Sie sollen gegen Schmerzen wirken, das Immunsystem boosten und sogar den Schlaf verbessern: Super Patches sind der neueste Trend auf Social Media. Doch was ist dran an dem Hype?
„Mehr Kalorien verbrennen (auch in Ruhe) und endlich keine Heißhungerattacken mehr“, so bewirbt der Hersteller von Superpatches seine Produkte. Doch damit nicht genug: „Willst du deine Power ausbauen? Mehr Leistung abrufen oder bessere Stabilität im Körper und das ohne Inhaltsstoffe, nur durch Stimulation der Nerven-Rezeptoren der Haut?“
Auch hier würden sich die Pflaster eignen – schließlich trage die gesamte kanadische Eishockey-Mannschaft solche Pflaster unter den Fußsohlen. Zu den Versprechen zählen auch weniger Schmerzen und ein besserer Schlaf.
Auf Instagram werben Sportler für die vermeintlichen Wunderpflaster. Quelle: Super Patch Company
Bei Kunden kommen Slogans dieser Art gut an: Allein im ersten Jahr erzielte die US-amerikanische Super Patch Company einen Umsatz von 55 Millionen US-Dollar (ca. 53 Millionen Euro). Super Patch Company Europe kommt auf 35 Millionen Euro. Die Firmen arbeiten mit dem umstrittenen Modell des Network Marketings, bei dem Produkte durch ein Netzwerk von unabhängigen Vertriebspartnern verkauft werden. Diese verdienen zusätzlich durch die Rekrutierung neuer Vertriebspartner.
Nervenimpulse der Pflaster sollen das Gehirn beeinflussen. Quelle: Super Patch Company
Laut Hersteller sind Superpatches frei von Wirkstoffen. Sie arbeiten mit der „vibrotaktilen Technologie“: Die Pflaster haben speziell entwickelte Textilmuster, die bei Hautkontakt bestimmte Nervenenden stimulieren. Nervenimpulse sollen wiederum Signale an das Gehirn senden und dadurch verschiedene physiologische und psychologische Vorteile bieten – beispielsweise eine verbesserte Balance, Schlafqualität, Schmerzlinderung oder Konzentrationssteigerung. Die gezielte Stimulation von Nerven würde neuronale Prozesse effizienter regulieren, mit Benefit für die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, schreibt der Hersteller.
DocCheck hat mit Prof. Frank Erbguth, dem Präsidenten der Deutschen Hirnstiftung, über neurologische Erklärungsversuche gesprochen. „Eine schöne Geschichte, nur wie soll das genau funktionieren?“, fragt sich der Experte. Damit ein Device Effekte auf die Gesundheit zeige, müsse es zwei Voraussetzungen erfüllen, nämlich eine plausible Wirkungsweise und nachweislich einen Effekt auf die Gesundheit haben. Beide Aspekte seien aber nicht erkennbar.
Erbguth stört sich auch am Begriff „vibrotaktil“: „Was soll hier vibrieren oder taktile Reize auslösen, wenn das Pflaster nur auf die Haut geklebt wird?“ Das sei unsinnig, wenn man einen Blick auf die Physiologie der Sinne werfe: Die Rezeptoren der Haut sind hochspezialisiert, um Berührung, Druck, Vibration, Temperatur, Schmerz und Dehnung wahrzunehmen. „Keiner der Rezeptoren scheint geeignet zu sein, um auf einen Stimulus durch ein Pflaster zu reagieren“, so Erbguth. „Genauso gut könnten wir uns eine Vignette für die Autobahn-Maut auf die Haut kleben.“
Die Skepsis bestätigt sich beim Blick in die Literatur: Lediglich zwei Studien untersuchen die Superpatch-Pflaster: Jeffrey Gudin et al. (2022) sowie Paul Doghramji et al. (2023). Die Arbeiten im Überblick:
Bei 148 erwachsenen Probanden (96 Frauen und 52 Männern), die an leichten, mittelschweren und sogar schweren muskulären, arthritischen und neurologischen Schmerzen litten, wurden zu Studienbeginn, nach sieben und nach 14 Tagen Daten erfasst. Zur Bewertung der Schmerzstärke zogen Forscher das Brief Pain Inventory (BPI) heran. „Nach 14 Tagen gab die überwiegende Mehrheit der Patienten an, „weniger“ oder „viel weniger“ orale Medikamente einzunehmen, und war mit dem Pflaster sehr/äußerst zufrieden“, schreiben die Autoren.
Die zweite Studie schloss 113 erwachsene Probanden (79 Frauen und 34 Männer) ein. Alle Teilnehmer litten an Problemen beim Einschlafen oder Durchschlafen. Im Rahmen der Studie wurden die Veränderungen der allgemeinen Schlafqualität und des Schweregrads der Schlaflosigkeit anhand validierter Skalen (PSQI, Pittsburgh Sleep Quality Index, und ISI, Insomnia Severity Index), die Veränderungen bei der Einnahme von verschreibungspflichtigen und rezeptfreien Medikamenten, die Zufriedenheit der Patienten sowie die während der Anwendung des Pflasters berichteten Nebenwirkungen untersucht.
„Die Ergebnisse zeigten eine statistisch signifikante Verringerung der Einschlafzeit, eine Erhöhung der Anzahl der Schlafstunden, eine Verbesserung der Schlafqualität und eine Verringerung des globalen PSQI-Scores nach Anwendung des vibrotaktilen Schlafpflasters“, schreiben die Autoren. „Nach 14 Tagen berichtete die überwiegende Mehrheit der Patienten, dass sie weniger orale Medikamente einnahmen, dass das Pflaster bequem und einfach zu handhaben war und dass sie das Pflaster gegenüber oralen und anderen Schlafmitteln bevorzugten.“ Auch habe sich die Lebensqualität verbessert.
Das Design beider Studien hat jedoch mehrere zentrale Schwächen:
„Beide Studien arbeiten mit einem Vorher-Nachher-Design, was jeden Standard zur Wirksamkeitsprüfung unterschreitet“, kommentiert Erbguth. Gerade bei Schmerz oder Schlaf sei das kritisch. „Hier erklären Placebos über den Daumen gepeilt etwa 30 Prozent des Effekts.“
Erbguth weiter: „Als Reviewer fände ich eine Publikation zu den Themen falsch oder seltsam, wenn der Placebo-Effekt nicht berücksichtigt wird.“ Sein Fazit: „Placebos wirken tatsächlich im Körper.“ Der Effekt rechtfertige aber nicht den Preis. „Ein dreiminütiges Arzt-Patienten-Gespräch ist unter diesem Blickwinkel wohl ähnlich effektiv.“
Wenig überraschend haben Verbände die Super Patch Company bereits abgemahnt. Superpatches könnten europaweit als Medizinprodukt oder im Rahmen der Health-Claims-Verordnung reguliert werden. So oder so muss der Hersteller Daten zur Wirksamkeit seiner Intervention mit einem etablierten Studiendesign vorlegen. Das ist bislang nicht geschehen.
Bildquelle: Hamza Bounaim, Unsplash