Die Einnahme von Antibiotika könnte die Fruchtbarkeit negativ beeinflussen – dabei rettet sie oft Leben. Was jetzt eine neue Studie festgestellt hat und warum sie missverstanden werden könnte, lest ihr hier.
In Deutschland ist nahezu jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Oft können Ärzte den Betroffenen helfen; die Reproduktionsmedizin macht große Fortschritte. Gleichzeitig wird immer deutlicher, welche Rolle die Gesundheit vor der Empfängnis spielt, etwa durch die Behandlung chronischer Krankheiten, durch optimale Ernährung, durch die Kontrolle des Körpergewichts – und allgemein durch einen gesunden Lebensstil.
Jetzt rücken Antibiotika als Risikofaktoren für Infertilität stärker in den Fokus. Im Jahr 2022 haben Ärzte bundesweit rund 31 Millionen Antibiotika-Verordnungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgestellt, was etwa 4 Prozent aller ambulanten Verordnungen entspricht – ein Anstieg im Vergleich zu 2020 und 2021.
Es geht aber nicht nur um die bekannte Gefahr von Antibiotika-Resistenzen – die Wirkstoffe haben auch negative Folgen wie ein erhöhtes Risiko von Frühgeburten. Und Clindamycin, Doxycyclin, Chinolone, Makrolide bzw. Phenoxymethylpenicillin können zu fetalen Fehlbildungen führen.
Darüber hinaus liefern Tierexperimente Hinweise auf mehr Fehlgeburten, auf ein niedrigeres Geburtsgewicht und auf Allergien im späteren Leben, sollten Frauen mit Kinderwunsch Antibiotika einnehmen. Aber lassen sich die Erkenntnisse wirklich auf Menschen übertragen? Das wollten Wissenschaftler jetzt mit einer Review und Metaanalyse klären.
Die Forscher berichten, dass die Einnahme von Antibiotika vor der Empfängnis mit mehr Infertilität, mehr Fehlgeburten und mehr angeborenen Missbildungen in Verbindung steht:
Credit: Alemu et al.
Bei ihrer systematischen Recherche in Literaturdatenbanken fanden die Wissenschaftler 15 methodisch geeignete Studien mit insgesamt 1.206.583 Teilnehmerinnen. Unfruchtbarkeit wurde definiert als ausbleibende Schwangerschaft nach 12 Monaten ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Die Frauen erhielten Antibiotika nicht nur vom Arzt, sondern in manchen Ländern auch vom Apotheker. Lebensmittel und weitere Umweltquellen kamen mit hinzu.
Die Exposition gegenüber Makrolid-Antibiotika vor der Empfängnis war mit einer um 35 Prozent verringerten Fertilitätsrate assoziiert. Frauen, die Sulfonamid-Antibiotika bekamen, hatten ein 2,35-fach erhöhtes Risiko für Unfruchtbarkeit. Dagegen standen Beta-Laktam-Antibiotika und Chinolone mit einem um 64 Prozent bzw. 13 Prozent niedrigeren Risiko einer Unfruchtbarkeit in Verbindung.
Nahmen Frauen vor der Empfängnis Antibiotika ein, war die Medikation mit einem um 34 Prozent erhöhten Risiko für eine spontane Fehlgeburt und mit einem um 85 Prozent erhöhten Risiko für Fehlbildungen verbunden. Speziell Trimethoprim stand mit Geburtsanomalien in Verbindung.
„Unsere Studie legt nahe, dass die Antibiotika-Exposition vor der Empfängnis für Frauen im gebärfähigen Alter ein erhebliches reproduktionsmedizinisches Risiko darstellt“, schreiben die Autoren. Ärzte sollten für mögliche Risiken sensibilisiert werden. Weitere Studien seien aber erforderlich.
Aufgrund des Designs zeigt die Studie nur Assoziationen, aber keine Kausalitäten. Sie liefert auch keine Antwort auf die Frage, welche möglichen Pathomechanismen die Beobachtung erklären könnten.
Hypothesen haben die Autoren dennoch: Ältere Studien haben nämlich gezeigt, dass Makrolide und Sulfonamide entzündungshemmende Eigenschaften aufweisen. Genau hier könnte, so die Vermutung, ein Problem liegen. Das Einnisten der befruchteten Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) ist mit einer kontrollierten entzündlichen Reaktion verbunden.
Dem Mikrobiom schreiben die Forscher auch eine wichtige Rolle zu. Antibiotika verringern die mikrobielle Vielfalt, das ist bekannt. Bei Frauen mit unerklärlicher Unfruchtbarkeit fanden andere Forscher eine Assoziation mit einer geringeren Bakterienvielfalt als bei Frauen mit normaler Empfängnis.
Auch das Östrobolom (Estrobolom) – also die Gesamtheit der mikrobiellen Gene in der Darmflora – wird durch Antibiotika gestört. Diese Mikroorganismen regulieren, wie Östrogene im Körper verarbeitet, recycelt und ausgeschieden werden. Hier handelt es sich allerdings nur um Hypothesen, nicht um Erkenntnisse aus der Arbeit.
Das Problem liegt an ganz anderer Stelle: Schon heute glauben laut einer Befragung 13 Prozent aller Patienten, eine verkürzte Einnahmedauer von Antibiotika könne Resistenzen vorbeugen. Und fünf Prozent sind der Meinung, man könne die Behandlung abbrechen, wenn es keine Beschwerden mehr gebe.
Nun besteht die Gefahr, dass Frauen mit Kinderwunsch eine Antibiotika-Therapie aus Angst vor Infertilität, Fehlgeburten und Fehlbildungen ablehnen – vielleicht sogar, ohne ihren Arzt zu informieren.
Ob die als Hypothesen formulierten Mechanismen so den Tatsachen entsprechen, ist zumindest teilweise fraglich. Die meisten Antibiotika haben Halbwertszeiten im Bereich mehrerer Stunden, was Effekte auf die Embryonalentwicklung recht unwahrscheinlich macht. Möglicherweise verändern Antibiotika vor der Empfängnis das physiologische Milieu und das Mikrobiom mit negativen Auswirkungen auf die Fertilität.
Zusammenfassung für Eilige:
Nguyen, M. H. et al. Antibiotic use during pregnancy and the risk of preterm birth: a population-based Swedish cohort study. Journal Of Antimicrobial Chemotherapy, 2022. doi: 10.1093/jac/dkac053
Bildquelle: Niklas Hamann, Unsplash