Nächtliche Wadenkrämpfe sind nicht nur lästig, sondern auch schwer zu verhindern. Bisher ist wenig über Ursache und wirksame Behandlungen bekannt – welche Rolle Vitamin K2 bei der Prävention spielen könnte, lest ihr hier.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Die meisten kennen es: Sie schlafen friedlich – und plötzlich weckt sie ein schmerzhafter Krampf in der Wade. An sich ist das nicht weiter schlimm, denn die Muskeln entspannen sich nach kurzer Zeit von selbst wieder. Zurück bleibt vielleicht ein dumpfer Schmerz, der bis zum nächsten Tag anhält.
Schon bei jungen Erwachsenen kommen solche vereinzelten Muskelkrämpfe vor. Mit steigendem Alter nimmt die Frequenz zu: Etwa ein Drittel bis die Hälfte der älteren Bevölkerung leidet regelmäßig darunter, oft sogar dreimal pro Woche oder noch häufiger. Dabei unterscheidet man zwischen idiopathischen Muskelkrämpfen, die keine erkennbare Ursache haben, und solchen, die etwa durch starke sportliche Belastung ausgelöst werden.
Je öfter die nächtlichen Wadenkrämpfe auftreten, desto eher wirken sie sich auf die Lebensqualität aus. Dann wäre eine Behandlung angebracht – allerdings ist die Evidenz rund um mögliche Therapien bisher sehr dünn, erklärt Prof. Helge Topka. Er ist Neurologe an der München Klinik Bogenhausen und hat die S1-Leitlinie für Muskelkrämpfe federführend mitverfasst.
So werde zwar seit vielen Jahren Magnesium als Mittel gegen die Krämpfe diskutiert. „Aber die vorhandenen Studien zeigen, dass diese Empfehlung nicht belastbar ist.“ Generell sei es schwierig, robuste, doppelt verblindete, randomisierte und kontrollierte Untersuchungen zu Wadenkrämpfen zu finanzieren: „Das Thema ist einfach nicht im Fokus der Wissenschaft, dafür gibt es zu viele andere dringende Forschungsfragen“.
Eine neue Studie lieferte nun allerdings Hinweise auf eine mögliche Therapie: Forscher aus China ließen 199 Testpersonen mit regelmäßigen Wadenkrämpfen acht Wochen lang täglich eine Tablette mit Vitamin K2 oder ein Placebo einnehmen. In der vorherigen 2-wöchigen Screening-Phase hatten alle von ihnen mindestens zweimal von einem nächtlichen Krampf berichtet.
In der Vitamin K2-Gruppe gingen die Krämpfe in den Testwochen deutlich zurück: Am Ende lag der Mittelwert bei weniger als einem Wadenkrampf pro Woche. Damit unterschied sich diese Gruppe statistisch signifikant von der Kontrolle. Sie litten nach der Behandlungszeit an durchschnittlich 3,6 wöchentlichen Krämpfen.
Helge Topka findet die Untersuchung generell interessant, würde die Ergebnisse allerdings gerne von anderen Arbeitsgruppen bestätigt sehen. Denn bisher hat nur das chinesische Forschungsteam Vitamin K2 in Zusammenhang mit Wadenkrämpfen untersucht. Auffällig ist zudem, dass die Häufigkeit der Krämpfe bei den Testpersonen mit Placebo zunahm – das könnte zu dem statistischen Unterschied der beiden Testgruppen beigetragen haben.
Auf welche Weise Vitamin K2 auf die Wadenkrämpfe einwirken soll, bleibt unklar. Es soll eine Rolle im Muskelstoffwechsel spielen. Krämpfe werden allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit in den peripheren Nerven und deren Endungen ausgelöst – nicht primär in der Muskulatur. Was Helge Topka in dem Zusammenhang stutzig macht: „Bei Patienten und Patientinnen, die Blutverdünner nehmen, wird die Aufnahme von Vitamin K in die Leber reduziert“, so der Arzt. „Wenn bei den Krämpfen Vitamin K-Mangel das Problem wäre, warum bekommen die Leute mit Blutverdünnern nicht häufiger Krämpfe?“
Ohnehin ist das in der Studie eingesetzte Vitamin K2 in Deutschland nicht als Medikament erhältlich, lediglich als Nahrungsergänzungsmittel. Letztendlich könnte auch die Dosis eine schwierige Frage werden, sollte sich Vitamin K2 als hilfreiches Mittel herausstellen. Denn die chinesischen Forscher verabreichten den Testpersonen 180 Mikrogramm K2 pro Tag. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt jedoch als Höchstmenge einer Vitamin K2-Ergänzung 25 Mikrogramm.
