Robotik, 3D-Druck, KI – in der Orthopädie und Chirurgie tut sich aktuell so einiges. Welche Vor- und Nachteile die neuen Verfahren haben, ordnet unser Experte für euch ein.
Es gibt aktuelle Entwicklungen und Neuerungen zum Thema Hightech in der Orthopädie. Dazu haben wir mit einem international bekannten Experten im Bereich der computerassistierten Chirurgie, Prof. Dr. med. habil. Tobias Renkawitz, ein Gespräch geführt. Prof. Renkawitz ist Lehrstuhlinhaber der Klinik für Orthopädie der Universität Regensburg in Bad Abbach und Vizepräsident im Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU). Er nutzt seit 15 Jahren computerassistierte Systeme bei der Implantation von Endoprothesen, überwiegend an Kniegelenken, aber auch an Hüften.
Premiere feierte die navigierte Operation 1997. Grundtechnologie ist die Stereotaxie, bei der einem Computer räumliche Informationen zum Operationsgebiet mitgeteilt werden. Der Operateur wird bei seinen Operationsschritten unterstützt, führt aber in der Vorbereitung des Gelenks für das Einsetzen der Endoprothese alle Sägeschnitte am Knochen selbst aus. Im Navigationssystem wurden zuvor die Daten der Operationsplanung und die gewünschten Zielwerte unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Patienten eingegeben. Dazu gehören z. B. Beinachse, Bewegungsumfang und Spannungen von Bändern, Sehnen und Muskeln. Das Navigationssystem verfolgt den Operationsablauf und gibt dem Operateur Rückmeldung, ob er von der Planung abweicht. Eine Kontrolle durch den Computer erfolgt also immer erst nach einem Operationsschritt. Diese Systeme sind seit über 20 Jahren in orthopädischen Kliniken etabliert und wurden stetig verbessert.
Als moderne Weiterentwicklung und Evolution gilt die Robotik. Dabei wird der Operateur live und in Echtzeit durch einen robotischen Arm unterstützt. Zuvor werden dem System bei der virtuellen Operationsplanung die Ziele vorgegeben. Der Roboter als assistives System errechnet daraus ein 3D-Modell und liefert eine hohe Präzision, besonders bei den Sägeschnitten am Knochen für die optimale Positionierung der Implantate. Mithilfe der Motoren des Robotikarms können die Schnitte bis auf den Millimeter genau erfolgen und die Gelenkachse wird bis auf einen halben Grad korrekt eingestellt.
„Dabei ist die Technik nur das Mittel zum Zweck“, so die Kernbotschaft von Prof. Renkawitz, denn es geht um personalisierte Operationstechniken. Der Operateur muss sich bei jedem Patienten genau Gedanken machen, wie das Kunstimplantat ausgerichtet sein muss, damit er schnell schmerzfrei ist und für den Alltag den vollen Funktionsumfang erhält. „Die Technologie ermöglicht es, diesen Plan präzise umzusetzen. Nur mit dem Roboter kann man sehr präzise operieren. Gleichzeitig kann man aber auch, wenn man nicht die richtige Operationstechnik auswählt, sozusagen präzise schlecht operieren“, so Renkawitz weiter. Deshalb müssen die Operateure in der richtigen Operationstechnik gut ausgebildet sein und auch an computerassistierten Systemen intensiv geschult werden.
Die Investition in einen OP-Roboter sei für den Krankenhausträger übrigens nicht erlössteigernd. Die Operationen dauern etwas länger als ohne den Einsatz computerassistierter Systeme. Zeit, die nach Meinung von Prof. Renkawitz aber gut investiert ist, denn nach seiner Grundüberzeugung sollte man beim Thema Patientensicherheit und Patientennutzen keine Kompromisse machen. Patienten profitieren mit computerassistierter Technologie von besseren Ergebnissen, weil man jeden Tag genau und präzise arbeiten kann und nicht die Tagesform des Operateurs entscheidend ist. Denn Patienten haben das Kunstgelenk in der Regel ihr ganzes Leben und spüren ein fehlpositioniertes Implantat buchstäblich bei jedem Schritt.
Zur Individualisierung hat auch die Materialwissenschaft bei der Weiterentwicklung des Werkstoffs Polyethylen (PE) beigetragen. Aus diesem Material bestehen die Kunststoff-Implantate der Pfanneneinsätze bei Hüftprothesen sowie die Gelenkpartner zwischen den Metall-Implantaten von Ober- und Unterschenkel bei Knie-Endoprothesen. Da sie ständig bewegt werden, musste früher die Gelenkachse besonders bei künstlichen Kniegelenken gerade eingestellt werden, damit der Abrieb des PE gering war.
