Sie gelten als Wundermittel gegen alles: Probiotika. Sogar beim Abnehmen sollen sie helfen – ein Blick auf die Fakten lässt daran allerdings Zweifel aufkommen.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Die Feiertage liegen hinter uns, die Blicke richten sich wieder auf die Waage. Dabei probieren Patienten allerlei Strategien aus, um die Fettpölsterchen wieder loszuwerden. Auch Probiotika kommen dabei gerne zum Einsatz. Nun untersuchen Forscher in einer Übersichtsarbeit die Wirkung von Laktobazillen und Bifidobakterien auf Gewicht und Körperfett. Was sie dabei herausfanden, lest ihr hier.
Eine Dysbiose kann verschiedene Erkrankungen begünstigen und wird auch mit der Entwicklung von Übergewicht und Adipositas in Verbindung gebracht. Untersuchungen haben gezeigt, dass Übergewicht und Adipositas mit strukturellen und funktionellen Veränderungen der Darm-Mikrobiota einhergehen, die bei normalgewichtigen Menschen nicht beobachtet werden. Das macht die intestinale Mikrobiota zu einem potenziellen therapeutischen Ziel. Seit geraumer Zeit wird deshalb verstärkt geprüft, ob eine Modulation der Darm-Mikrobiota mittels probiotischer Zubereitungen Übergewicht und Adipositas nachhaltig reduzieren kann.
Als Probiotika finden aktuell vor allem Bakterien der Gattungen Laktobacillus, Bifidobacterium, Enterococcus und Escherichia coli sowie Hefepilze der Gattung Saccharomyces Verwendung. Mittlerweile werden eine Vielzahl therapeutisch nutzbarer Mikroorganismen als Nahrungsergänzungsmittel (NEM) in Form von Kapseln, Granulat oder Flüssigkonzentraten bzw. als Zusätze zu Lebensmitteln (functional food) für die unterschiedlichsten Anwendungsgebiete angeboten.
Seit 2012 dürfen Probiotika keine arzneimittelrechtlich geschützten Indikationen mehr beanspruchen – es sei denn sie wurden explizit als Arzneimittel zugelassen. Das Verbot basiert auf der Verordnung EG Nr. 1924/ 2006 (Health Claims-Verordnung). Diese Verordnung schreibt vor, dass mit gesundheitsbezogenen Aussagen nur dann für Nahrungsergänzungsmittel und funktionelle Lebensmittel geworben werden darf, wenn sie von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geprüft und von der EU-Kommission genehmigt wurden.
Da bisher jedoch keine ausreichenden wissenschaftlichen Nachweise für die gesundheitliche Wirkung probiotischer Nahrungsergänzungsmittel und funktioneller Lebensmittel erbracht werden konnten, sind Gesundheitsversprechen für solche freiverkäuflichen Produkte untersagt. Bakterienhaltige Nahrungsergänzungsmittel werden deshalb oft in Kombination mit Mikronährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe) angeboten, für die genehmigte gesundheitsbezogene Aussagen vorliegen (z.B. Stärkung der Abwehrkräfte oder Erhaltung der Knochengesundheit etc.).
Die wachsende Anzahl randomisierter klinischer Studien, die seit der Jahrtausendwende über den Zusammenhang zwischen Probiotika und Gewichtsabnahme veröffentlicht wurden, hat in der Folge zu einem starken Anstieg systematischer Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zu diesem Thema geführt. Iranische Wissenschaftler haben nun die vorhandene Evidenz im Rahmen eines Umbrella-Reviews (Metaanalyse über Metaanalysen) analysiert und neu bewertet. Die Ergebnisse wurden im Dezember 2024 in der Zeitschrift Probiotics and Antimicrobial Proteins veröffentlicht.
