Viele Kinder wollen später einmal Tierarzt werden. Doch muss ich deshalb regelmäßig Besitzergespräche über lautstarkes Jammern hinweg führen oder mit Elfjährigen über komplexe Diagnosen diskutieren? Meine Meinung zu Kindern in der Praxis.
In einem Beruf wie dem der Tierärztin wird man in der Freizeit übermäßig häufig mit der Kindheit konfrontiert: Sei es mit der eigenen („Wolltest du schon als Kind Tierärztin werden?“) oder der von anderen („Oh wie schön, als Kind wollte ich auch Tierärztin werden!“). In keinem anderen Job scheint es so wichtig zu sein, wie alt man war, als man zum ersten Mal diesen Berufswunsch verspürte. Kaum ein Beruf scheint mir so sehr romantisiert zu sein, wie der unsere. Nach dem harten Studium, der emotionalen Belastung oder den nach wie vor schwierigen Arbeitsbedingungen fragt natürlich kaum einer.
Nun scheint es für die Eltern – und gleichzeitigen Tierbesitzer – immer häufiger eine gute Idee zu sein, den Nachwuchs zum Tierarztbesuch mitzunehmen. Besonders während der Corona-Pandemie hatte man in manchen Kleintierpraxen das Gefühl, als Alternative zum Freizeitpark herhalten zu müssen. Aber wie damit umgehen? Den Besuch als Kompliment für unsere Arbeit sehen, die immer noch viele Kinderaugen zum Leuchten bringt – oder als zusätzlichen Stressor im ohnehin anstrengenden Arbeitsalltag?
Man muss sagen, es gibt Unterschiede zwischen den begleitenden Kindern! Ganz grob würde ich hier drei Gruppen unterteilen:
Die erste Gruppe ist mir persönlich eigentlich am liebsten. Diese Kinder sind meist neugierig und respektvoll. Sie gucken voller Ehrfurcht bei allem zu und manchmal trauen sie sich auch Fragen zu stellen, die ich natürlich gerne beantworte. Besonders bei Routine-Terminen wie Impfungen oder Kontrollen habe ich kein Problem damit, wenn die Kinder zu gucken. Allerdings achte ich immer darauf, dass sie nicht die Tiere oder meine Instrumente anfassen.
Unsere Patienten sind in aller Regel gestresst während der Untersuchung –wenn dann noch zusätzliche kleine Hände die Pfoten oder den Kopf anfassen, führt das häufig zu einem noch höheren Stresslevel beim Tier. Und das führt wiederum zu einem hohen Stresslevel bei mir. Denn wenn das Tier keinen Ausweg sieht, kann ich nicht garantieren, dass es nicht mal um sich haut oder schnappt – egal, wer gerade die Pfote oder die Rute angefasst hat.
Gruppe Nummer zwei ist da häufig anstrengender für alle Beteiligten: Die Kinder sind nur kurz interessiert und man merkt, dass sie eigentlich gerne wo anders wären. Sie langweilen sich schlicht. Oft kommt es dazu, dass man Besitzergespräche führt, während im Hintergrund inflationär häufig „Mamaaa“ (ja, auch hier noch sehr viel häufiger Mama als Papa) gerufen wird. Oder man sich vor dem dauernden Hintergrundgeräusches eines Handyspiels unterhält, je nach Alter des Kindes.
Aber dann gibt es noch andere Situationen, die ich meist nicht so souverän handhaben kann und die mich oft auch verzweifelt zurücklassen: Das sind die gelangweilten Kinder, die über Tisch und Bänke gehen. Und natürlich sind an dieser Situation nicht allein die Kinder schuld. Die Eltern haben ihren Zöglingen anscheinend nicht beigebracht, die Sachen anderer mit Respekt zu behandeln.
Neulich hatte ein Kind die Schubladen im Behandlungsraum schon fast komplett ausgeräumt, während ich in die Auskultation der lungenkranken Katze vertieft war. Zu Anfang der Konsultation mache ich meist direkt – sowohl Erwachsenen, als auch Kindern – auf freundliche Weise klar, wo mein Tanzbereich ist, und dass die Besitzer gern auf der anderen Seite des Behandlungstisches stehen dürfen. Aber was tun, wenn sich nicht daran gehalten wird?
