Eine 34-jährige Patientin handelt gegen ärztlichen Rat und verlässt die Klinik – und gefährdet damit das Leben ihres ungeborenen Kindes. Sind uns Ärzten hier die Hände gebunden?
In den Industrieländern stehen hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft (HES) an vorderster Stelle der mütterlichen Todesursachen. Sie sind in 20–25 % für die perinatale Mortalität mitverantwortlich. Die Präeklampsie als schwerwiegende Form gilt als Multisystemerkrankung und betrifft 2–5 % der Schwangerschaften. Damit ist sie eine der Hauptursachen für die mütterliche und perinatale Morbidität und Mortalität.
Eine 34-jährige Patientin befindet sich in der 31. SSW und erwartet ihr erstes Kind. Seit dem 24. Lebensjahr ist bei ihr eine essentielle Hypertonie bekannt. Bei der niedergelassenen Frauenärztin waren wiederholt erhöhte Blutdruckwerte gemessen worden, die sich zuletzt nicht mehr medikamentös einstellen ließen. Mit einem aktuellen Wert von 180/130 mmHg erfolgt die notfallmäßige Einweisung in das nahegelegene Krankenhaus. Dort findet eine therapeutische Anbehandlung mit alpha-Methyldopa, Nifedipin und Magnesium statt. Der Beginn einer ANS-Prophylaxe (Antenatale Kortikosteroidtherapie, ehemals RDS-Prophylaxe) zur fetalen Lungenreifeinduktion wird von der ansonsten beschwerdefreien Patientin abgelehnt. Aufgrund des nicht einstellbaren Blutdrucks und einer zu erwartenden vorzeitigen Entbindung wird die Patientin zügig per RTW in ein Perinatalzentrum (Level 1) verlegt.
Der Blutdruck bei Klinikaufnahme beträgt 200/138 mmHg. Die leicht adipöse Patientin (BMI von 28) ist beschwerdefrei und wird ans CTG angeschlossen. Darunter wird der Blutdruck an beiden oberen Extremitäten mehrfach gemessen – ohne nennenswerte Veränderungen. Daraufhin verabreicht die Oberärztin Urapidil 25 mg i. v. als Bolusgabe und ordnet eine kontinuierliche Gabe mittels Perfusor an. Im weiteren Verlauf erhält die Patientin zusätzlich eine Infusion mit Magnesiumsulfat. Die Blutdruckwerte werden darunter leicht gesenkt, im Mittel bei 182/119 mmHg. Das Aufnahme-CTG ist nach FIGO normwertig; es zeigt keine Wehentätigkeit.
In der Sonographie befindet sich das Kind mit einem Schätzgewicht von 1300 g an der 5. Perzentile, die Fruchtwassermenge ist normal, die Plazenta unauffällig. Der feto-maternale Doppler ist ebenfalls ohne Pathologien. Im Labor fällt ein sFlt-1/PIGF-Quotient von 556 (Norm <85) auf, der für ein hohes Präeklampsie-Risko spricht. Das Gesamteiweiß im Urin ist mit 2330 mg/l (Norm <300 in der Schwangerschaft) stark erhöht. Einen Hinweis auf ein HELLP-Syndrom ergibt das Labor nicht.
Diagnostisch handelt es sich um eine schwere Präeklampsie mit RR-Entgleisung und dem dringlichen Verdacht auf eine fetale Wachstumsrestriktion (FGR: fetal growth restriction).
Noch am Abend wird mit den Eltern ein langes ärztliche Gespräch geführt und ihnen die Brisanz der Situation erläutert. Es wird aufgrund der schweren Präeklampsie und der kindlichen Wachstumsrestriktion zur baldmöglichen Durchführung einer antenatalen Kortikosteroidtherapie geraten, um eine vorzeitige Entbindung vorzubereiten. Die Eltern möchten die weiteren Schritte bis zum nächsten Morgen überdenken.
Am nächsten Tag lehnt die Patientin die ANS-Prophylaxe ab. Es erfolgen wiederum ausführliche Gespräche über die Situation einer schweren Präeklampsie, das Risiko einer vorzeitigen Plazentalösung, Nierenschädigung, cerebralen Blutung, möglichem eklamptischen Anfall mit mütterlicher und kindlicher Morbidität und Mortalität. Der Blutdruck ist trotz antihypertensiver Therapie (Urapidil, Metoprolol, Nifedipin) nicht adäquat einstellbar. Zur Neuroprotektion wird Magnesium verabreicht.
Das CTG ist einmalig suspekt, die weiteren Kontrollen normwertig. Die Patientin hat keine präeklamptischen Beschwerden wie Augenflimmern, Kopf- oder Oberbauchschmerzen. Am Abend entscheiden sich die Eltern für die ANS-Prophylaxe.