Bis weitere, stichfeste Untersuchungen vorliegen, bleibt ein möglicher Nutzen von Vitamin K2 für Wadenkrämpfe also ungewiss. Damit reiht es sich in eine Reihe von anderen medikamentösen Therapien ein, für die jeweils ausreichende Evidenz fehlt.
Tatsächlich und nachweislich – wenn auch nur mäßig – wirksam ist bisher einzig Chininsulfat oder Hydrochinin, das in den Leitlinien als Therapie empfohlen wird. Allerdings sollte es nur bei sehr schmerzhaften oder sehr häufigen Muskelkrämpfen eingesetzt werden. Der Grund: seltene, dafür aber schwerwiegende Nebenwirkungen wie eine Verminderung der Blutplättchen (Thrombozytopenie) mit Blutungsneigung oder kritische Herzrhythmusstörungen.
„In Deutschland, wo es schon immer einen kontrollierten Gebrauch von Chininpräparaten gab, haben wir solche Nebenwirkungen nicht beobachtet“, sagt Helge Topka. „Die Bedenken kamen vor allem aus den USA, wo es die Präparate lange Zeit frei zu kaufen gab und manche Leute viel zu große Mengen davon eingenommen haben.“ Dennoch seien die Nebenwirkungen ernstzunehmen und die entsprechenden Warnhinweise gerechtfertigt.
Vorbeugen lässt sich den nächtlichen Wadenkrämpfen kaum. In den Leitlinien werden zwar regelmäßige Dehnübungen vorgeschlagen. Die empfiehlt Helge Topka jedoch vor allem im akuten Fall: „Dadurch werden die Muskelspindeln aktiviert, die wiederum Feedback zu den Nerven im Rückenmark senden.“ Von dort gelange das Signal zurück zu den Muskeln – und auf diese Weise werde die neuronale Fehlfunktion unterbrochen.
Sinnvoll ist es zudem, mögliche Ursachen für die Krämpfe auszuschließen: „Sportler sollten darauf achten, ausreichend isotonische Getränke zu sich zu nehmen“, so Helge Topka. Dadurch füllen sie gleichzeitig den Wasserhaushalt und die Elektrolyte auf, die sie beim Schwitzen verlieren.
Auch Alkoholkonsum, bestimmte Gefäßerkrankungen, Leber- und Niereninsuffizienz oder andere Erkrankungen können Muskelkrämpfe fördern. Bei Betroffenen, die unter den nächtlichen Krämpfen leiden, sollte daher zunächst abgeklärt werden, ob eine Ursache auffindbar ist oder es sich tatsächlich um idiopathische Krämpfe handelt.
Häufigkeit und Ursachen von Muskelkrämpfen: Muskelkrämpfe, insbesondere nächtliche Wadenkrämpfe, treten häufig auf, besonders bei älteren Menschen. Sie können idiopathisch (ohne erkennbare Ursache) oder durch Faktoren wie körperliche Belastung ausgelöst sein. Häufige Ursachen wie Dehydration, Elektrolytmangel, Alkohol, und bestimmte Erkrankungen sollten ausgeschlossen werden.
Therapieansätze und Evidenzlage: Die Wirksamkeit vieler Behandlungsmethoden, wie Magnesium oder Vitamin K2, ist bisher nicht ausreichend belegt. Eine chinesische Studie zeigt jedoch einen möglichen Nutzen von Vitamin K2, der aber noch weiterer Forschung bedarf. Chininpräparate gelten als wirksam, sollten jedoch wegen potenzieller Nebenwirkungen nur bei schweren Fällen eingesetzt werden.
Vorbeugung und Maßnahmen: Regelmäßige Dehnübungen können helfen, akute Krämpfe zu lindern. Vorbeugung ist schwierig, aber Sportler sollten auf eine ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit und Elektrolyten achten, um Krämpfe zu minimieren.
Quellen:
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