Die Zahl der Angststörungen weltweit steigt weiter an. Welches Potenzial Passionsblume, Lavendel, Johanniskraut & Co. für deren Behandlung haben und warum Apotheker hier eine entscheidende Rolle spielen.
Übermäßige Angst und Sorgen, die das Alltagsleben erheblich beeinträchtigen: Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. In Deutschland liegt die 12-Monats-Prävalenz von Angststörungen bei Erwachsenen bei etwa 15,4 %. Insbesondere Frauen sind öfter betroffen als Männer. Neben der konventionellen Behandlung gewinnen Heilpflanzen in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung, da sie oft als natürliche und verträgliche Alternative wahrgenommen werden.
In der Apotheke stellt dies eine wichtige Möglichkeit dar, Patienten umfassend und evident über die Wirkung und Anwendung von Heilpflanzen zu beraten. Lavendel, Baldrian, Passionsblume und Johanniskraut sind einige der bekanntesten Pflanzen, die bei Angststörungen zum Einsatz kommen können. Doch was wissen wir über ihre Wirksamkeit und Anwendung? Und welche Einschränkungen sind zu beachten?
Der deutliche Anstieg von Angststörungen in den letzten Jahren wurde nicht nur durch die Belastungen der Pandemiezeit verstärkt, sondern auch durch zunehmenden Leistungsdruck und gesellschaftliche Unsicherheiten. Patienten suchen oft nach natürlichen Alternativen zu synthetischen Medikamenten oder nach ergänzenden Methoden zur Linderung ihrer Beschwerden. Dies eröffnet eine Gelegenheit für Apotheker, ihr Fachwissen über Heilpflanzen aktiv in die Beratung einzubringen.
Lavendel beispielsweise hat sich in verschiedenen Studien als erstaunlich effektiv erwiesen. Das in Lavendel enthaltene Linalool wirkt beruhigend und angstlindernd, indem es auf GABA-Rezeptoren im Gehirn einwirkt. Lavendelöl-Präparate haben in klinischen Studien eine signifikante Reduktion von Angstsymptomen gezeigt, ohne dabei die Nebenwirkungen von Benzodiazepinen, wie Abhängigkeit oder starke Sedierung, zu verursachen.
In der Apotheke ist es entscheidend, Patienten über die richtige Anwendung und Dosierung aufzuklären, etwa die empfohlene Einnahme von Kapseln über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen. Sie dürfen hier nicht die Wirkung eines chemischen Angstlösers erwarten, der bereits nach einer einzigen Anwendung eine Wirksamkeit zeigt. Sind die Patienten darauf eingestellt, dass sie das Präparat bis zur vollen Wirksamkeit einige Wochen einnehmen müssen, ist die Compliance deutlich besser.
Baldrian ist ein weiteres pflanzliches Mittel, das in der Apotheke oft empfohlen wird. Seine beruhigende Wirkung wird über die Erhöhung des Neurotransmitters GABA vermittelt. Besonders bei gleichzeitigen Schlafstörungen zeigt Baldrian positive Effekte. Dennoch sollte auch hier darauf hingewiesen werden, dass die Wirkung von Baldrian oft subtiler ist, und erst nach längerer Einnahme spürbar wird. Auch Wechselwirkungen mit anderen Sedativa, wie Benzodiazepinen, müssen beachtet werden, da es zu verstärkter Sedierung kommen kann.
Die Passionsblume hat sich in mehreren Studien als wirksam gegen Angststörungen erwiesen. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie keine Abhängigkeit verursacht, im Gegensatz zu synthetischen Anxiolytika. Studien zeigten, dass Passionsblume in ihrer Wirksamkeit mit dem Benzodiazepin Oxazepam vergleichbar sein kann. Ihre Wirkung wird hauptsächlich auf die Modulation des GABA-Systems zurückgeführt. Dennoch sollte die Beratung darauf hinweisen, dass auch hier die Dosierung entscheidend ist, um optimale Ergebnisse zu erzielen.
Johanniskraut ist primär für seine antidepressive Wirkung bekannt, kann jedoch auch bei Angststörungen hilfreich sein. Seine Inhaltsstoffe Hypericin und Hyperforin wirken, indem sie die Wiederaufnahme von Neurotransmittern wie Serotonin und Dopamin hemmen. Allerdings ist Johanniskraut nicht ohne Risiken: Es kann das Cytochrom-P450-Enzymsystem induzieren und somit die Wirkung anderer Medikamente wie Antidepressiva oder oraler Kontrazeptiva abschwächen. Hier ist eine sorgfältige Beratung in der Apotheke essenziell.
Obwohl Heilpflanzen im Zusammenhang mit der Behandlung von Angsterkrankungen häufig eine vielversprechende Alternative zu chemischen Medikamenten darstellen, gibt es auch Gründe, warum einige Pflanzen weniger geeignet sind. Kava Kava beispielsweise wurde wegen potenzieller Lebertoxizität in vielen Ländern verboten. Ebenso kann Ashwagandha unter anderem Wechselwirkungen mit Medikamenten zeigen, die Schilddrüsenhormone beeinflussen. Diese Risiken müssen in der Apotheke klar kommuniziert werden, um den sicheren Einsatz von Heilpflanzen zu gewährleisten.
Eine fundierte Beratung ist der Schlüssel, um die Vorteile von Heilpflanzen optimal zu nutzen. Das pharmazeutische Personal sollte nicht nur die Wirkmechanismen und Nebenwirkungen der Pflanzen kennen, sondern den um Rat fragenden Patienten vor allem auch ihre Anwendungsgrenzen aufzeigen. Dabei ist es wichtig, den Patienten realistische Erwartungen zu vermitteln. Heilpflanzen wirken oft erst nach mehrwöchiger Einnahme und können konventionelle Therapien nicht immer ersetzen, sondern eher ergänzen.
Die Integration von Heilpflanzen in die Apotheke könnte durch gezielte Schulungen des Personals weiter gefördert werden. Ein besseres Verständnis der biochemischen Wirkmechanismen und klinischen Studienlage würde die Beratungskompetenz erheblich steigern. Ebenso könnte die Einbindung in Präventionsprogramme, etwa durch Aromatherapie bei stressanfälligen Patienten, eine sinnvolle Ergänzung zur klassischen Beratung in der Apotheke darstellen.
Heilpflanzen bieten eine natürliche und wirksame Ergänzung zur Behandlung von Angststörungen. Ihre Rolle in der Apotheke wird in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Mit umfassender Beratung und evidenzbasierter Anwendung können Apotheker einen wertvollen Beitrag leisten, um die Lebensqualität ihrer Patienten zu verbessern. Dieses Wissen und die individuelle Beratung vor Ort heben die Apotheke deutlich von reinen Online-Versandhändlern ab und unterstreichen ihren unschätzbaren Wert für die Patientengesundheit.
Bildquelle: Leonard Cotte, Unsplash