Die Menschheit ist zu dick. Leider greift die BMI-orientierte Adipositas-Definition zu kurz. Warum das Problem differenzierter angegangen werden muss – und wie eine neue Definition von Adipositas dabei helfen kann, lest ihr hier.
Fast ein Achtel der Weltbevölkerung ist von Adipositas betroffen, wenn man die herkömmliche BMI-basierte Definition zugrunde legt. Dabei liegt Adipositas ab einem BMI von ≥ 30 kg/m² vor. Häufig wird die Adipositas noch in verschiedene Stadien eingeteilt; man könnte auch treffender von Schweregraden sprechen.
wobei der höchste Schweregrad auch als Adipositas permagna bezeichnet wird.
Personen mit einem BMI, der der Adipositas-Definition entspricht, unterscheiden sich jedoch erheblich in ihrem Risikoprofil. Es ist daher wenig sinnvoll, alle diese Menschen über einen Kamm zu scheren, um Erkenntnisse für den Umgang mit Adipositas zu gewinnen. Aus diesen Überlegungen heraus hat sich in den letzten Jahren eine Expertenkommission zusammengefunden, die in regelmäßigen Treffen eine neue Definition von Adipositas erarbeitet hat. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift The Lancet – Diabetes and Endocrinology veröffentlicht.
Auch auf DocCheck wurde bereits auf die Nachteile der alleinigen Betrachtung des BMI hingewiesen (Tschüss BMI: Was kann der Kugel-Index?), da dieser nur Körpergewicht und Körpergröße in Beziehung setzt. Die Zusammensetzung des Körpers, insbesondere der Anteil des schädlichen viszeralen Fetts, geht dagegen nicht in den BMI ein. Das hat zur Folge, dass einige sehr sportliche Menschen aufgrund ihrer Muskelmasse einen hohen BMI haben – was aber nicht bedeutet, dass sie ein erhöhtes Risiko für die mit Übergewicht oder Adipositas verbundenen Komplikationen haben.
Auf der anderen Seite gibt es inaktive Menschen, die aufgrund ihrer genetischen Veranlagung eher schlank sind und wenig Muskelmasse, aber viel viszerales Fett haben. Diese Menschen haben einen per Definition normalen BMI, sind aber dennoch einem erheblichen Risiko für Folgeerkrankungen ausgesetzt. Studien haben gezeigt, dass andere Maße – wie die direkte Messung des Körperfetts, der Taillenumfang oder die waist-to-hip-ratio – allein oder in Kombination mit dem BMI das individuelle Risiko besser vorhersagen als der BMI allein.
Neben der Tatsache, dass ein hoher BMI unterschiedliche Ursachen haben kann (Bodybuilding oder Bierbauch), ist umstritten, ob Adipositas nur als Risikofaktor oder bereits als Krankheit anzusehen ist. Neben der Klärung dieser offenen Fragen war es das Ziel der vom Lancet einberufenen Expertenkommission, die Behandlung von Menschen mit Adipositas zu erleichtern und zu verbessern.
Um dieses Ziel zu erreichen, definiert die Kommission zwei Formen der Adipositas: die präklinische und die klinische Form. Während bei der präklinischen Adipositas die Organfunktion noch nicht beeinträchtigt ist, liegt bei der klinischen Form bereits eine Funktionseinschränkung vor. Die Funktionseinschränkung kann entweder ein bestimmtes Organ (z.B. Fettleber oder Herzschwäche) oder bestimmte Fähigkeiten des Patienten betreffen. So gilt z.B. auch eine Person, die durch ihr Übergewicht in ihrer Mobilität eingeschränkt ist, als klinisch adipös. Während die präklinische Form lediglich als Risikofaktor gilt, wird die klinische Form als chronische Erkrankung definiert.
Der BMI soll weiterhin verwendet werden, jedoch nur als Screening-Instrument. Zur Diagnosestellung sollte immer ein weiterer Messwert erhoben werden, um die Verdachtsdiagnose zu bestätigen. In einem Fall ist der BMI jedoch ausreichend: Die Kommission empfiehlt pragmatisch, die Diagnose Adipositas bei einem BMI von ≥ 40 kg/m² als gesichert anzusehen, dann kann auf weitere Messwerte verzichtet werden.
Die Unterscheidung zwischen präklinischer und klinischer Form erfordert in jedem Fall eine ausführliche Anamnese und Untersuchung der Organfunktionen. Dies ist zwar aufwendig und teuer, bietet aber die Chance zu intervenieren und potentiell tödliche Komplikationen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall zu verhindern. Auf diese Untersuchungen zu verzichten und auf Komplikationen zu warten, wäre letztlich noch aufwendiger und teurer.
Abbildung: Ergänzend zum BMI wird z. B. die Messung des Taillenumfangs oder die direkte Messung des Körperfetts empfohlen. Um zwischen präklinischer und klinischer Adipositas zu unterscheiden, sind Anamnese und Untersuchung der Organfunktionen erforderlich. (Rubino et al., 2025)
Die Therapieempfehlungen werden durch die neue Definition differenzierter: Menschen mit präklinischer Adipositas sollen in erster Linie beraten und regelmäßig untersucht werden, um das Risiko zu reduzieren; der Schwerpunkt liegt hier auf der Prävention. Die Entwicklung einer klinischen Adipositas soll möglichst verhindert werden.
Ist die klinische Form eingetreten, wird eine geeignete Therapie empfohlen, um die eingetretene Funktionseinschränkung möglichst zu verbessern und irreversible Organschäden zu vermeiden. Die neuen Definitionen und Empfehlungen allein werden jedoch nicht ausreichen, um das Problem in den Griff zu bekommen. Dies wird davon abhängen, wie die Empfehlungen im Alltag umgesetzt werden.
Quellen:
Rubino, F. et al. Definition and diagnostic criteria of clinical obesity. Lancet Diabetes Endocrinol, 2025. doi: 10.1016/S2213-8587(24)00316-4
NCD Risk Factor Collaboration (NCD-RisC). Worldwide trends in underweight and obesity from 1990 to 2022: a pooled analysis of 3663 population-representative studies with 222 million children, adolescents, and adults. Lancet, 2024. doi: 10.1016/S0140-6736(23)02750-2
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