Stroke Units sollten bei Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall die erste Adresse sein. Stattdessen fährt der Rettungsdienst zu oft die nächstgelegene Klinik an. Ist es Zeit, umzudenken?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
„Time is Brain“ (dt.: „Zeit ist Gehirn“) beim Schlaganfall: Jede Sekunde bis zur erfolgreichen Intervention sterben Nervenzellen ab. Das Risiko dauerhafter Schäden wächst. Deshalb sollten Patienten laut einem Konsensus-Dokument spätestens eine Stunde nach dem Notruf im Krankenhaus sein, wobei die Fahrzeit maximal 30 Minuten betragen sollte. So weit – so bekannt.
Neben der Zeit spielt auch die Behandlungsqualität eine Rolle: Auf spezialisierten Stroke Units (SU) ist die Sterblichkeit geringer und die Genesung erfolgreicher als in Kliniken ohne solche Einheiten. Daher empfehlen Fachgesellschaften in der Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls, alle Patienten auf Stroke Units zu behandeln.
Nur zeigt eine Online-Umfrage unter Mitarbeitern im Rettungsdienst Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, dass bis zu einem Drittel der Patienten mit leichter Schlaganfall-Symptomatik und bis zu 20 % der schwer betroffenen Patienten in die nächstgelegene Klinik und nicht zwingend in eine zertifizierte Stroke Unit transportiert werden.
Bei akuten Schlaganfällen stehen zwei Haupttherapien zur Verfügung: die Thrombolyse, bei der Blutgerinnsel medikamentös aufgelöst werden, und die Thrombektomie, bei der Gerinnsel mechanisch entfernt werden. Die Thrombektomie ist auch nach dem Zeitfenster der Thrombolyse (viereinhalb Stunden) möglich.
Jetzt haben das Science Media Center Germany (SMC) und die Uni Wuppertal Qualitätsberichte aller Krankenhäuser Deutschlands ausgewertet. Dabei ging es um die Frage, welche Fahrzeiten Schlaganfall-Patienten zu Häusern mit bzw. ohne Stroke Unit zurücklegen.
Bundesweit gibt es 476 Stroke Units. Dazu zählen von der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft zertifizierte überregionale Stroke Units, Tele-Stroke-Units und zertifizierte Stroke Units.
Die Ergebnisse der Analyse:
Fahrzeit zur nächsten Klinik mit Stroke Unit. Credit: SMC
Würden Rettungsdienst-Mitarbeiter alle Patienten mit Schlaganfall-Verdacht in ein Klinikum mit Stroke Unit bringen, ergäbe sich dadurch eine Verlängerung der Fahrzeit um durchschnittlich 4,5 Minuten, verglichen mit dem Status quo. Nur selten wären 45 oder mehr Minuten (dunkelorange bzw. rot) erforderlich:
Verlängerung der Fahrzeit, falls alle Patienten in ein Haus mit Stroke Unit gebracht würden. Credit: SMC
Wenn Rettungsdienste bei Verdacht auf einen Schlaganfall ausschließlich Kliniken anfahren würden, die Thrombektomien durchführen, läge die durchschnittliche Fahrzeit zu solchen Standorten bei etwa 18 Minuten. Rund drei Millionen Menschen müssten jedoch mehr als 45 Minuten zurücklegen:
Verlängerung der Fahrzeit, falls immer ein Haus angefahren würde, das Thrombektomien anbietet. Credit: SMC
Ein Aspekt wird in der Arbeit jedoch nicht berücksichtigt: Wie wäre es, zumindest theoretisch, mehr Patienten über Mobile Stroke Units zu versorgen? Sie verfügen über ein integriertes CT-Gerät und ermöglichen eine sofortige Diagnostik sowie die Einleitung einer Behandlung – wie die Verabreichung von Thrombolyse-Medikamenten – direkt vor Ort. Flächendeckend sind sie nicht verfügbar.
Den Nutzen haben Wissenschaftler mit einer Kohortenstudie untersucht. 19.433 Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall, die möglicherweise für eine intravenöse Thrombolyse infrage kamen, wurden eingeschlossen.
1.237 Patienten (6,4 %) wurden präklinisch in einer Mobile Stroke Unit behandelt. Bei ihnen war der Wert auf der modifizierten Rankin-Skala zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus um 0,03 Punkte besser als bei Kontrollen. Die Skala umfasst 6 Punkte (Tod) bis 0 Punkte (keinerlei Einschränkung). Die Autoren berichten auch von einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit für selbstständiges Gehen bei der Entlassung (Risikoverhältnis 1,08).
Alles in allem war der Nutzen jedoch gering. Das wirft als Frage auf, ob Mobile Stroke Units in Zeiten knapper Mittel und zu weniger Fachkräfte die bestmögliche Strategie sind. Viel spricht für den Transport zur nächsten Stroke Unit.
Kurze Zusammenfassung:
Bildquelle: Veri Ivanova, Unsplash