TEIL 2 | In meinen 25 Jahren öffentlicher Apotheke habe ich so einiges erlebt: Stromausfälle, Notarzteinsätze, schlechte Chefs und klauende Azubis – hier kommt Teil 2 meiner persönlichen Highlights.
In unserer Schweizer Apotheke gab es viele Feueralarme – gebrannt hat es aber bei mir zum Glück noch nie. Als ehemalige Feuerwehrfrau und heutige SiBe (Sicherheitsbeauftragte) weiß ich, wie wir uns verhalten müssen und wie wir löschen, aber alles was wir bisher hatten, waren (diverse) Fehlalarme. Die sind gut hörbar und eine Brandschutzwand senkt sich beim Eingang. Erstaunlich finde ich immer, wie ungeniert die meisten einfach weitermachen, als wäre nichts. Wir schließen gerade laufende Verkäufe ab und schicken die Leute dann direkt nach draußen – was bei einigen enorme Überzeugungsarbeit kostet. Sogar dann, wenn Rauch in der Luft riechbar ist.
Aber dann wären da noch die Überschwemmungen. Inzwischen ist es nicht ein, sondern zwei Mal passiert, dass wegen einer Fehlfunktion der Sprinkleranlage die Apotheke unter Wasser gesetzt wurde. Zum Glück kam das Wasser aber nicht direkt von oben, so war der Schaden nicht ganz so groß. Das erste Mal hat mich die anwesende älteste Drogistin in Panik angerufen, was sie denn machen soll, das zweite Mal habe ich selber gearbeitet. Wen es interessiert: alles Elektrische vom Boden auf die Tische stellen (Computer, Drucker, Schredder), dann alles, was Wasser ziehen und kaputtgehen kann, aus dem Wasser nehmen, dann die Feuerwehr anrufen. Bis die kommt, versuchen, das Wasser aufzuhalten (geht schlecht) und dann das Wasser aufsaugen … außer den professionellen Pumpen der Feuerwehr eignen sich dafür eventuell vorhandene Teppichreinigungsgeräte bestens. Danach kommen Wischmop und Tücher zum Einsatz. Und anschließend Gebäudetrocknungsgeräte – die kann man von Baufirmen mieten.
Ich habe ein Erdbeben erlebt. Kein großes – etwa 3,5 auf der Richterskala – aber gut spürbar. Alle Flaschen in den Regalen haben gewackelt und sind klirrend aneinandergestoßen. Nur zwei Sachen sind umgekippt. Das war weniger Schaden (außer dem psychologischen „die Erde ist nicht sicher“) als damals, als das Biotta-Flaschen-Regal nachts den Geist aufgegeben hat und den Boden mit kaputten Glasflaschen und viel buntem Saft überzogen hat.
Vor ein paar Jahren hatten wir einen Sommer, in dem wir mehrmals Stromunterbrüche hatten. Das ist in der Apotheke aus verschiedensten Gründen unangenehm – nicht nur, weil dann das Licht und die Klimaanlage ausfallen. Der Kühlschrank hat ein Notaggregat (inkludierte Batterie), der läuft noch etwas weiter, aber der Inhalt darf wirklich nicht über 8 Grad kommen (sonst muss ich das meiste entsorgen oder schauen, wie lange man es noch brauchen kann – die Verfalldaten gelten nach so etwas nicht mehr).
Ohne Strom auch keine Computer – und damit kein Zugang zu Patientendossiers, Internet und allen Infos, die man sonst noch drauf hat, wie zum Beispiel die Medikamentenpreise (die heute für nicht frei Verkäufliches wegen rascher Wechsel nicht mehr auf der Packung stehen). Das Telefon funktionierte noch; wir mussten dann die Preise bei jedem Verkauf (nur Bar möglich) bei der Partnerapotheke nachfragen. Heute haben wir einen Notfallplan und Handys, mit denen wir über das (hoffentlich noch laufende Netz) Informationen aus dem Internet ziehen … und Zahlungen via QR-Code annehmen können. Außerdem haben wir einen großen Akku, um die Handys aufzuladen und viele Lampen (Stirn-, Stab- und Stehlampen), die geladen parat liegen. Trotzdem: Das brauche ich nicht so schnell wieder.
