Ein neues Herz, eine neue Niere – und plötzlich auch eine neue Persönlichkeit? Manche Transplantationspatienten berichten nach ihrer OP von seltsamen Veränderungen. Eine Spurensuche.
Um Organtransplantationen ranken sich zahlreiche Mythen. Nun macht ein neues Organ die Patienten nicht zu anderen Menschen – aber es kann sie verändern. Weil es eine neue Lebensrealität schafft, weil Medikamente Einfluss haben und weil der Kopf oft mehr mitspielt als Betroffene denken. Wer eine Transplantation durchlebt, startet in ein neues Kapitel seines Lebens – und das hinterlässt eben Spuren, körperlich wie emotional.
Mehrfach haben Ärzte Persönlichkeitsveränderungen nach Organtransplantationen beobachtet. Dazu zählen neue Vorlieben, ungewohnte Emotionen oder sogar Charakterzüge, die vorher undenkbar gewesen wären.
So haben von 47 befragten Patienten 79 % angegeben, nach der OP und der Genesung nichts Auffälliges beobachtet zu haben. 15 % berichteten über Veränderungen – allerdings nicht wegen des Spenderorgans, sondern durch die belastenden Erfahrungen der lebensbedrohlichen Krankheit und der Wartezeit auf das Spenderorgan.
Spannend wird es bei den verbleibenden 6 %: Drei Patienten waren überzeugt, ihr neues Herz habe auch ihre Persönlichkeit beeinflusst. Sie berichteten, dass sie plötzlich andere Emotionen, Vorlieben oder Verhaltensweisen an sich bemerkten – als ob sie Teile der Identität des Spenders übernommen hätten.
Eine ältere Studie, ebenfalls auf der Grundlage von Befragungen, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. So erhielt ein neunjähriger Junge das Herz eines dreijährigen Mädchens, das ertrunken war – und entwickelte plötzlich eine extreme Angst vor Wasser, obwohl er nichts über die Todesursache seiner Spenderin wusste. Und ein Professor, der das Herz eines erschossenen Polizisten erhielt, berichtete von unerklärlichen Lichtblitzen und Hitzewellen im Gesicht.
Noch verblüffender: Eine Frau, die das Herz einer Vegetarierin erhielt, entwickelte eine Abneigung gegen Fleisch. Sogar Änderungen der sexuellen Orientierung wurden berichtet – ein homosexueller Mann fühlte sich nach der OP zu Frauen hingezogen, eine lesbische Empfängerin begann, Männer attraktiv zu finden.
Eine weitere Studie zeigt: Nicht nur Herzempfänger erleben vereinzelt Überraschendes. Laut Befragung von 47 Transplantationspatienten – darunter 23 Herztransplantierte und 24 Empfänger anderer Organe – gaben 89 % an, nach der Operation Veränderungen in ihrer Persönlichkeit bemerkt zu haben. Überraschend: Die Art der Veränderungen unterschied sich kaum zwischen den Gruppen mit unterschiedlicher Organtransplantation.
„Dieses Ergebnis stellt die bisherige Annahme infrage, dass speziell Herzempfänger von tiefgreifenden Persönlichkeitsänderungen betroffen sind“, schreiben die Autoren. „Vielmehr scheint es, dass solche Veränderungen generell nach einer Transplantation auftreten können.“ Die Ursachen seien jedoch unklar.
Fallberichte und Patientenbefragungen als Grundlage zeigen bekannte Schwächen. Assoziationen im Einzelfall werden als Kausalitäten betrachtet, was sie aller Wahrscheinlichkeit nicht sind. Oft bleibt es bei Anekdoten.
Doch was steckt wirklich dahinter? Wissenschaftler sehen den Grund von Veränderungen weniger in mysteriösen Zellgedächtnissen, sondern eher in psychischen Anpassungsprozessen: Eine Transplantation ist ein massiver Einschnitt ins Leben – körperlich und emotional. Dankbarkeit, Schuldgefühle gegenüber dem Spender oder die Freude über ein neues Leben beeinflussen oft, wie sich Patienten fühlen und verhalten. Hinzu kommen Effekte von Immunsuppressiva. Sie unterdrücken nicht nur das Immunsystem, sondern zeigen auch Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen oder Persönlichkeitsveränderungen.
Bildquelle: Nick Fancher, Unsplash