Zwei Patienten stellen sich mit allen Symptomen einer Appendizitis in der Notaufnahme vor – jedoch wurde bei beiden die Appendix bereits entfernt. Was ist hier los?
Am Ende des Textes gibt’s eine Zusammenfassung für Eilige.
Eine akute Appendizitis ist eine der häufigsten Ursachen für Besuche in der Notaufnahme mit akutem Abdomen. Oft wird die Appendix dann operativ entfernt – in der Regel minimalinvasiv per Laparoskopie. Bei unkompliziertem Verlauf sind auch Antibiotikagaben möglich.
Bleibt ein Problem: Viele Ärzte schließen eine akute Appendizitis aus, wenn sich ein Patient mit Bauchschmerzen vorstellt und bereits eine Appendektomie hinter sich gebracht hat. Dass es gefährlich sein kann, eine Stumpfappendizitis als Differentialdiagnose nicht in Betracht zu ziehen, zeigen zwei Patientenfälle, die im Journal of Surgical Case Reports nachzulesen sind.
Im ersten Fall kommt ein 41-jähriger Mann mit stechenden, dauerhaften Bauchschmerzen in die Notaufnahme eines Londoner Krankenhauses. Die Schmerzen strahlen in die rechte Seite des Rückens aus, verschlimmern sich bei Bewegung und lassen in Ruhe nach. Er leidet auch seit fünf Tagen an Verstopfung, fühlt sich fiebrig und hat keinen Appetit. Übelkeit oder Erbrechen gibt der Patient nicht an. Er leidet an Typ-2-Diabetes und hatte sich zwei Jahre zuvor einer Appendektomie unterzogen.
Mit dem Verdacht auf eine infektiöse Gallenwegserkrankung und mit Antibiotika entlassen die Ärzte den Mann nach Hause. Zwei Tage später stellt er sich erneut vor, aber mit deutlich schlimmeren Symptomen. Nun zeigt sich auch ein Druckgefühl in der rechten Flanke und im rechten Nierenwinkel. Eine Computertomographie ergibt u.a. ein verdicktes Ileum und ein verdicktes Caecum. Erst die kontrastmittelverstärkte CT-Aufnahme zeigt, dass der Mann an einer Stumpfappendizitis leidet.
Nicht nur die Diagnostik, sondern auch die OP gestaltet sich kompliziert. Als bei der Laparoskopie Verwachsungen mit der Bauchwand festgestellt werden, müssen sich die Chirurgen für eine offene Operation (Laparotomie) entscheiden, um den noch acht Zentimeter langen und einen Zentimeter im Durchmesser großen, entzündeten Stumpf zu entfernen.
Im zweiten Fall berichtet die Ärztin von einem 18-jährigen Mann, der sich mit akuten Bauchschmerzen in der Klinik vorstellt. Zwei Monate zuvor hatten Chirurgen in einer Notoperation die Appendix entfernt – nach Schilderung des Patienten erfolgreich.
Abwehrspannung und Schmerzempfindlichkeit im rechten Unterbauch und ein positives McBurney-Zeichen (also Schmerz nach Druck auf einen spezifischen Punkt zwischen Bauchnabel und Hüfte) kommen bei ihm als Symptome mit hinzu.
Blut im Urin lässt die Ärzte an Nierensteine denken. Das CT liefert allerdings keine Befunde im Bereich der Nieren oder der Appendix. Die Ärzte gehen schließlich von einer entzündlichen Darmerkrankung aus und raten zu einer ambulanten Dickdarmspiegelung.
Als die Entzündungswerte drastisch ansteigen, offenbart auch hier eine kontrastmittelverstärkte CT eine Stumpfappendizitis. In diesem Fall lässt sich die Wurzel allen Übels endoskopisch entfernen. Bei der Operation zeigt sich ein akut entzündeter, langer, retrozäkaler Stumpf von rund drei Zentimetern Länge mit Eiter. In der Nähe des Corpus Delicti findet der Operateur loses Nahtmaterial.
Beide Fälle zeigen, wie schwierig es sein kann, eine Stumpfappendizitis zu erkennen. In der Literatur wird die Inzidenz einer Stumpfappendizitis mit 0,002 bis 0,15 Prozent nach einer vorherigen Appendektomie angegeben – bei womöglich hoher Dunkelziffer. Grund dafür ist die anspruchsvolle Diagnose, die dadurch erschwert wird, dass es keine eindeutigen Symptome gibt.
In beiden Fällen kam es zu deutlichen Verzögerungen der richtigen Diagnose, was auch zu schwerwiegenderen Komplikationen hätte führen können. Es sei wichtig, die Stumpfappendizitis als Differentialdiagnose bei Patienten mit Bauchschmerzen und vorheriger Appendektomie in Betracht zu ziehen, schreiben Chien Lin Soh und Kollegen. „Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung kann die Morbidität der Patientenpopulation verhindern.“
Wichtig sei aber auch eine gute Operationsdokumentation, die wertvolle Hinweise auf die Ursache akuter Beschwerden liefern kann.
Als Risikofaktoren für eine spätere Stumpfappendizitis nennen die Autoren unter anderem technische Aspekte, falls bei der initialen Appendektomie die Appendixbasis nicht korrekt erkannt worden sei. Auch eine begleitende Bauchfellentzündung (Peritonitis), eine Perforation der Appendix oder Verwachsungen (Adhäsionen) sind mögliche Ursachen für einen zu langen Stumpf. „Allgemein wird empfohlen, die Appendix vollständig zu resezieren, wobei ein Stumpf von weniger als drei Millimetern Länge verbleiben sollte“, heißt es in der Veröffentlichung.
Die beiden Fälle zeigen auch, dass viel Zeit vergehen kann, bis es nach der initialen Appendektomie zu einer Stumpfappendizitis kommt. Hier waren es zwei Monate bzw. zwei Jahre. In der Literatur finden sich Berichte über Stumpfappendizitiden, die bis zu 50 Jahre nach der OP aufgetreten sind.
Zusammenfassung für Eilige
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