Protonenpumpenhemmer (PPI) sind aus der Gastroenterologie nicht mehr wegzudenken. Die Substanzgruppe gehört zu den häufigsten verordneten Medikamenten und wird auch als OTC-Produkt immer besser verkauft. In Deutschland werden fast eine Milliarde Euro jährlich mit PPI umgesetzt. Eine Überversorgung oder bloßer Generalverdacht?
Die Tatsache, dass Omeprazol-Zubereitungen in großem Stil gefälscht wurden, belegt die finanzielle Bedeutung dieser Substanzgruppe. Im Fall massenhaft gefälschter Omeprazol-Kapseln hat das Landgericht Stuttgart im Mai 2014 zwei Männer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Durch die Brüder waren zwischen 2008 und 2013 mehr als 600.000 Packungen mit gefälschten Omeprazol-Kapseln in Apotheken und so auch zum Patienten gelangt. Die Qualität war jedoch so gut, dass für die Patienten keine Gefahr bestand.
Die Gründe für den PPI-Boom sind vielfältig. Häufig werden die Säureblocker als Begleitmedikation bei NSAR oder Thrombozytenaggregationshemmern eingesetzt. Während und nach einem Klinikaufenthalt wird sehr großzügig eine Stressulkusprophylaxe betrieben. Eine Unsitte ist auch die Gabe bei uncharakteristischen Oberbauchschmerzen. Durch die deutliche Indikationseinschränkung von Metoclopramid wird das bestimmt nicht weniger werden. Lange Zeit galten PPI als gut verträgliche Pharmaka. Nicht zuletzt durch die breite und großzügige Anwendung kristallisieren sich Neben- und Wechselwirkungen heraus. Die Werbeaussage, PPI wirken „magenschützend“, suggeriert Ärzten und Patienten eine Therapiesicherheit, die kritisch hinterfragt werden muss. Erhebungen in Australien, Großbritannien und Irland haben gezeigt, dass die Verordnung von PPI bei bis zu zwei Dritteln der Patienten von den nationalen Leitlinien abweicht, so das Ergebnis einer Studie von Forgacs et al.
Bei einer PPI-Therapie bei Refluxösophagitis muss ein Barrett-Ösophagus ausgeschlossen werden. Dieses Barrettepithel ist als Präkanzerose einzustufen, aus der sich in seltenen Fällen ein Adenokarzinom bilden kann. Eine PPI-Dauertherapie kann zwar die Barrettmukosa nicht rückbilden, aber durch die Säureblockade kann die Proliferation des Barrettepithels vermindert und der Differenzierungsgrad der Zellen gesteigert werden. Eine PPI-Therapie führt häufig zu einer Hypergastrinämie. Gastrin übt einen trophischen Effekt auf Zellen aus und könnte somit eine Zellproliferation begünstigen. Vermutlich trägt Gastrin u.a. zur Entstehung gastrointestinaler und neuroendokriner Tumore bei. Entwarnung scheint es für den Verdacht zu geben, PPI könnten das Magenkarzinomrisiko steigern. Eine prospektive Studie von Poulsen et al. mit 18.790 Patienten belegte, dass es unter einer PPI-Therapie nicht zu einem signifikanten Anstieg der Inzidenz von Magenkarzinomen kommt.
Etwa 10 Prozent aller Patienten unter einer NSAR-Therapie entwickeln ein gastroduodenales Ulkus. Die Risikogruppe ist klar definiert und zahlreiche Studien beweisen, dass durch gleichzeitige Verabreichung eines PPIs die Ulkusinzidenz während einer NSAR-Therapie deutlich gesenkt werden kann. Bei Helicobacter-positiven Patienten kann das Risiko der Entwicklung eines Ulkus gesenkt werden, wenn vor Beginn der NSAR-Therapie eine Eradikation durchgeführt wird.
Zahlreiche Patienten berichten nach Absetzen eines PPI von einem Acid-Rebound. In einer Metaanalyse von Lodrup et al. wurde dies bestätigt: In zwei von fünf Studien berichteten 44 Prozent der asymptomatischen Probanden über säureassoziierte Beschwerden, die bis zu vier Wochen nach Absetzen des PPI anhielten. In den anderen drei Studien wurde geprüft, ob Refluxpatienten ebenfalls einen Acid-Rebound beklagen. Kurioserweise berichtete diese Patientengruppe über keine säurebedingten Beschwerden nach Beendigung der Therapie. Nach einer Untersuchung von Juul-Hansen et al. tritt bei einer Bedarfsmedikation mit PPI kein Säure-Rebound auf.