In der Nacht kommt es immer wieder zu Blutdruckspitzen von 180/120. Es erfolgen eindrückliche ärztliche Aufklärungsgespräche über die dringliche Sectio-Indikation. Die Eltern möchten eine Bedenkzeit bis zum nächsten Morgen. Am nächsten Tag erklärt die Patientin, sie möchte im Moment keinen Kaiserschnitt, sondern eine Schwangerschaft, die mindestens bis zur 37. SSW anhält.
Im Laufe des Tages finden weitere Gespräche statt. Der Blutdruck erreicht unter maximaler Therapie immer wieder Spitzenwerte von 190/140. Die einzige kausale Therapie wäre eine rasche Entbindung – die von der Patientin abgelehnt wird.
Am Abend kündigt die Patientin an, am nächsten Morgen die Klinik verlassen zu wollen. Mit der Patientin und ihrem Partner finden erneut ärztliche Gespräche statt. Dabei wird nochmals auf die hohe Risikolage für Mutter und Kind verwiesen.
Die ärztliche Leitung erkundigt sich bei der diensthabenden Richterin des Betreuungsgerichts über Möglichkeiten des weiteren Vorgehens. Diese wertschätzt das verantwortungsvolle Handeln des gesamten Teams, bringt aber zum Ausdruck, dass in diesem Fall die Autonomie der Patientin das Procedere bestimme.
Am nächsten Tag verlässt die Patientin auf eigenen Wunsch und gegen ärztlichen Rat die Klinik. Die behandelnde Frauenärztin wird informiert.
Zwei Wochen später meldet sich die niedergelassene Kollegin in der Klinik. Die gemeinsame Patientin sei drei Tage nach Entlassung bei ihr in der Praxis erschienen. Sie verspüre keine Kindsbewegungen mehr und sie habe starke Kopfschmerzen mit Augenflimmern. Während der Erhebung des Blutdrucks, der bei 250/145 lag, begann die Patientin zu krampfen.
Die Patientin wurde mit dem Rettungsdienst auf die Intensivstation einer nahen Klinik gebracht. Ihr ginge es bereits wieder besser. Ihre Tochter hingegen hat es nicht überlebt.
Unter einer Präeklampsie versteht man eine chronische Hypertonie oder eine Gestationshypertonie mit einer in der Schwangerschaft erstmaligen Organmanifestation, die keiner anderen Ursache zuzuordnen ist. Typische Organmanifestationen sind:
Man unterscheidet eine early-onset (< 34+0 SSW) und eine late-onset (≥ 34+0 SSW) Präeklampsie. Die frühe Form hat ein höheres Wiederholungsrisiko (14–18 % nach einmaliger Erkrankung, 32 % nach zwei vorausgegangenen Präeklampsien) für eventuelle Folgeschwangerschaften. Nach einer schweren Präeklampsie ist das Wiederholungsrisiko höher als bei einem milderen Verlauf (25 % bei schwerer Präeklampsie).
Besonders gefürchtet ist ein tonisch-klonischer Krampfanfall der Schwangeren, der als Eklampsie bezeichnet wird und keiner anderen Ursache zuzuordnen ist. Dabei handelt es sich um eine potentiell tödliche Komplikation mit fakultativen Hirnblutungen und Sauerstoffmangel. Eine Eklampsie tritt bei 0,1 % der Schwangeren auf und ist häufig assoziiert mit einer Präeklampsie. Das Wiederholungsrisiko beträgt 2–16 % für eine Folgeschwangerschaft, für eine Präeklampsie sogar 22–35 %.
Eine Präeklampsie ist eine gefürchtete Komplikation in der Schwangerschaft. Wenn die Vorzeichen richtig gedeutet werden und die Patientin adäquat behandelt wird bzw. in eine effiziente Therapie einwilligt, können Mutter und Kind weitgehend unbeschadet daraus hervorgehen. Bei einer schweren, nicht beherrschbaren Präeklampsie ist die rasche Entbindung die einzige kausale Therapiemöglichkeit. Wird diese verweigert, sind allen Beteiligten die Hände gebunden.
Die Frage, wann Kindswohlgefährdung beginnt, ist schwer aufzulösen.
Quellen:
S2k-Leitlinie 015-018 Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft (HES): Diagnostik und Therapie (2024)
Schlembach & Stepan. Ökonomische Aspekte einer Biomarker-gesteuerten Präeklampsiediagnostik. Frauenarzt, 2022.
Verlohren. Präeklampsierisiko – was ist zur Überwachung in der Gravidität sinnvoll? Die Gynäkologie, 2019. doi: 10.1007/s00129-019-04513-1
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