Ältere Menschen machen einen Großteil der Organempfänger*innen aus, insbesondere bei Nierentransplantationen.1 Mehr als die Hälfte der Patient*innen in Deutschland, die aufgrund einer Niereninsuffizienz auf eine Spenderniere warten, sind 65 Jahre oder älter.1 Weltweit sind es noch 40 % mit steigender Tendenz.2
Eine Transplantation im fortgeschrittenen Alter bringt allerdings gewisse Herausforderungen mit sich.
Im fortgeschrittenen Alter kann es zur sogenannten Immunseneszenz kommen, einer altersbedingten Abnahme der Immunkompetenz.3 Aus diesem Grund erfahren ältere Empfänger*innen tendenziell seltener akute Abstoßungsreaktionen.2 Gleichzeitig erfordert die Immunseneszenz eine besonders genau überwachte Immunsuppression. So muss die Abstoßung des Transplantats verhindert werden ohne dabei die Infektionsgefahr der ohnehin häufig immungeschwächten Empfänger*innen nicht übermäßig zu erhöhen.2
Umgekehrt korreliert ein hohes Alter der Organspender*innen mit höheren Abstoßungsraten, wodurch diese Organe für eine Transplantation generell weniger attraktiv sein können.2,4
Besonders bei älteren Personen, die auf eine Nierentransplantation warten, kommt es zu einem Problem aufgrund der Organverteilung. Denn die mediane Wartezeit auf eine postmortal gespendete Niere beträgt in Deutschland 8,9 Jahre basierend auf Daten von 2019–2021.1 Mehr als die Hälfte der Dialysepatient*innen ≥ 65 Jahre würde demnach den Tag der Transplantation aufgrund der langen Wartezeit nicht mehr erleben – und das obwohl eine erfolgreiche Transplantation die Überlebenszeit im Vergleich zur Dialyse verdoppeln könnte.5 Eine Verkürzung der Wartezeit, beispielsweise durch eine Abschwächung der Kriterien für ein geeignetes Spenderorgan, könnte deswegen entscheidend dazu beitragen, die Überlebenszeit dieser Personen zu erhöhen.
Das 1999 gegründete Eurotransplant Senior Program (ESP) setzt genau dort an. Um dem hohen Bedarf an Spenderorganen gerecht zu werden, werden sogenannte Extended Criteria Donor (ECD)-Transplantationen durchgeführt. Das bedeutet, dass auch Organe für eine Transplantation in Frage kommen, deren Spender*innen älter als 60 Jahre waren, oder die zwischen 50 und 59 Jahre alt waren und unter zwei der folgenden Faktoren litten: Hypertonie, terminales Serumkreatinin > 1,5 mg/dl oder Tod durch einen Schlaganfall.6,7
Unter dem Motto „Old for Old“ werden bei dem ESP spezifisch Spendernieren von Spender*innen ≥ 65 Jahre an Patient*innen in der gleichen Altersgruppe verteilt. Dabei findet die Verteilung anders als bei den anderen Verteilungsprogrammen von Eurotransplant regional statt. So soll die kalte Ischämiezeit minimiert werden, wodurch die langfristige Organfunktion möglichst erhalten bleiben soll.5
Bei einer regulären Nierentransplantation ist eine bestmögliche Humane Leukozyten-Antigene (HLA)-Kompatibilität eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Transplantation und geht mit einer besseren Transplantatfunktion und -überlebenszeit einher.8,9 Beim ESP wird nicht standardmäßig die HLA-Kompatibilität überprüft.2 So wird der Pool an verfügbaren Spenderorganen vergrößert und die Wartezeit kann damit stark reduziert werden. Im Vergleich zur regulären Verteilung beträgt deswegen die Wartezeit auf eine Spenderniere im ESP nur 3,8 Jahre (Abb.1).10 Als Auswahlkriterium wird dabei hauptsächlich die bisherige Zeit an der Dialyse genutzt.4Abb. 1: Wartezeit auf eine Nierentransplantation in Abhängigkeit vom Alter in Deutschland 2006–2020. Adaptiert aus 10.
Allerdings ist die Abstoßungsrate in diesem Programm 5 bis 10 % höher als bei der regulären Verteilung.2 Eine Studie legt nahe, dass die fehlende HLA-Kompatibilität eine mögliche Ursache für die höhere Abstoßungsrate ist.11 Tatsächlich zeigt eine weitere Studie, dass kompatible HLA-DR-Antigene auch bei Patient*innen im ESP die 5 Jahres-Mortalitätsrate signifikant um bis zu 30 % reduzieren können.4 Darüber hinaus kann eine Verteilung, bei der statt der bisherigen Zeit an der Dialyse die HLA-Kompatibilität das primäre Auswahlkriterium ist, die Zeit an der Dialyse sogar noch weiter auf durchschnittlich 2,4 Jahre verkürzen.4
Zusammengefasst deuten diese Daten daraufhin, dass auch weiterhin Optimierungsmöglichkeiten für die Verteilung von Organen und die Transplantation bei Menschen im fortgeschrittenen Alter existieren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden auch in Zukunft die Verteilungsstrategien noch weiter an die Bedürfnisse der Empfänger*innen angepasst werden.
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