In wenigen Minuten viel erfahren – das ist die Kunst des Arztgesprächs. Wie ihr ganz nebenbei noch ein gutes Verhältnis aufbaut, erklärt euch der Beziehungsratgeber der DEGAM.
Beim ersten Date geht es um viel: Wie lebt der andere, was wünscht er sich, was belastet ihn, was sagt er zwischen den Zeilen und wie könnte ein gemeinsamer Weg aussehen?
All diese Fragen sollten auch Gegenstand des Erstgesprächs in der Hausarztpraxis sein. Als Hilfestellung für Ärzte hat die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) nun eine neue Leitlinie herausgebracht, die Ratschläge für den Erstkontakt gibt und – im positiven Sinne – große Ähnlichkeit mit einem Beziehungsratgeber hat.
Die S1-Handlungsempfehlung mit dem etwas sperrigen Titel „Das anamnestische Erstgespräch in der hausärztlichen Praxis – Module der Gesprächsführung mit einer/m bisher unbekannten Patientin oder Patienten“ formuliert Empfehlungen mit dem Ziel, „am Beginn der Beziehung zwischen Patient-Arzt eine Grundlage für eine empathische, kooperative Beziehung zu legen und Fehlversorgung zu vermeiden.“ Die meisten Empfehlungen gelten übrigens auch für folgende Arzt-Patientengespräche.
Die Ressourcen des Arztes hat die Leitlinie dabei auch im Blick. Denn wer die Ratschläge befolgt und 20 Minuten in das Erstgespräch investiert, kann langfristig sogar Zeit sparen. Ob man sich an die Empfehlungen hält, „hängt auch vom ärztlichen Befinden und ärztlichen, zeitlichen Möglichkeiten ab“.
Im ersten Teil der 31 Seiten knappen Leitlinie stellen die Autoren die Empfehlungen vor. Das sind zum einen acht Empfehlungen zu Struktur und Hintergrund. Zum Beispiel sollte man den Anliegen der Patienten, ihrer Lebenswirklichkeit, ihren Ressourcen und ihrer Beteiligung stets Raum geben. Auch ist es nicht angebracht, Patienten mit fremden Werte- und Zielvorstellungen zu diskriminieren, man sollte vielmehr neue Fragen stellen, um den weiteren Dialog zu fördern.
Diesen Empfehlungen folgen acht weitere zu den Rahmenbedingungen. So sollte man im Team absprechen, unter welchen Umständen das Gespräch gestört werden darf. Lässt sich eine Störung nicht vermeiden, ist eine Entschuldigung angebracht. Auch ist es hilfreich, gut vorbereitet in das Gespräch zu gehen, den Patienten mit Namen anzusprechen und – falls während des Gesprächs etwas im Computer notiert werden muss – dies zu thematisieren.
Im zweiten Teil der Leitlinie sind die Empfehlungen in sieben Modulen aufbereitet. Mit praktischen Tipps und vorformulierten Beispielfragen geht es um das Anamnesegespräch sowie darum, etwas über den psychosozialen Kontext, über erlebte Bewältigungsstrategien, die Biographie der Patienten und deren Angehörigen zu erfahren, und um weitere Absprachen sowie Reflexion und Dokumentation.
Das erste Modul veranschaulicht, wie man das Gespräch am besten beginnen und worauf man jenseits des Gesagten achten sollte. Ein für manche vielleicht überraschender Tipp: Den Patienten nach einer allgemeinen Einstiegsfrage wie „Was führt Sie zu mir?“ und Nicken und Ähnlichem zum Reden animieren, aber „möglichst keine Fragen stellen“, sondern einfach zuhören.
Ein kleiner Wehrmutstropfen: Die Leitlinie thematisiert bei all den Ratschlägen nicht, wie man sich als Arzt verhält, wenn es nicht wie erwartet läuft. Wenn der Patient nicht kooperativ ist, wenn man dessen Werte auch beim besten Willen nicht tolerieren kann oder wenn die Frage nach den erlebten Bewältigungsstrategien („Was hat geholfen? Was weniger?“) haarsträubenden Unsinn zu Tage fördert.
Dafür bekommt man als Extrabonus Tipps fürs Leben: Wer die Ratschläge verinnerlicht, hat gute Chancen, auch im Privatleben ein einfühlsamer Partner auf Augenhöhe zu sein. Wer also davon überzeugt ist, die Leitlinie als Arzt nicht nötig zu haben, kann sie zumindest als Checkliste für sein Kommunikationsverhalten im Privatleben nutzen.
Denn: „Auf dem Fundament des Verstehens des Anderen kann ein wechselseitiges Bezogensein gebaut werden.“
Wer wünscht sich das nicht?
Bildquelle: Meg Aghamyan, Unsplash