehr unterschiedlich“, sagt auch Denker: „Das hat einen Einfluss auf die Freisetzung des Medikaments im Magen-Darm-Trakt.“ Bei einer Tablette mit einer schwer oder leicht löslichen Substanz werde der Wirkstoff zu einem anderen Zeitpunkt im Körper verfügbar, erklärt Apothekerin Zielke. Darum seien manche Medikamente nicht so leicht austauschbar, selbst wenn die Krankenkasse meine, dem wäre so: „Es kann sein, dass Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff eine andere Wirkung haben oder auch eine schwächere. Das mag damit zusammen hängen, dass der Wirkstoff verzögert freigesetzt wird und vielleicht auch nicht in der Konzentration, in der es nötig wäre. Er verliert dann einen Teil seiner Wirksamkeit“, sagt sie. Deswegen könne es zu einer anderen Verteilung kommen, selbst wenn die gleiche Menge Wirkstoff im Arzneimittel enthalten sei. „In der Zeit vor den Rabattverträgen gab es einige Medikamente, die man überhaupt gar nicht austauschen durfte“, so die Apothekerin, „zum Beispiel Herzmittel. Bei Schilddrüsenhormonen ist der Austausch auch heute nicht möglich.“ Wenn sich ein Patient einmal an ein Arzneimittel gewöhnt habe, sollte er auch dabei bleiben: „Daran sehen wir, dass es Unterschiede zu geben scheint. Da kann der Arzt nur sein Aut-idem-Kreuzchen machen, damit dem Patienten auch tatsächlich das gegeben wird, was er für sinnvoll hält.“
Mit dem Aut-idem-Kästchen auf jedem Rezept kann der Arzt ankreuzen und damit bestimmen, dass in der Apotheke genau das Medikament ausgegeben wird, das er für richtig hält. Damit umgeht er den Rabattvertrag der Krankenkasse und stellt sicher, dass sein Patient kein Generikum ausgehändigt bekommt. Dazu müsste er aber wissen, dass die Kasse möglicherweise durch einen geänderten Rabattvertrag das Arzneimittel gewechselt hat - was nicht der Fall ist: Wenn es dem Patienten nicht auffällt und er dem Arzt nicht Bescheid sagt, erfährt er es nicht. Wirkt das Medikament also nicht so, wie es soll, merkt das niemand - es sei denn, der Patient klagt über Symptome. Prophylaktisch das Aut-idem-Kästchen anzukreuzen ist auch keine Lösung: „Macht der Arzt dieses grundsätzlich, werden ihm die Kassen eine unwirtschaftliche Verordnungsweise vorwerfen und ihn gegebenenfalls mit seinem Privatvermögen in Regress nehmen“, sagt Ophtalmologe Hansen. Auch die Pharmazeuten kritisieren das derzeitige Verfahren. „Ursprünglich diente die Regelung der besseren Versorgung“, heißt es in der Pharmazeutischen Zeitung: „Im Not- oder Nachtdienst konnte der Apotheker dem Patienten mit einem Ersatzmittel direkt weiterhelfen. In heutiger Zeit ist der Austausch der Regelfall, das heißt nicht mehr Erlaubnis, sondern Verpflichtung zum Austausch.“ Diese sei aus pharmakologischer Sicht jedoch nicht sinnvoll: „Ob (...) Generika untereinander bioäquivalent sind, wird nicht geprüft. Die Abweichung zwischen Generika kann wesentlich größer sein als die Abweichung zum Originalpräparat.“ Dementsprechend sei es im Sinne der Arzneimittelsicherheit sinnvoll, wenn die zur Beurteilung der Bioäquivalenz notwendigen Parameter jedem Apotheker zur Verfügung stünden, heißt es: „Nur so kann entschieden werden, ob der Austausch aus Gründen fehlender Bioäquivalenz abzulehnen ist. Aus pharmakologischer Sicht besteht hier ein dringender Handlungsbedarf, um Schaden von den Patienten abzuwenden.“ Eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Ärzte können sich bei Medikamenten mit dem Aut-idem-Feld behelfen, wenn es ihnen besonders wichtig erscheint. Sie können ihre Patienten befragen, ob sie ein neues Mittel bekommen haben und ob sie Veränderungen spüren. Apotheker können Patienten auf mögliche Unterschiede des Präparats hinweisen. Besser noch wäre die elektronische Gesundheitskarte, auf der Arzt und Apotheker wüssten, was der andere tut. Doch ob und wann sie kommt, ist ungewiss.