Zu den größten Herausforderungen klinischer Studien gehört, Teilnehmer zu finden. Dabei könnte es so einfach sein: US-Forscher setzen jetzt auf Apotheken.
Ein neuer Wirkstoff ist in präklinischen Tests vielversprechend und hat die Phase 1 erfolgreich durchlaufen. Genau jetzt beginnt die Herausforderung: Für Phase-2- und Phase-3-Studien müssen forschende Hersteller Patienten mit einem bestimmten Krankheitsbild in überschaubarer Zeit rekrutieren. Sie haben zu diesem Zeitpunkt Eins- und Ausschlusskriterien festgelegt, aber auch entschieden, wie viele Menschen sie benötigen. Genau jetzt wird es aber schwierig.
Bei 80 % aller Studien gelingt die Rekrutierung nicht im festgelegten Zeitraum. Und 32 % aller Sponsoren betrachten die Suche nach Teilnehmern als Hauptgrund für höhere Kosten bei der Forschung und der Entwicklung. Solche Hürden werden durch zielgerichtete Therapien und durch Wirkstoffe gegen seltene Erkrankungen immer höher. Schon lange sucht die pharmazeutische Industrie deshalb nach Alternativen zur Rekrutierung über Ärzte bzw. Prüfzentren, zur Offline-Rekrutierung oder zur Recherche in Patienten-Datenbanken. Digitale Medien ermöglichen Forschern einen direkten Zugang zu Patienten.
Doch es gibt noch ganz andere Möglichkeiten: Kürzlich hat die US-amerikanische Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA) eine Studie über Apotheken finanziert. Die Behörde ist unter anderem für die Entwicklung und Beschaffung medizinischer Gegenmaßnahmen gegen Infektionskrankheiten zuständig. Dabei arbeitet sie eng mit Partnern aus der Industrie zusammen.
Walgreens-Filiale in Las Vegas. Quelle: time anchor/Wikimedia Commons, CC BY 2.0
Die COVID-19-Impfstoffstudie führt Walgreens an 20 Standorten in acht US-Bundesstaaten durch. Insgesamt will die Apothekenkette 3.600 Teilnehmer finden. Dafür erhält der Konzern 25 Millionen US-Dollar; das Modellprojekt soll 22 Monate laufen.
Die Apothekenstudie läuft parallel zu einer Fünf-Jahres-Partnerschaft zwischen BARDA und Walgreens im Wert von 100 Millionen US-Dollar. Beide Projekte zielen darauf ab, zu untersuchen, wie praktikabel dezentrale Studien dieser Art sind.
Zum Hintergrund: Apothekenmitarbeiter verabreichen US-weit in großem Umfang COVID-19-Impfstoffe. Dieses Umfeld könnte – so die Hoffnung – ideal sein, um interessierte Kunden für die Studie anzusprechen. Forschungskoordinatoren in den teilnehmenden Apotheken erfassen Daten von Interessierten. Diese Probanden sollen bis zum nächsten Frühjahr einen COVID-19-Impfstoff erhalten. Sie geben im Laufe eines Jahres bei fünf Apothekenbesuchen Blutproben ab und füllen wöchentlich Fragebögen über eine webbasierte Plattform oder eine Smartphone-App aus. Dafür erhalten sie bis zu 275 US-Dollar als Vergütung.
Ziel der Studie ist, die Wirksamkeit des Impfstoffs über Korrelate des Schutzes (CoP) gegen COVID-19 zu bestimmen. Diese immunologischen Marker spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewertung der Wirksamkeit von Impfstoffen. Ergebnisse werden spätestens bis Ende 2026 erwartet.
Mit der Studie will die BARDA untersuchen, ob sich ihre neue Strategie eignen könnte, um den Rekrutierungsprozess effizienter und patientenzentrierter zu gestalten.
Apotheken bieten aufgrund der Kundenfrequenz Zugang zu einer großen und vielfältigen Patientengruppe – auch ein Vorteil, um Menschen mit seltenen Erkrankungen zu identifizieren. Sie ermöglichen die Rekrutierung aus verschiedenen ethnischen, demografischen und geografischen Gruppen. Alles in allem werden Studienergebnisse damit repräsentativer. Hinzu kommt, dass Apothekenteams viel Vertrauen in der Bevölkerung genießen, während Menschen der pharmazeutischen Industrie teilweise mit Skepsis begegnen. Auch kennen Apotheker oft die Medikationshistorie und indirekt auch die Erkrankungen ihrer Kunden. Damit können sie gezielt mögliche Teilnehmer identifizieren, welche die Einschlusskriterien erfüllen.
Patienten wiederum profitieren von der wohnortnahen Begleitung. So können, wie im aktuellen Beispiel, Blutentnahmen oder einfachere Untersuchungen durch Mitarbeiter des Studienteams in Apotheken vor Ort durchgeführt werden. Lange Reisezeiten für Probanden entfallen. Und durch regelmäßige Kontakte zu Apothekenmitarbeitern – auch jenseits der Studie – könnte es gelingen, Dropout-Raten zu senken. Die Studienteilnahme wird quasi in den Alltag der Menschen integriert. Apotheken wiederum freuen sich über die Vergütung einer neuen Leistung jenseits ihres Kerngeschäfts.
Mit bundesweit rund 17.000 Apotheken wäre das Konzept auch für Deutschland attraktiv. Vorab sollten Hersteller jedoch eine umfassende juristische Bewertung in Auftrag geben. Hier sind unter anderem das Arzneimittelgesetz, das Heilmittelwerbegesetz und die Datenschutzgrundverordnung zu berücksichtigen.
Quelle
Kate Ruder: US Government Turns to Retail Pharmacies to Improve Representation in Clinical Trials. JAMA 2025; 333(1):7–8. DOI: 10.1001/jama.2024.22949
Bildquelle: Mariano Baraldi, Unsplash