Eine erhöhte Frakturrate wurde unter PPI-Medikation mehrfach beschrieben. In einem Kollektiv der Nurses’ Health Study mit insgesamt ca. 80.000 postmenopausalen Frauen war das Risiko für Schenkelhalsfrakturen unter regelmäßiger PPI-Einnahme um etwa 35 Prozent erhöht. Besonders Raucherinnen aber auch Ex-Raucherinnen waren von dieser Nebenwirkung betroffen. In der Literatur wird häufig die generalisierte Aussage getroffen, dass PPI das Frakturrisiko erhöhen. Das ist so pauschal nicht haltbar. Faktoren wie Frakturort, Geschlecht, BMI und Rauchstatus spielen eine Rolle. Die Studie belegte, dass Nichtraucherinnen unter PPI-Therapie kein erhöhtes Risiko für Frakturen der Hüfte haben.
Alle Protonenpumpenhemmer vermindern wegen einer pH-Wert-Anhebung die Resorption von Ketoconazol, Itraconazol und Eisensalzen. Omeprazol steigert durch Enzyminhibition die Wirkstoffspiegel von Diazepam, Phenytoin und Warfarin. Bei gleichzeitiger Gabe mit Clarithromycin wurden die Plasmakonzentrationen beider Arzneistoffe erhöht. Verglichen mit den anderen PPI hat Omeprazol das mit Abstand größte Interaktionsrisiko. Omeprazol kann den Geruchs- und Geschmackssinn beeinflussen. Außerdem sind unter dem PPI-Klassiker irreversible Sehstörungen und Gesichtsfeldausfälle bis hin zur Erblindung aufgetreten und Hörstörungen beschrieben worden. Die Gefahr ist bei der i.v.-Gabe deutlich größer als bei peroraler Applikation. Außerdem liegen Verdachtsfälle von allergischer Vaskulitis und Fieber vor. Die KV Westfalen-Lippe hat Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnung von PPI veröffentlicht: Apothekenpflichtige PPI zur kurzzeitigen Behandlung von refluxartigen Symptomatiken (z.B. bei Erstkontakt) zur Selbstmedikation auf grünem Rezept verordnen.
Die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGIM) hat die Kampagne „Smarter Medicine“ gestartet, um der Überversorgung zu begegnen. „Protonenpumpenhemmer (PPI) zur Reduktion von Reflux-Symptomen werden oft unnütz und ohne präventive Wirkung eingesetzt“, so die Kritik. Der Konsum von PPI habe in den letzten Jahren enorm zugenommen. In Genf sei er zwischen 2000 und 2008 um fast 500 Prozent gestiegen. Die Notwendigkeit einer Langzeitbehandlung müsse nicht zuletzt auch wegen der Nebenwirkungen sorgfältig geprüft werden. Darüber berichtete die Neue Zürcher Zeitung im Mai 2014.
Der optimale Einnahmezeitpunkt von PPI wird in der Literatur unterschiedlich empfohlen. Eine pauschale Empfehlung lässt sich nicht aussprechen, da sich die einzelnen PPI hinsichtlich ihrer Kinetik und des Resorptionsverhaltens unterscheiden. Die Nahrung kann einen Einfluss auf die Resorptionsmenge und -geschwindigkeit haben, der pH-Wert im Magen auf die Metabolisierung.
PPI sind Prodrugs, die erst nach der enteralen Resorption und Verteilung in die Parietalzellen der Magenschleimhaut aufgenommen werden. Dort werden sie im sauren Milieu in ihren aktiven Metaboliten umgewandelt. Die PPI werden umso schneller in die aktive Wirkform metabolisiert, je niedriger der pH ist. Deshalb wird unabhängig von der Substanz empfohlen, PPI 30-60 Minuten vor dem Essen einzunehmen. Kurz gesagt: PPI immer nüchtern einnehmen, bei einigen Substanzen ist es wichtiger als bei anderen.
Das neu zugelassene Dexlansoprazol ist das Enantiomer des racemischen Lansoprazols. Nach oraler Gabe von Lansoprazol macht das R-Enantiomer mehr als 80 Prozent des zirkulierenden Wirkstoffes aus und es hält sich auch länger im Plasma auf. Die zweifach retardierte Arzneistofffreisetzung in Form der Dual Delayed Release (DDR) technology soll eine Wirkdauer über 24 Stunden erlauben. Ob dies einen Nutzwert in der Praxis hat und den hohen Preis rechtfertigt, muss abgewartet werden.
Der im Mai 2014 veröffentlichte Barmer-GEK-Arzneimittelreport mahnt, PPI nicht unter den Generalverdacht einer Überverordnung zu stellen. Zwar ist die Verordnung deutlich gestiegen, aber weniger als 30 Prozent der älteren Patienten unter NSAR-Therapie erhalten einen PPI. Bei Patienten, die zusätzlich orale Kortikoide einnehmen, liegt die Therapierate bei immerhin 42,8 Prozent. Gerade diese beiden Zielgruppen profitieren jedoch deutlich von einer therapiebegleitenden PPI-Gabe.