Leinsamen, Haferflocken, Fenchel: Ballaststoffreiche Ernährung ist gesund. Nun hat ein Forscherteam die epigenetischen Effekte kurzkettiger Fettsäuren analysiert, die bei der Verdauung von Ballaststoffen entstehen – und Verblüffendes herausgefunden.
Ballaststoffe gelten als wichtig für eine gesunde Ernährung. Studienergebnisse deuten darauf hin, dass eine höhere Ballaststoffaufnahme mit einer geringeren Gesamtsterblichkeit und einem geringeren Risiko, an Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebserkrankungen zu sterben, einhergeht. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, dass Erwachsene täglich mindestens 30 Gramm Ballaststoffe zu sich nehmen – allerdings ist die Ballaststoffzufuhr bei vielen Menschen deutlich geringer: Laut der Nationalen Verzehrstudie II nehmen Frauen in Deutschland durchschnittlich 18 Gramm Ballaststoffe pro Tag zu sich, bei Männern sind es 19 Gramm.
Bei der Verdauung von Ballaststoffen produziert das Darm-Mikrobiom als Nebenprodukt in großen Mengen kurzkettige Fettsäuren. Die häufigsten davon sind Propionat und Butyrat. Sie tragen zu einer Vielzahl zellulärer Prozesse bei und haben positive Effekte auf die Gesundheit. Darüber hinaus wird angenommen, dass sie Genfunktionen beeinflussen könnten. Die Mechanismen, die dahinter stecken, sind jedoch bisher weitgehend unbekannt.
Nun hat eine Studie von Forschern der Standford University die direkten epigenetischen Effekte von Propionat und Butyrat untersucht. Ihr Ergebnis: Die Fettsäuren beeinflussen die Genfunktion so, dass ein schützender Effekt vor Krebs entsteht.
Das Forscherteam um Letztautor Michael P. Snyder analysierte, wie Propionat und Butyrat die Genexpression in
verändern. Snyder ist Professor für Genetik am Department of Genetics und dem Center for Genomics and Personalized Medicine der Stanford University, School of Medicine in Stanford (USA).
„Bei unseren Analysen haben wir einen direkten Zusammenhang zwischen der Verdauung von Ballaststoffen und der Veränderung von Genfunktionen im Sinne eines schützenden Effekts vor Krebs gefunden“, berichtet Snyder. „Wir denken, dass dies ein umfassender Mechanismus ist, der sich nicht nur auf Darmkrebs, sondern auch auf andere Krebsarten beziehen könnte. Denn kurzkettige Fettsäuren, die bei der Verdauung von Ballaststoffen entstehen, können sich im ganzen Körper verteilen.“ Ob dies tatsächlich der Fall ist, müsse allerdings in weiteren Studien untersucht werden.
Im Detail beobachteten die Wissenschaftler, dass Propionat und Butyrat zu direkten epigenetischen Veränderungen in Genen führten, die die Zellproliferation, die Zellteilung und die Apoptose steuern. Diese Prozesse spielen eine wichtige Rolle bei einem unkontrolliertem Zellwachstum, das der Entstehung von Krebs zugrunde liegt.
„Bei gesunden Zellen förderten die kurzkettigen Fettsäuren eine Ausdifferenzierung in normale, gesunde Darmzellen“, erläutert Snyder. „Sie unterstützen also die Aufrechterhaltung einer gesunden Darmflora.“ Bei Krebszellen hatten Butyrat und – in etwas geringerem Ausmaß – Propionat antiproliferative und apoptotische Eigenschaften. Dies entspricht einem schützenden Effekt vor Krebs.
In weiteren Studien wollen die Wissenschaftler nun untersuchen, auf welche anderen Proteine kurzkettige Fettsäuren Auswirkungen haben und welche Effekte sie auf anderes Körpergewebe, insbesondere auf das Herz haben. „Zudem könnten die Ergebnisse die Grundlage für weitere Studien bilden, etwa zu der Frage, wie eine ballaststoffreiche Ernährung bei Darmkrebs ergänzend zu einer Krebstherapie nutzbringend eingesetzt werden könnte“, sagt der Genforscher.
Die Ergebnisse liefern weitere Argumente dafür, unbedingt auf eine ausreichende Ballaststoffzufuhr zu achten: „Sie könnten Menschen stärker davon überzeugen, ausreichend Gemüse, Hülsenfrüchte und andere ballaststoffreiche Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, um so ihre Gesundheit zu verbessern und ihr Krebsrisiko zu verringern“, betont Snyder.
„Denn viele Menschen ernähren sich ballaststoffarm oder nehmen nicht ausreichend Ballaststoffe zu sich. Das bedeutet, dass ihr Darm-Mikrobiom ungünstig ernährt wird und nicht so viele kurzkettige Fettsäuren herstellen kann, wie es zum Schutz vor Krebs nötig wäre.“
Gerade angesichts steigender Darmkrebs-Zahlen – insbesondere bei jüngeren Erwachsenen – ist ballaststoffreiche Kost wichtig. So steigen einer Studie zufolge die Sterberaten durch Darmkrebs bei den 25- bis 49-Jährigen in einigen europäischen Ländern an: Besonders starke Entwicklungen gibt es in Großbritannien und ebenfalls Italien, bei Männern in Polen und Spanien sowie bei Frauen in Deutschland. Ärzten kommt hier die wichtige Aufgabe zu, die Ernährung den Patienten gegenüber anzusprechen und sie zu informieren.
Die Ergebnisse könnten auch zur Entwicklung von Nahrungsergänzungsmitteln beitragen, die kurzkettige Fettsäuren wie Propionat und Butyrat enthalten, die langsam an den Darm abgegeben werden. „Dies könnte ein attraktives natürliches Therapeutikum sein“, so Snyder. „Besser ist es aber vermutlich, mehr Ballaststoffe direkt mit der Nahrung zu sich zu nehmen.“
Santucci, C. et al. European cancer mortality predictions for the year 2024 with focus on colorectal cancer. Annals of Oncology, 2024. doi: 10.1016/j.annonc.2023.12.003Nshanian, M. et al. Short-chain fatty acid metabolites propionate and butyrate are unique epigenetic regulatory elements linking diet, metabolism and gene expression. Nature Metabolism, 2025. doi: 10.1038/s42255-024-01191-9
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