Influencer lassen auf Tiktok und Instagram oft kein gutes Haar an der pharmazeutischen Industrie. Sie kritisieren vermeidliche Profitgier, Lobbyismus oder Lügen über Nebenwirkungen. Die krudesten Ansichten im Überblick.
In sozialen Medien ist Kritik an der Pharmaindustrie ein Dauerbrenner. Influencer, selbsternannte Gesundheitsexperten oder Aktivisten werfen der Branche vor, Profit über das Wohl der Patienten zu stellen, Medikamente künstlich teuer zu halten und bewusst Krankheiten nicht heilen zu wollen.
Klar ist: Pharma-Bashing geht viral, weil es Ängste vieler Menschen anspricht und vermeintlich einfache Antworten auf komplexe Fragen liefert. Das garantiert Klicks und Follower. Mythen und Fake News verbreiten sich oft schneller als wissenschaftlich fundierte Informationen.
Unter dem Hashtag #BigPharmaLies schreibt offgrid_acrobats auf Instagram:
„Wussten Sie das? Die Rockefellers haben die westliche Medizin in eine profitorientierte Industrie umgewandelt, indem sie Pharmazeutika den Vorzug vor Naturheilmitteln gaben. In den frühen 1900er-Jahren finanzierten sie medizinische Fakultäten, die Medikamente auf Erdölbasis förderten und haben ganzheitliche Therapien beiseite geschoben. Heute profitiert Big Pharma, während die Menschen unter der Übermedikation und der Unterdrückung alternativer Behandlungsmethoden leiden. Es ist an der Zeit, das System in Frage zu stellen und die gesundheitliche Freiheit zurückzuerobern!“Screenshot InstagramDas sehen reichweitenstarke US-Influencerinnen wie Kendra Needham oder Carly Shankman ähnlich. Im Dunstkreis von „Make America healthy again“ werben sie für mehr Unabhängigkeit von der „Schulmedizin“. Sie stellen evidenzbasierte Ratschläge infrage und misstrauen Innovationen der pharmazeutischen Industrie.
Der User sunkissed_and_sweaty kritisiert auf Instagram, Wissenschaftler würden ohnehin nur von der pharmazeutischen Industrie gekauft. Sie sollten „Sponsoren-Jacken wie Rennfahrer tragen, damit wir wissen, wem sie gehören“, heißt es unter dem hashtag #antibigpharma. Das kommt an; Belege oder Quellen fehlen.
Screenshot Instagram
Gerade zu Corona-Zeiten waren Impfstoffe in Social Media oft Stein des Anstoßes. Bis heute kochen die Emotionen hoch. Beispielsweise schreibt thewokemama: „Erst das Problem schaffen [gemeint sind Impfstoffe], dann die Lösung verkaufen [also Tabletten gegen Nebenwirkungen]."
Und laut cedarhillyarns würden Ärzte aus Japan Zusammenhänge zwischen plötzlichen, unerwarteten Todesfällen und COVID-19-Impfstoffen erforschen.
Auch @fannypatzschke – laut Posting Apothekerin – stößt in dieses Horn. Sie warnt davor, bei Beschwerden sofort Medikamente einzunehmen. Natürlich ist Prävention die beste Strategie. Wer akut erkrankt, wird ohne Pharmaka kaum auskommen und schlimmstenfalls sterben. Nebenwirkungen sind vorhanden, aber in den meisten Fällen das geringere Übel.
Bei Usern stoßen solche Botschaften auf viel Zustimmung: „Medikamente sollen ja auch nicht heilen, da gesunde Menschen kein Geld einbringen“, schreibt @svendoell als Kommentar. Diese Industrie funktioniere, indem Menschen langfristig Kunden blieben, denkt auch katharina_lr_. „Ein gesunder Mensch ist kein Kunde der Pharmaindustrie.“
Damit nicht genug: Unter dem Hashtag #HealthNotProfit kritisieren Influencer hohe Arzneimittelkosten, vermeintliche Lobbyverflechtungen und die aggressive Vermarktung neuer Medikamente. So würde dieselbe Industrie hochverarbeitete, ungesunde Lebensmittel produzieren, um anschließend Medikamente gegen Adipositas teuer zu verhökern, wie arcellepicknp postet.
@enavie_official wittert auch Verflechtungen zwischen Big Pharma und der Politik: Handeln Entscheidungsträger im Gesundheitswesen wirklich zum Wohle der Bevölkerung – oder werden sie durch finanzielle Anreize beeinflusst? Belege für ihre Anschuldigungen bleibt auch diese Influencerin schuldig.
Immer wieder ist zu lesen, pharmazeutische Hersteller würden Nebenwirkungen verschleiern, etwa bei Statintherapien. So rät @gabrielecordes, Statine aufgrund unerwünschter Effekte besser nicht zu schlucken. Eine gefährliche Empfehlung, denn die empfohlenen Lebensstil-Interventionen allein helfen wohl nur wenigen Patienten beim Lipid-Management.
Beispiele dieser Art zeigen, dass die pharmazeutische Industrie mehr und mehr vor der Herausforderung steht, ihr Image zu verteidigen und Vertrauen in die moderne Medizin zu stärken. Doch das ist leichter gesagt als getan.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) bzw. Pharma Deutschland sind als große Interessenvertretungen auf Social Media aktiv – und sprechen durchaus relevante Themen an. In einem Posting stellt der VFA beispielsweise zusammen, welche neuen, innovativen Medikamente in 2024 auf den deutschen Markt gekommen sind: definitiv ein Image-bildendes Thema.
Die Community reagiert darauf größtenteils wie zu erwarten: „Unvergessen sind auch die tollen, nebenwirkungsfreien mRNA-Impfungen“, heißt es in einem Kommentar. Oder: „Warum sollte die Pharma Industrie daran interessiert sein, gesunde Kunden zu haben? Ein Abo bringt dauerhaft Geld und sorgt für einen stetigen Fluss.“
Die zentrale Frage, seit es Social Media gibt, ist, sehr frei nach Goethe: „Nun sag’, wie hast du’s mit den Kommentaren?“
Bevor Firmen auf kritische Anmerkungen reagieren, sollten sie diese sorgfältig gelesen und analysiert haben, um des Pudels Kern zu verstehen. Denn nicht alle Postings sind konstruktiv. Trolle wollen nur provozieren; besser ist, sie links liegen zu lassen („Don't Feed The Troll“).
Doch wie wäre es damit, die Strategie, nur Themen zu posten, zu überdenken? Eine mögliche Alternative: Reichweitenstarke Influencer könnten dazu beitragen, den Ruf der pharmazeutischen Industrie zu verbessern, indem sie fundierte, transparente und vertrauenswürdige Informationen über Arzneimittel, Forschung und Innovationen publik machen. Besonders Health- und Science-Influencer, die sich auf evidenzbasierte Medizin und wissenschaftliche Kommunikation spezialisiert haben, können Brücken zwischen Pharmaunternehmen und der Öffentlichkeit schlagen.
Firmen, wagt mal einen Versuch!
Bildquelle: Nick Fancher, Unsplash