Die Abnehmspritze macht auch vor der Pädiatrie keinen Halt – denn immer mehr Kinder sind adipös. Während die GLP-1-Analoga für manche Kinderärzte gar nicht in Frage kommen, sehen andere sie als einen schnellen Ausweg.
Kaum eine Woche vergeht, ohne dass eine neue Studie über die positiven Effekte von Semaglutid und Co. veröffentlicht wird. Und auch die Nachfrage in der Bevölkerung steigt – der schnelle, sichtbare Erfolg gibt so manchen Patienten die Hoffnung, endlich den Weg aus der Adipositas gefunden zu haben. Auch bei minderjährigen adipösen Patienten wird der Einsatz von GLP-1-Rezeptor-Agonisten diskutiert. Wir haben bei euch nachgefragt, wie ihr dazu steht.
Die Basisinfos zu Umfrage: 100 Pädiater haben teilgenommen, davon waren 71 % niedergelassen und 29 % in Kliniken angestellt. 54 % waren weiblich, 46 % männlich; das Durchschnittsalter betrug 46,6 Jahre.
Als erstes wollten wir wissen, welche Behandlungsmöglichkeiten ihr bei adipösen Jugendlichen in Betracht zieht. Wenig überraschend nannten 95 % Ernährungsberatung und 93 % Bewegungstherapie oder Sportprogramme als eine häufige oder sehr häufige Strategie. Die Hälfte (51 %) verwiesen zudem häufig oder sehr häufig auf eine Verhaltenstherapie. Chirurgische Maßnahmen wurden dagegen von 35 % gelegentlich oder selten und von 65 % nie empfohlen.
Auf die Frage, wie häufig ihr Medikamente wie GLP-1-Analoga in Erwägung zieht, antwortet ihr folgendermaßen:
Es herrscht also eher Zurückhaltung – das zeigt sich auch darin, dass nur 4 % GLP-1-Analoga bereits eingesetzt haben und das immer nur in Einzelfällen. Trotzdem sagt fast die Hälfte (46 %), dass sie es in Zukunft in Erwägung ziehen würden, die Abnehmspritzen zu verschreiben.
Als Gründe für die Zurückhaltung nannten 78 % von euch, dass die Langzeitnebenwirkungen noch nicht ausreichend bekannt seien, 71 % gaben eine mangelnde Erfahrung in der Praxis an. Knapp die Hälfte (49 %) macht sich Sorgen über die psychischen Auswirkungen, zum Beispiel auf das Essverhalten. Daneben sind für gut die Hälfte (51 %) die hohen Therapiekosten eine Hürde sowie der aktuell begrenzte Zugang zu den Medikamenten (20 %).
Interessanterweise gaben 13 % an, dass sie keine Vorteile für die Gabe von GLP-1-Analoga sehen – deutlich weniger als die 50 %, die einen Einsatz derzeit nicht in Betracht ziehen. Zusammen mit den geäußerten Bedenken lässt das vermuten, dass die meisten von euch den Einsatz von Semaglutid und Co. zwar nicht grundsätzlich ablehnen, es aber derzeit noch zu früh für einen breiten Einsatz halten.
Doch es gab nicht nur Kritik an den Medikamenten: Eine relativ schnelle, signifikante Gewichtsreduktion war für 72 % ein großer Vorteil, ebenso wie die damit einhergehende Steigerung der Motivation durch die sichtbaren Erfolge (ebenfalls für 72 %). Auch die positiven Effekte auf modifizierbare Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse (57 %) und Stoffwechselerkrankungen (54 %) sind positive Aspekte. Für gut ein Drittel (34 %) war auch die einmal wöchentliche Gabe und die damit verbundene verbesserte Therapieadhärenz ein potentieller Vorteil.
Konsens herrscht darüber, dass nur zu den Medikamenten gegriffen werden sollte, wenn es sich um sehr adipöse Kinder und Jugendliche mit Anzeichen für weitere Erkrankungen wie Diabetes handelt. Zudem sollten alle anderen konservativen Maßnahmen ausgeschöpft sein. Allerdings gab es unterschiedliche Sichtweisen, wann dieser Punkt erreicht ist. Da gab es zum einen Stimmen wie diese:
„Ein relevanter Faktor wäre für mich, dass der Patient unter konservativen Maßnahmen – wie Ernährungsberatung, Verhaltenstherapie und stationären Vormaßnahmen – keine entsprechende Verbesserung seiner Gewichtsentwicklung oder insbesondere des Body-Mass-Indexes erzielt und dann würde ich in Erwägung ziehen.“
Oder auch:
„Bei sehr adipösen Jugendlichen, bei denen auch eine Lifestyle-Änderung nachweislich nach 6 Monaten nicht zum Erfolg geführt hat und die psychisch auch sehr darunter leiden – da würde ich es in Erwägung ziehen.“
Auf der anderen Seite gab es aber auch Pädiater, die die Spritzen gerade dann einsetzen würden, wenn die anderen Maßnahmen nicht erfolgreich umgesetzt wurden:
„Ich würde eine Therapie mit Semaglutid bei Jugendlichen in Erwägung ziehen, (…) bei denen man bislang therapeutisch keinen Zugang gefunden hat und die Gewichtskurve und damit der BMI weiter steigt.“
Auch hier wurde die Motivation durch den schnellen, sichtbaren Erfolg als Grund genannt:
„Ich würde Semaglutid vor allem bei solchen Jugendlichen in Betracht ziehen, die schwierig zu motivieren sind bzw. bei denen man das Gefühl hat, durch einen Therapieanstoß wie durch die Gewichtsabnahme durch das Semaglutid könnte man die Gewichtsabnahme durch die Sportmedizin und Ernährung verstärken.“
Bei Kindern und Jugendlichen spielt das familiäre Umfeld eine sehr große Rolle – meistens sind es die Eltern, die entscheiden, welches Essen auf den Tisch kommt oder für welcher Sportkurs bezahlt wird. Deshalb ist die Einbindung der Eltern in den Therapieplan fester Bestandteil einer Adipositasbehandlung. Was aber, wenn die Eltern schlicht nicht compliant sind? Kann dann die Spritze ein – zumindest temporärer – Ausweg für die Kinder und Jugendlichen sein? An dieser Frage spalten sich offensichtlich die Geister. Da gibt es zum einen Stimmen wie diese hier:
Ein anderer Arzt fügte hinzu, er würde GLP-1-Analoga in Erwägung ziehen, wenn ...
„das Kind sozial so aufgestellt ist, dass es gar nicht den Zugang oder die Möglichkeit hat, weil es aus einem Elternhaus kommt, wo günstiges Verhalten (…) nicht gefördert werden kann, weil der soziale, intellektuelle oder monetäre Background fehlt.“
Auf der anderen Seite stehen Pädiater, für die ein stabiles Zuhause eine Grundvoraussetzung ist. So sagt zum Beispiel ein Arzt:
GLP-1-Analoga werden derzeit nur selten zur Gewichtsreduktion bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt. Der Hauptgrund für die Zurückhaltung sind die fehlenden Daten über Langzeitnebenwirkungen. Ihr wart euch einig, dass die Medikamente nicht das erste Mittel der Wahl sein sollten, sondern konservative Methoden nach wie vor Vorrang haben.
Dennoch sehen viele von euch auch einige Vorteile durch die GLP-1-Analoga. Die größte Uneinigkeit herrscht darüber, ab wann die Abnehmspritzen in Erwägung gezogen werden sollten. Auch hier werden wir wohl auf mehr Daten und Erfahung warten müssen.
Bildquelle: Alexander Grey, Unsplash