Diverse medizinische Vorfälle in und vor der Apotheke, vom extremen Asthma-Anfall bei einem Kind über lebensbedrohliche allergische Reaktionen (auf Essen) bei einem Erwachsenen, abgeschnittenen Fingerteilen, Herzinfarkt, epileptischen Anfällen, Erbrechen, Kreislaufkollaps, einem Schlaganfall … bei einigen mussten Sanitäter gerufen werden, wogegen sich manche Betroffene erstaunlich gewehrt haben.
In der Apotheke wohl häufiger als in anderen Einrichtungen: die Erfahrung, dass es Leute gibt, die so gut wie jedes Mittel missbrauchen. Bei manchen ist mir schon klar, weshalb (Schlaf- und Beruhigungsmittel, starke Schmerzmittel, Amphetamine, Gabapentinoide, Betablocker). Andere fand ich überraschender: Biperiden (Mittel gegen Parkinson), Loperamid (Mittel gegen Durchfall), Antidepressiva. Manche finde ich absolut unerklärlich: Diosmin (Flavonoide für Venenleiden), Atorvastatin (Cholesterinmittel) – dazu habe ich bis heute keine Erklärung, außer, dass jemand hamstert. In dem Zusammenhang auch gefälschte Rezepte, viele. Und interessante Reaktionen der Leute darauf, wenn sie dabei ertappt werden.
Inzwischen erlebte ich etwa 30 (durchschnittlich 1 pro Jahr, manchmal 2). Mit den allermeisten hatten wir Glück und es war toll zu sehen, wie sie sich im Lauf der Ausbildung gewandelt haben und zuversichtlicher, sicherer und erwachsener wurden. Ausnahmen gab es auch – den klauenden Lehrling und einen, den wir im ersten Jahr wieder gehen ließen, weil seine Drogensucht und sein Verhalten dem gegenseitigen Vertrauen nicht zuträglich waren. Am meisten enttäuscht hat mich aber die Person, die wir als Lehrling angenommen hatten und die uns dann 3 Wochen vor Lehrbeginn mitteilte, dass sie aufgrund guter Schulnoten jetzt doch beschlossen hätte, ans Gymnasium zu gehen. Sowas weiß man vorher – und in der Zeit finden wir auch keinen neuen Lehrling (den man dann ja auch in der Schule anmelden muss etc.).
Inzwischen durfte ich sieben kennenlernen. Das hört sich nach viel an, aber man bedenke: in 25 Jahren. Mit den meisten habe ich noch Kontakt. Zwei wurden danach Pharma-Vertreter, vier haben die Leitung einer Drogerie woanders übernommen und sind wegen der Gelegenheit und/oder Familie weggegangen. Nur bei zweien habe ich den Abgang nicht bedauert: Die eine fand ich persönlich schwierig zum Zusammenarbeiten (aber professionell); sie hat sich anschließend sehr unfair gegenüber anderen Mitarbeitern benommen. Die andere war kein guter Chef, überfordert, hatte kein Vertrauen und hat uns am Ende monatelang und ohne Erklärung hängen lassen, indem sie sich einfach wiederholt krank schreiben ließ.
Neues Chemikaliengesetz, neues Biozidgesetz, neues Kosmetikgesetz, neues Heilmittelgesetz, neues Lebensmittelgesetz … betrifft alles direkt die Apotheke und man muss immer up to date bleiben. Ich darf manche Sachen, die ich früher so nicht durfte (Rezeptpflichtiges ohne Rezept abgeben, Dienstleistungen wie Impfen, Medikamente selber ersetzen, ev. importieren), ich darf Sachen nicht mehr machen, die ich durfte (Auffüllen, gewisse Chemikalien und Mittel abgeben, Alkohol zum Desinfizieren selber herstellen), manches wurde stark verkompliziert (Hauskosmetik herstellen, überhaupt Herstellungen und Etikettieren, Bio-Produkte führen). Dann die ganzen Änderungen bei den Medikamenten – Neuerfindungen, alte werden obsolet, es gibt viel mehr Generika, es wird schwerer manches zu beschaffen, Limitationen bei den Kassen und so weiter.
Grundsätzlich ist es auch in der Apotheke so: Es bleibt fast nichts, wie es ist. Aber solange ich mich an die Veränderungen anpassen kann, bleibe ich euch in der öffentlichen Apotheke erhalten – auch, wenn mir das zunehmend schwerer fällt.
Bildquelle: Debby Hudson, Unsplash