Anhand von vorab definierten Kriterien (PICO: population, intervention, comparison, outcome) durchsuchten die Wissenschaftler zunächst die einschlägigen Literatur-Datenbanken PubMed, Embase, Cochrane Library und Google Scholar nach systematischen Übersichtsarbeiten (SR) und Metaanalysen (MA), welche die Wirkung probiotischer Zubereitungen auf das Körpergewicht und das Körperfett Erwachsener im Vergleich zu Placebo im Rahmen von randomisieren kontrollierten Studien (RCT) analysiert hatten.
Eingeschlossen wurden ausschließlich englischsprachige Veröffentlichungen ohne Einschränkung des Publikationszeitraums. Die Studienpopulationen umfassten sowohl übergewichtige als auch adipöse Erwachsene. Ausgeschlossen wurden Übersichtsarbeiten, die Studien mit Schwangeren, Patienten mit gastrointestinalen Erkrankungen, Frauen mit polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS), Personen nach bariatrischen Operationen sowie Minderjährigen beinhalteten.
Im Fokus der Forscher standen die Endpunkte:
Die methodische Qualität der Reviews und Metaanalysen wurde anhand der AMSTAR-2-Kriterien (A Measurement Tool to Assess Systematic Reviews) in die Kategorien hoch, mittel, niedrig und gering eingestuft. Die Glaubwürdigkeit der Evidenz wurde in Anlehnung an das GRADE-System anhand der Stufen überzeugend (Grad 1), moderat (Grad 2), niedrig (Grad 3) und gering (Grad 4) beurteilt. Sämtliche Ergebnisse wurden gemäß des PRISMA-Protokolls (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses) und den Cochrane-Richtlinien aufgearbeitet und dokumentiert. Alle SR und MA wurden von zwei Gutachtern unabhängig voneinander geprüft; bei unterschiedlichen Einschätzungen von methodischer Qualität und wissenschaftlicher Evidenz wurde ein dritter Gutachter hinzugezogen.
Insgesamt 23 Publikationen erfüllten die Ein- und Ausschlusskriterien. Dabei handelte es sich um fünf systematische Übersichtsarbeiten und 18 Metaanalysen. 17 Metaanalysen umfassten RCT, die eine Kombinationstherapie mit Laktobazillen und Bifidobakterien zum Gegenstand hatten. Eine Metaanalyse beinhaltete ausschließlich RCT, die nur die Wirksamkeit von Monotherapien mit Laktobazillen untersuchten. Alle achtzehn Metaanalysen zusammen umfassten insgesamt 25.418 Studienteilnehmer. Lediglich acht Metanalysen schlossen mehr als 1.000 Fälle ein. Die Beobachtungsdauer der eingeschlossen Einzelstudien variierte zwischen zwei und 26 Wochen, wobei die mittlere Studiendauer bei vier bis acht Wochen lag.
Acht MA hatten eine hohe und drei MA eine akzeptable methodische Qualität. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz wurde jedoch in keinem Fall als überzeugend eingestuft. MA, die nicht als Volltext-Publikationen vorlagen, wurden von der Bewertung ausgeschlossen. Elf MA enthielten Angaben zum Einfluss von Probiotika auf den BMI, zehn auf das Körpergewicht und jeweils vier MA bewerteten zusätzlich die Wirkung von Probiotika auf die absolute bzw. relative Fettmasse.
Bei allen vier Endpunkten ergaben sich statistisch hochsignifikante Ver-besserungen. Die durchschnittliche Reduktion der Endpunkte war:
Auch wenn alle durchgeführten Analysen auf nominalem Niveau statistisch signifikant waren, so ist das Ausmaß der ermittelten Effekte auf BMI, BW und BFM im Vergleich zu herkömmlichen Gewichtsreduktionsstrategien (z. B. Intervallfasten, mediterrane Ernährung, Low-Carb, Formuladiäten etc.) vergleichsweise schwach ausgeprägt und von geringer klinischer Relevanz. Zum Vergleich: Die Deutsche Adipositas Gesellschaft erachtet einen monatlichen Gewichtsverlust von 2 kg als erstrebenswert und realistisch. Hinzu kommt, dass zahlreiche Einzelstudien widersprüchliche Ergebnisse zeigten.