Ein anderes Mal ist ein Kind immer um den Behandlungstisch im großen Kreis herumgerannt. Jedes Mal, wenn ich einen Schritt zurück machen wollte, musste ich quasi, wie beim Queren einer Kreuzung, nach links und rechts schauen. Die Mutter hat ständig lautstark versucht, ihr Kind unter Kontrolle zu bekommen. So etwas kratzt an den Nerven. Auch wenn die Mutter sich hinterher entschuldigt hat, habe ich ihr geraten, den Sohn das nächste Mal vielleicht doch anders betreuen zu lassen, wenn möglich.
Die dritte Gruppe ist auch ein schwieriger Fall. Die Eltern glauben, ihren Kindern etwas Gutes zu tun, indem sie sie in eine – meiner Meinung nach unangebrachte – Situation schicken. Es gibt Kinder, die versuchen, diese Situation mit Stolz und Selbstbewusstsein zu meistern, aber viele wirken doch eher überfordert. Wie auch nicht? Es geht ja teilweise um Leben und Tod, um es mal drastisch auszudrücken.
Besonders häufig sind diese Situationen bei unseren kleinen Heimtier-Patienten anzutreffen. Eigentlich verdienen Kaninchen, Meerschweinchen, Hamster und Co. noch einen eigenen Artikel, aber so viel muss ich jetzt schon loswerden: Kleine Heimtiere sind keine „Kinder-Tiere“! Diese Arten brauchen besonders viel Expertise in Sachen Haltung, Fütterung, Krankheiten und vieles mehr. Wenn nun also diese Tiere zum Tierarzt müssen, schicken leider die Eltern gern ihre Kinder mit dem Patienten alleine in das Sprechzimmer. Warum?
Gute Frage! Was man häufig hört als Erklärung, ist das Argument, die Kinder sollten doch lernen, Verantwortung zu übernehmen. Die Eltern nehmen sich ebenso gern selbst aus der Verantwortung mit der Begründung, dass sie sich sowieso nicht auskennen mit dem Haustier und die Kinder sich um Fütterung etc. kümmern würden. Allein bei solchen Gesprächen fällt es mir oft schwer, diese Eltern nicht allzu scharf anzugehen: Ein Tier ist ein Lebewesen, egal wie klein es ist! Und ein Kind kann niemals allein sein Handeln und sein Wissen so einschätzen, dass es komplett die Verantwortung für ein Haustier übernehmen sollte!
Ganz nebenbei müssen während der Behandlung ja auch Entscheidungen getroffen werden, die ein Kind noch gar nicht einsehen kann. Die Kosten zum Beispiel. Ich erinnere mich, dass einmal zwei Mädchen mit ihren Meerschweinchen im Behandlungsraum standen, und auch nach Aufforderung wollte die Mutter nicht mit hereinkommen. Erst als ich persönlich nach vorne in das Sprechzimmer gelaufen bin, um ihr mitzuteilen, dass meine Verdachtsdiagnose eine Hautpilzerkrankung sei, die eine potentielle Zoonose darstellt, ist sie munter geworden. Ich habe ihr dann gesagt, was wir an Diagnostik einleiten werden, um den Verdacht zu verifizieren und was das kostet. Da wollte sie kurz eine Diskussion beginnen, die aber schnell geklärt werden konnte. Wäre sie direkt – wie es unser Wunsch war – mit in die Behandlung gekommen, hätte ich das nicht mit einer Jugendlichen und einem Kind besprechen müssen.
Ja es gibt den sogenannten Taschengeldparagraphen (§110 BGB) und dieser gilt, anders als oft angenommen, nicht nur für „Taschengeld“-hohe Beträge. Aber sollte man die Kinder wirklich mit so einer Verantwortung allein stehen lassen? Selbst wenn sie 150 Euro von ihren Eltern in die Hand gedrückt bekommen haben. Ich weiß, dass es von vielen Menschen immer noch einen anderen, etwas pragmatischeren Blick auf Heimtiere gibt. Ich bin allerdings der Meinung, egal welche Art von Haustier man sich anlegt, ob Schwein oder Meerschwein, muss man sich seiner eigenen Verantwortung für das Tierwohl bewusst sein.
Aber vielleicht sehe ich das alles auch zu streng. Es mag Kollegen geben, die ein Kind im Behandlungsraum deutlich weniger stresst. Oder andere Kollegen, die vielleicht Kindern in ihrer Praxis schon komplett den Zutritt verboten haben, aufgrund ihrer Erfahrungen.
Doch brauchen wir nicht auch die kleinen neugierigen Kinder, die den Berufswunsch Tierarzt nicht aufgeben wollen, besonders in der Zukunft vermehrt?
Bildquelle: Power Lai, Unsplash