In der Schweiz dürfen Apotheker mit entsprechender Beratung manche Medikamente ohne Rezept herausgeben. Eine Entlastung fürs Gesundheitssystem oder lästiger Mehraufwand, der sich oft nicht auszahlt?
Ein paar einleitende Erklärungen, weil ich weiß, dass das sonst wieder Verwirrung bei meinen deutschen Lesern gibt. Apotheker in der Schweiz haben inzwischen einige Kompetenzen erhalten, die sich von denen der deutschen Apotheken unterscheiden. Am besten sieht man das bei den rezeptpflichtigen Medikamenten: Wir dürfen die Medikamente der Liste B nämlich abgeben – die wurde aufgeteilt in Liste B, Liste B-minus und Liste B-plus … aber das ist ein Thema für einen eigenen Blogpost.
Schweizer Apotheker dürfen und sollen diese Medikamente aber nicht einfach verkaufen, sondern nach Beratung und Dokumentation. Dafür braucht es vorhergehende Weiterbildungen, um das entsprechende Wissen zu erwerben. Ich zum Beispiel habe dazu die Weiterbildung Fachapotheker Offizin (FPH) Anamnese gemacht und bin inzwischen ziemlich gut in Hautproblemen, einfacheren HNO-Sachen, sowie Pädiatrie und habe erweiterte Kenntnisse in Augenproblemen, Schmerzbehandlung etc.
Das bedeutet, dass ich Patienten in der Apotheke dazu informieren und beraten kann:
Der erste und letzte Punkt sind gratis. Für ausführlichere Beratung und die dazugehörende Dokumentation verlangen wir inzwischen etwas; je nach Problem zwischen 7, 12 oder 25 Franken. Dazu kommen dann noch die Medikamente, die bezahlt werden müssen. Dem Patienten spart das Zeit und Geld (auch Arztbesuche sind in der Schweiz nicht gratis) – und da die Kassen das nicht zahlen müssen und das Arztbesuche verringert, entlastet das auch das Gesundheitssystem.
Auf der Kehrseite ist dieses Angebot ein ziemlicher Mehraufwand für die Apotheken – neben der schon vielen Arbeit mit den Rezepten sonst, braucht das viel Zeit und ist schlecht planbar neben dem Tagesgeschäft: Die Leute laufen jederzeit in die Apotheken während der (langen) Öffnungszeiten. Auch wenn vieles durch unsere Mitarbeiter vorbereitet werden kann, es ist immer ein Apotheker involviert. Daher informieren wir die Patienten ziemlich schnell über mögliche anfallende Kosten. Trotzdem kommt es zum Teil vor, dass für diese Beratung schlichtweg die Zeit fehlt – entweder können die Patienten dann warten oder müssen wann anders wiederkommen.
Da war letztens der Patient im Abendverkauf – 15 Minuten vor Ladenschluss, nur noch zwei Mitarbeiter in der Apotheke.
Mann: „Ich möchte etwas gegen Krätze.“
(Es gibt eine Salbe, Scabi-med – die ist Liste B+, also Abgabe nach Beratung, Dokumentation und kostet +7 Franken. Aber erst einmal:)
Pharmama: „Für wen ist das Mittel?“
Mann: „Es ist für mich. Ich habe einen Ausschlag am Arm und möchte etwas dagegen.“
(Gut: für ihn selbst, dann kann ich die Beratung dafür machen und etwas abgeben, Schlecht: am Arm? Ist untypisch, vielleicht etwas anderes?)
Pharmama: „Ich kann das mit Ihnen anschauen, aber um die Salbe gegen Krätze abgeben zu können, muss ich Ihnen ein paar Fragen stellen und das dokumentieren. Das kostet.“
Mann: „Oh, muss das sein? Ich weiß ja, was ich will – ich brauche das für den Ausschlag.“ (krempelt den Ärmel hoch)
(Ja, hmm. Ich sagte schon, der Ort ist ungewöhnlich. Der Ausschlag ist auch untypisch für Krätze auf den ersten Blick. Ein relativ scharf umgrenzter roter Fleck mitten auf dem Arm mit leichter Schuppenbildung.)
Pharmama: „So auf den ersten Blick sieht das für mich nicht nach Krätze aus, sondern nach etwas anderem. Dafür hätten wir auch passende Medikamente, aber auch hier: Wenn ich das abgeben will, muss ich das etwas genauer anschauen.“
Mann: „Was würden Sie denn geben? Der Arzt im Videocall hätte mir Kortisonsalbe verschrieben. Das wollte ich nicht.“
(Aha – der Mann hatte schon eine Konsultation mit einem Arzt, aber das Ergebnis hat ihm nicht gepasst.)
Pharmama: „Kortison, weil er dachte, das sei ein Ekzem. Das wäre eine Möglichkeit, aber wie gesagt, das würde ich genauer anschauen wollen. Für heute reicht das nicht mehr – ich rate Ihnen, morgen oder zu einem anderen Zeitpunkt dafür wiederzukommen.“
(Es ist jetzt 5 Minuten vor Schluss – und dieser Herr braucht ganz offensichtlich ausführlichere Anamnese und Beratung … eventuell auch, um ihn von seiner Selbstdiagnose abzubringen.)
Mann: „Und jetzt können Sie mir nichts geben?“
Pharmama: „Doch, zum Beispiel ein hautpflegendes, gut rückfettendes Mittel. Das ist in jedem Fall von Vorteil.“
Mann: „Ah, nein. Aber wenn ich morgen komme, bekomme ich die Salbe gegen Krätze? Und dann hätte ich noch gerne Ivermectin-Tabletten.“
Pharmama: „Ob ich Ihnen die Salbe abgeben kann, sehen wir in der Beratung. Die Tabletten kann ich Ihnen nicht geben. Wenn Sie denken, dass Sie die brauchen, müssen Sie zum Arzt für ein Rezept.“
Mann: „Oh, ich wollte einen Arztbesuch vermeiden und ich habe gehört, Sie dürfen die Sachen auch ohne Rezept abgeben.“
Pharmama: „Manches davon, nicht alles. Und auch nicht einfach so. Wie gesagt, dazu gehört die Abklärung – und die kostet etwas. Jedenfalls: Überlegen Sie es sich doch bis morgen, ob Sie das wollen.“
Wir schließen jetzt.
Am selben Tag hatte ich eine Diskussion mit einer Frau am Telefon darüber, dass ich keine Ferndiagnose stellen werde für ihr Hautproblem und dass ich, wenn Sie Rosalox will – das Sie als Kind mal hatte – das auch nur nach kostenpflichtiger Beratung ausgeben darf. Auch in diesem Fall: 15 unbezahlte Minuten.
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