Was haben eine näselnde Aussprache und Schluckprobleme gemeinsam? Beide können auf Myasthenia gravis hinweisen. Welche ähnlichen Syndrome es noch gibt und woran ihr sie erkennt, lest ihr hier.
Bei einem myasthenen Syndrom kommt die Nervenerregung nicht oder nicht ausreichend beim Muskel an. Die häufigste Form ist die Myasthenia gravis, die bei den Augenlidern beginnt und sich dann meist als generalisierte Form im ganzen Körper bemerkbar macht. In den vergangenen Jahrzehnten hat man viel über die Biologie der myasthenen Syndrome dazugelernt und neue Therapien entwickelt, so dass die Krankheit heute als gut behandelbar gilt und Betroffene im Schnitt fast normal lange leben.
Da sich mit jedem Quäntchen Wissenszuwachs Diagnose und Therapie verkomplizieren, ist es gut, dass die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) ihre S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome“ soeben aktualisiert hat. Neben weiteren deutschen haben auch eine österreichische und eine schweizerische Fachgesellschaft mitgewirkt.
Um die meisten – wenn auch nicht alle – Ursachen myasthener Syndrome zu verstehen, hilft ein Blick in die Physiologie: Nerven setzen bei Erregung den Neurotransmitter Acetylcholin frei, der auf der Muskelseite an Rezeptoren andockt, wodurch sich der Muskel zusammenzieht. Bei den myasthenen Syndromen gibt es in den meisten Fällen zu wenige Rezeptoren, weil Antikörper die Rezeptoren blockieren, sie vernetzen oder das Komplementsystem aktivieren, das Löcher in die Zellmembran bohrt. Deshalb schwächelt das Signal – und damit auch die Muskelkontraktion. Es gibt aber auch Fälle, in denen das Immunsystem andere Strukturen angreift oder gar nicht beteiligt ist.
Bei drei Viertel der Patienten ebbt die Krankheit über die Jahre weitgehend oder vollständig ab. Geheilt sind die Menschen aber nicht wirklich. Denn auch nach dem Verschwinden der Symptome kann die Krankheit durch Infektionen, Operationen, Schwangerschaften und Medikamente reaktiviert werden. Kritsch wird es bei einer myasthenen Krise mit Atemnot und Schluckblockade. Red Flags sind unter anderem ein fieberhafter Infekt, näselnde Aussprache, wenn beim Essen und Trinken Nahrung und Flüssigkeit in die Nase gelangen, oder wenn der Unterkiefer nach längerem Kauen nach unten klappt. Diese Warnzeichen sind sehr ernst zu nehmen – denn 12 % aller Klinik-Patienten mit myasthener Krise sterben.
Die Therapie der myasthenen Syndrome richtet sich nicht nur nach den Symptomen, sondern zunehmend auch nach den Strukturen, die von den Autoantikörpern angegriffen werden. Zum einen will die Therapie die Symptome lindern, etwa mit einem Acetylcholinesterase-Hemmer wie Pyridostigmin-Bromid. Zum anderen will sie den Verlauf günstig beeinflussen, etwa mit einer Glukokortikoid-Immuntherapie oder mit einer intensivierten Therapie mit monoklonalen Antikörpern – z. B. mit Rituximab, der alle B-Lymphozyten aus dem Verkehr zieht.
Ein Problem ist, dass viele der empfohlenen Medikamente nicht für die Behandlung der myasthenen Syndrome zugelassen sind. Hier beziehen die Autoren klar Stellung: „Diese Einschränkungen der freien Therapiewahl dürfen nicht dazu führen, dass Patienten eine potenziell wirksame Therapie vorenthalten wird.“ Ein Off-Label-Use ist beispielsweise gerechtfertigt, wenn Patienten zugelassene Mittel nicht vertragen, nicht darauf ansprechen oder zu viel davon nehmen müssten.
Ein weiterer, etwas nebulöser Punkt ist die Rolle des Thymus: Die scheint jedenfalls für die Krankheit so entscheidend zu sein, dass der Thymus bei Patienten zwischen 18 und 65 Jahren mit generalisierter Myasthenia Gravis und Acetylcholinrezeptor-Antikörpern zügig entfernt werden sollte.
Die Leitlinie geht leider nicht darauf ein, warum der Thymus so wichtig ist – schließlich reifen im Thymus T-Lymphozyten, während die Krankheits-relevanten Antikörper ja von B-Lymphozyten stammen. Auch wird eine im August 2023 im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie nicht diskutiert, die zu dem Schluss kommt, dass thymektomierte Patienten ein paar Jahre kürzer leben und häufiger Krebs sowie und Autoimmunkrankheiten bekommen.
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