Polioviren im Abwasser stießen die Diskussion rund um Impfungen erneut an. Denn aktuelle Zahlen zeigen: Insbesondere Erwachsene sind immer schlechter vor Krankheiten geschützt.
Ende November berichtete das RKI erstmals von Nachweisen von Polioviren, die aus dem Schluckimpfstoff stammen (circulating vaccine-derived poliovirus type 2, cVDPV2), in Abwasserproben aus München, Bonn, Köln und Hamburg. Anfang Dezember wurden diese Städte um Dresden, Düsseldorf und Mainz ergänzt. Seit der COVID-19-Pandemie werden Abwasserproben verstärkt als Frühwarnsystem eingesetzt, um zirkulierende Erreger frühzeitig zu identifizieren. Polioviren, die vom Schluckimpfstoff abgeleitet sind, können bei ungeimpften oder unzureichend geimpften Personen eine Polioerkrankung auslösen. Vor diesem Hintergrund ist es derzeit von besonderer Bedeutung, den Impfstatus der Bevölkerung zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Es empfiehlt sich zudem, einen Blick auf die aktuellen Impfquoten in Deutschland zu werfen.
Das RKI analysiert jährlich die Impfquoten für die von der STIKO empfohlenen Impfungen – basierend auf den vertragsärztlichen Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen. Bei Kindern und Jugendlichen zeigen die Impfquoten insgesamt ein hohes Niveau, jedoch besteht das Problem darin, dass Impfserien oft zu spät oder gar nicht abgeschlossen werden. So liegt die Impfquote für die ersten beiden Dosen der Impfstoffe gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis (DTP), Poliomyelitis und Haemophilus influenzae Typ b bei 94–97 %. Allerdings wird die letzte Dosis häufig nicht verabreicht, sodass bei 23 % der Kinder die vollständige Impfung fehlt und sie somit nicht ausreichend geschützt sind.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR): Die erste MMR-Impfung wurde im Jahr 2023 bei 87 % der Kinder verabreicht, die zweite Dosis jedoch nur bei 77 %. Auch hier sind somit 23 % der Kinder am Ende des zweiten Lebensjahres nicht ausreichend gegen MMR geschützt. In Deutschland werden Kinderimpfungen häufig bis zum Schulalter nachgeholt. Dennoch bedeutet dies, dass etwa ein Drittel der Kinder bis zum zweiten Lebensjahr nicht vollständig gegen DTP und MMR geschützt ist.
Und wie steht es um die Impfquote bei Jugendlichen gegen das Humane Papillomavirus (HPV)? Die HPV-Impfung wird in Deutschland seit 2007 für Mädchen und seit 2018 auch für Jungen empfohlen. Derzeit liegt die Impfquote bei Mädchen bei 55 % und bei Jungen bei 34 %. Das bedeutet, dass die Mehrheit der Jugendlichen noch keinen ausreichenden Schutz vor HPV-assoziierten Erkrankungen hat.
Die Impfquoten für die von der STIKO empfohlenen Impfungen für Erwachsene sind alarmierend niedrig: So liegt die Impfquote für die Influenza-Impfung bei der Standardindikation ab dem 60. Lebensjahr mittlerweile nur noch bei 38 %, bei der Indikationsimpfung sogar nur bei 31 %. Auch bei der Pneumokokken-Impfung ist die Quote besorgniserregend: Hier beträgt die Impfquote bei der Standardindikation ab 60 Jahren lediglich 20 %, bei der Indikationsimpfung liegt sie bei 23 %.
Die Impfung gegen SARS-CoV-2 wird allen Personen empfohlen, die ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe haben; darunter auch Menschen ab 60 Jahren. In der Saison 2023/2024 erhielten jedoch nur 16 % der Risikopatienten eine Auffrischimpfung gegen SARS-CoV-2. Bei Impfungen gegen respiratorische Erkrankungen ist nicht nur der Schutz vor schweren Krankheitsverläufen von entscheidender Bedeutung, sondern auch das erhöhte Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen nach solchen Infektionen.
Die RKI-Daten verdeutlichen, dass die Impfquoten für impfpräventable Erkrankungen in Deutschland dringend verbessert werden müssen. Jeder Kontakt von Patienten mit medizinischen Einrichtungen sollte daher genutzt werden, um über Impfungen aufzuklären, den Impfstatus zu überprüfen und gegebenenfalls Auffrischungsimpfungen oder Nachholimpfungen vorzunehmen.
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