Heutzutage wird PE verwendet, das auf molekularer Ebene mit verschiedenen Techniken und Technologien verändert wurde, um den Kunststoff noch härter zu machen. Seine Alterung wird beispielsweise durch Einbau von Vitamin E reduziert. Beim modernen PE ist der Abrieb so minimiert, dass der Operateur noch individueller auf die Voraussetzungen beim Patienten eingehen kann. Nur wenige Menschen haben eine exakt gerade Beinachse, es überwiegen mehr oder weniger stark ausgeprägte O- und X-Beine. Der Einsatz des neuen PE erlaubt dem Operateur, die Beinachse eines künstlichen Kniegelenkes variabel nach den Bedürfnissen des Patienten entsprechend seinen Bandspannungen und seiner individuellen Anatomie einzustellen und nicht mehr nach den Erfordernissen des Werkstoffs. Das führt zu besseren Operationsergebnissen und längerer Haltbarkeit der Endoprothesen.
Ein Hightech-Verfahren, das jährlich einen hohen Zuwachs in der Orthopädie verzeichnet, ist der 3D-Druck. Er wird besonders beim individuellen Beckenteilersatz verwendet. Knöcherne Defekte am Becken entstehen durch Unfälle, Tumoren und mehrfache Pfannenwechsel, bei denen immer Knochen verloren geht, sodass weder Standard- noch Revisionsimplantate eingepasst werden können. In diesen Situationen wurde früher avitaler Knochen aus der Knochenbank vom Operateur so modelliert, bis er passte. Der Körper schaffte es aber nicht, diesen Fremdknochen zu durchbauen. Deshalb scheiterten diese Versuche oftmals. Mit den heute zur Verfügung stehenden 3D-Druckverfahren entsteht auf Grundlage von CT-Aufnahmen des Patienten ein Beckenteilersatz aus Titan, der mit Härteverfahren behandelt wird und in dessen Oberfläche der Umgebungsknochen einwachsen kann. „Der Anspruch ist nicht, diese riesigen Defekte biologisch zu rekonstruieren, sondern, dass man Stabilität erreicht und Patienten, die sonst immobil im Bett bleiben müssten, wieder mobil werden“, so Prof. Renkawitz.
In den letzten Jahren wurden immer mehr Apps für verschiedene medizinische Bereiche entwickelt, auch in der Orthopädie. Es gibt Trainingsprogramme, die bereits in der Vorbereitung auf eine Endoprothesen-Implantation von Patienten genutzt werden können und sollten. Wissenschaftliche Auswertungen bestätigen ihren Nutzen und belegen ein verbessertes Operationsergebnis. In der postoperativen Reha-Phase können Apps von Patienten zuhause benutzt werden. Diese sinnvolle Unterstützung wird als Telerehabilitation bezeichnet.
Problematisch ist jedoch das fehlende Feedback für die Patienten. Als Lösung befinden sich derzeit sog. Wearables in der Entwicklung, die z. B. als Armband oder Uhr sensorische Informationen erfassen und über die Auswertung dieser Daten dem Patienten ein Feedback geben können, wie er seine Übungen ausführt oder wie sich sein Gang entwickelt.
Der Einsatz von KI befindet sich momentan im experimentellen Stadium und ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Prof. Renkawitz formuliert bei der Knie-Endoprothetik als Ziel den Abgleich präoperativ erhobener kinematischer Daten, z. B. über die Spannungsverhältnisse der Bänder und das Roll- und Gleitverhalten des Kniegelenkes, mit den postoperativen Daten. Die KI wird mit diesen Daten gefüttert und soll zukünftig dem computerassistierten Orthopäden prädiktiv bereits während der Operation die für den Patienten bestmögliche OP-Technik vorschlagen. „Das ist dann die personalisierte Operationstechnik der Zukunft.“
Aktuell wirbt Prof. Renkawitz für ein vom G-BA-Innovationsfonds gefördertes Projekt für lebenserfahrene, ältere Patienten, die zum Knie- und Hüftgelenkersatz kommen. Sie werden an der Klinik für Orthopädie der Universität Regensburg am Standort Bad Abbach in einer Sektion mit spezieller Infrastruktur und in einem speziell geschulten Team aus Orthopäden, Internisten, Geriatern, Physiotherapeuten und Pflegenden betreut und versorgt. Erste Auswertungen der wissenschaftlichen Begleitung dieses Projekts zeigen, dass für diese Patientengruppe Komplikationen verringert werden können und sowohl Versorgungsqualität als auch Patientensicherheit zunehmen.
Bildquelle: Curated Lifestyle, Unsplash