Die Aussagen von Umbrella-Reviews basieren immer auf hochaggregierten Daten, die in der Regel mit einem erheblichen Detailverlust verbunden sind. So fehlen z. B. separate Analysen zu verschiedenen Ethnien, Altersklassen, Grunderkrankungen, Begleitmedikationen, übergewichtigen und adipösen Studienteilnehmern, Frauen und Männern sowie zu Nebenwirkungen und Abbruchraten. Ebenfalls unberücksichtigt blieben Einflüsse relevanter Ergebnistreiber wie z. B. Ernährungsgewohnheiten (Ballaststoffzufuhr, Verzehr von frischem Obst und Gemüse, stark verarbeiteten Fertigprodukten, Kalorienaufnahme etc.), Alkohol- und Nikotinkonsum sowie Bewegungsverhalten und Stressbelastung.
Darüber hinaus enthalten die Analysen keinerlei Angaben zur Zusammensetzung der probiotischen Zubereitungen. Marktübliche Produkte enthalten entweder nur eine Bakterienart, so genannte Mono-Spezies-Präparate, oder bis zu 53 verschiedene Bakterienarten (Multi-Spezies-Präparate). Vor dem Hintergrund, dass ein gesunder Darm nach derzeitigem Erkenntnisstand etwa 1.000–1.500 unterschiedliche Bakterienarten beherbergt, erscheinen selbst 53 verschiedene Spezies eher wenig, um eine nachhaltige Veränderung der intestinalen Mikrobiota zu bewirken. Zudem gibt es auch keine Information zur Dosierung der Mikroorganismen. Experten empfehlen aktuell Präparate mit mindestens 20 Milliarden koloniebildenden Einheiten (KBE). Angesichts der Tatsache, dass ein gesunder Darm nach aktueller Forschungslage etwa 10 bis 100 Billionen Bakterien beherbergt, erscheint auch diese Menge eher gering, um die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota dauerhaft verändern zu können. Unbeantwortet bleibt auch die Frage nach den Mischungsverhältnissen der verschiedenen Spezies.
Vorsichtig formuliert könnte man sagen, dass der vorgelegte Umbrella-Review erste Anhaltspunkte für die Wirkung von Probiotika bei der Gewichtsregulation erkennen lässt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können jedoch noch keine konkreten Empfehlungen zum Einsatz von Probiotika zur Gewichtsreduktion gegeben werden. Für fundierte Aussagen sind weitere Studien mit standardisierten Probiotika-Zubereitungen, verbesserter methodischer Qualität und stärkerer Evidenz erforderlich. Bis dahin müssen die Fettpölsterchen, die sich über Weihnachten und Neujahr gebildet haben, weiterhin mit den bewährten Mitteln „weniger essen und mehr bewegen“ zum Abschmelzen gebracht werden.
Zusammenfassung für Eilige:
Begrenzte Wirksamkeit: Probiotika zeigen laut Studien nur geringe Effekte auf Gewicht, BMI und Fettmasse, die im Vergleich zu traditionellen Abnehmstrategien klinisch wenig relevant sind.
Evidenz und Einschränkungen: Die methodische Qualität vieler Studien ist variabel, es fehlen differenzierte Analysen zu Faktoren wie Ernährung, Bewegung und individuellen Unterschieden. Zudem sind Zusammensetzung und Dosierung der Probiotika oft unklar.
Fazit und Ausblick: Aktuell reichen die wissenschaftlichen Belege nicht aus, um Probiotika als effektive Methode zur Gewichtsreduktion zu empfehlen. Bewährte Ansätze wie Ernährungsumstellung und Bewegung bleiben zentral.
Quellen:
Bildquelle: Volodymyr Hryshchenko, Unsplash