Die Entschlüsselung des menschlichen Proteoms kommt voran: Forscher haben jetzt mehr als 18.000 Proteine im menschlichen Körper kartiert – 92 Prozent des gesamten Proteoms. Die Arbeit liefert außerdem Erkenntnisse über das Zusammenspiel von DNA, RNA und Proteinen.
Mit über 18.000 Eiweißstoffen haben TUM-Forscher einen nahezu vollständigen Proteinkatalog des Menschen erstellt und in der frei verfügbaren Datenbank ProteomicsDB hinterlegt. Sie enthält zum Beispiel Daten zur Art, Verteilung und Menge von Proteinen in verschiedenen Zell- und Gewebetypen sowie Körperflüssigkeiten. Die Untersuchungen zeigen, dass einerseits etwa 10.000 Proteine in vielen Zellen und Organen vorkommen, um deren alltägliches Leben zu organisieren. Andererseits ist das Proteinmuster eines jeden Organs einzigartig und essentiell für seine Funktion. Technisch möglich wurde das Projekt durch die Kombination zweier Hochleistungstechnologien – der Massenspektrometrie und des In-Memory Computing.
Wie wird aus einem Gen ein Protein? Dazu wird der DNA-Bauplan in mehreren Schritten als RNA-Kopie ausgelesen. Diese mRNA dient dann als Vorlage für die Herstellung eines Proteins. In der Studie haben die Wissenschaftler jetzt gezeigt, dass jede mRNA eine definierte Anzahl an Proteinkopien vorgibt. Dieser „Kopierschlüssel“ ist für jedes Protein spezifisch. „Offensichtlich kennt jedes mRNA-Molekül die Stückzahl für sein Protein – und weiß, ob davon 10, 100 oder 1.000 Ausgaben zu produzieren sind“, erläutert Prof. Bernhard Küster, Leiter des TUM-Lehrstuhls für Proteomik und Bioanalytik. „Da wir dieses Verhältnis nun für sehr viele Proteine kennen, können wir in praktisch jedem Gewebe von der mRNA auf die Proteinmenge schließen – und umgekehrt.“
Zu ihrer großen Überraschung fanden die Forscher hunderte Proteinfragmente, die von DNA-Bereichen außerhalb heute bekannter Gene produziert werden. Diese neuen Proteine haben womöglich neuartige biologische Eigenschaften und Funktionen, deren Bedeutung aber noch unbekannt ist. Demgegenüber konnten die Wissenschaftler bislang etwa 2.000 Proteine, die laut Genkarte existieren sollten noch nicht auffinden. Eine Reihe dieser Proteine sind womöglich nur in der Embryonalentwicklung vorhanden. Offenbar sind viele bekannte Gene aber auch funktionslos geworden. Das trifft nach jetziger Erkenntnis vor allem auf Geruchsrezeptoren zu – ein Hinweis, dass für den modernen Menschen der Geruchssinn nicht mehr überlebenswichtig ist. „Vielleicht sehen wir der Evolution gerade bei der Arbeit zu“, sagt Küster „Unser Organismus deaktiviert überflüssige Gene – und testet an anderer Stelle neue Gen-Prototypen.“ Daher lässt sich vielleicht nie exakt sagen, wie viele menschliche Proteine es tatsächlich gibt.
Schon frühere Studien zeigten, dass bestimmte Proteinmuster die Wirksamkeit von Medikamenten vorhersagen können. In der aktuellen Arbeit nahmen die Wissenschaftler 24 Krebsmedikamente ins Visier, deren Wirksamkeit auf 35 Krebszelllinien klar mit deren Proteinprofilen in Zusammenhang stand. „Damit“, so Küster, „öffnet sich die Tür für eine individualisierte Behandlung von Patienten einen Spalt weiter. Mit Kenntnis des Proteinprofils eines Tumors könnten Medikamente zukünftig zielgerichteter eingesetzt werden. Die medizinische Forschung kann darüber hinaus neue Wirkstoffkombinationen erproben und die Therapie noch individueller auf die Bedürfnisse der Patienten ausrichten.“ Originalpublikation: Mass-spectrometry-based draft of the human proteome Bernhard Küster et al.; Nature, doi: 10.1038/nature13319, 2014