Der Pharmakonzern Eli Lilly plante ein neues Werk in Rheinland-Pfalz – sofern die Bedingungen stimmen. Geheime Dokumente scheinen nun zu belegen, dass Scholz und Lauterbach eigens ein Gesetz anpassten.
Die Freude war groß, als Dave Ricks, CEO von Eli Lilly, Bundeskanzler Olaf Scholz, die damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Gesundheitsminister Karl Lauterbach im April 2024 mit medial inszenierten Spatenstichen den Startschuss für ein neues Werk gegeben haben. Deutschland litt damals – wie heute – unter Lieferengpässen bei wichtigen Arzneimitteln. Kurz vor dem Termin hatte Lauterbach sein Medizinforschungsgesetz (MFG) auf den Weg gebracht. Jetzt häufen sich Hinweise, dass der zeitliche Zusammenhang keineswegs Zufall war. Eine Spurensuche.
Zum Hintergrund: Das Medizinforschungsgesetz zielt darauf ab, mehr Unternehmen zu ermutigen, in Deutschland zu investieren, indem es bürokratische Hürden abbaut und die Rahmenbedingungen für klinische Studien verbessert. Zu den Maßnahmen gehört die Vereinfachung und Beschleunigung der Genehmigungsprozesse für klinische Studien. Durch klare und transparente Vorgaben für Studienanträge und Berichte sowie durch eine zentralisierte Bearbeitung von Zulassungsverfahren soll der Forschungsstandort Deutschland attraktiver werden. Das klingt gut.
Recht überraschend räumt das Gesetz jedoch pharmazeutischen Herstellern die Möglichkeit ein, vertrauliche Erstattungsbeträge bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu vereinbaren. Die Vertraulichkeit gilt bis zum Wegfall des Unterlagenschutzes.
Warum der Passus so wertvoll ist, zeigt ein kurzer Blick in das AMNOG (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) als zentralem Instrument der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel. Es soll sicherstellen, dass neue Medikamente mit nachweislichem Mehrwert zu einem angemessenen Preis verkauft werden.
Nach der Markteinführung kann der Hersteller Preise zwölf Monate lang selbst festsetzen. Er reicht zeitgleich Dossiers zum Zusatznutzen, gemessen an üblichen Vergleichstherapien, beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ein. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) prüft diese Angaben und erstellt eine Bewertung, auf deren Basis der G-BA eine Entscheidung über den Zusatznutzen trifft.
Zeigt das Medikament nachweislich einen Benefit, werden Verhandlungen zwischen dem Hersteller und dem GKV-Spitzenverband aufgenommen, um einen Erstattungsbetrag festzulegen. Bei Medikamenten ohne nachgewiesenen Zusatznutzen orientiert sich der Preis an der Festbetragsregelung oder an den Kosten vergleichbarer Medikamente. Der Hersteller muss rückwirkend Geld an die gesetzlichen Krankenkassen zurückzahlen, wenn der verhandelte Erstattungsbetrag niedriger ausfällt als der von ihm frei festgelegte Preis.
Genau hier wird es interessant: Warum ist dieses bürokratisch anmutende Thema für Eli Lilly so wichtig?
Dem Hersteller geht es wohl um seine großen Hoffnungsträger Mounjaro® (Tirzepatid) und Zepbound® (Tirzepatid). Das Inkretinmimetikum ist mittlerweile in Europa bei Typ-2-Diabetes und Adipositas zugelassen: zwei Indikationen mit Potenzial. Zum Vergleich: Ozempic® (Semaglutid) von Novo Nordisk kommt auf schätzungsweise 16 Milliarden US-Dollar weltweiten Jahresumsatz in 2024. Daten einer neuen Studie zufolge scheint Tirzepatid versus Semaglutid effektiver zu sein, um Gewicht zu verlieren.
Umso enttäuschender war, dass der G-BA zu dem Ergebnis gekommen ist, ein Zusatznutzen von Tirzepatid bei Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes, gemessen an Vergleichstherapien, sei nicht belegt. Damit muss Eli Lilly Krankenkassen Rabatte einräumen. Solche Zahlen waren bislang öffentlich einsehbar; in vielen europäischen Ländern werden sie vertraulich behandelt. Hohe Rabatte hierzulande gefährden die Preispolitik des Konzerns in anderen Märkten.
Bei der Einführung eines vertraulichen Erstattungsbetrages müssten Patienten für den Bereich Lifestyle den höheren Abgabepreis des Herstellers berappen. Für die erstattungsfähigen Indikationen würde ein Hersteller die Differenz zum Erstattungsbetrag gemäß AMNOG ausgleichen.
Genau hier laufen alle Fäden zusammen: WDR, NDR, SZ und Investigate Europe haben durch das Informationsfreiheitsgesetz Unterlagen aus dem BMG erhalten, die Zusammenhänge möglich erscheinen lassen. Sie stammen aus der Zeit vor Verabschiedung des MFG.
„In einem gemeinsamen Gespräch nach Veröffentlichung der Eckpunkte zum Medizinforschungsgesetz (MFG) kann dem CEO von Eli Lilly Dave Ricks mitgeteilt werden, dass das BMG dem Wunsch von Eli Lilly nachkommt und im Rahmen des MFG plant, vertrauliche Rabatte für den Herstellerpreis zu ermöglichen“, heißt es in einem Dokument. „Eli Lilly knüpft seine Investitionsentscheidung an die Zusage der Bundesregierung vertrauliche Rabatte bei innovativen Arzneimitteln zu ermöglichen.“
Und in einem anderen Papier notieren Mitarbeiter, mit dem Gesetz würden „Bedenken der pharmazeutischen Industrie Rechnung getragen, die durch den transparenten Erstattungsbetrag negative Folgeeffekte in anderen Ländern befürchten, die auf den DEU-Preis referenzieren“.
In einem anderen Text raten BMG-Mitarbeiter zur „Einschränkung der Option vertraulicher Erstattungsbetrag auf Arzneimittel, die aufgrund von Lifestyle-Indikationen nur teilweise erstattungsfähig sind“. Dazu zählt Mounjaro®. Und weiter: „Befürworter einer solchen Regelung ist insbesondere die Firma Lilly, die ihre Investitionsentscheidung in Alzey an einen in Aussicht gestellten vertraulichen Erstattungsbetrag geknüpft hatte.“
Wenig überraschend dementieren das BMG und Eli Lilly, dass es Zusammenhänge zwischen dem Gesetz und der Investition in Deutschland gegeben habe.
Politisch kocht das Thema jetzt immer stärker hoch. Bei seiner gestrigen Sitzung am 4. Dezember hat sich der Gesundheitsausschuss im Bundestag erneut mit der Affäre befasst.
„Sowohl der damalige Staatssekretär Kukies als auch Bundeskanzler Scholz haben nachweislich Gespräche mit dem CEO von Eli Lilly im Vorfeld der Standortentscheidung geführt“, erklärte Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Viele Fragen seien bislang nicht beantwortet worden. Deshalb werde im nächsten Schritt der heutige Finanzminister Jörg Kukies geladen. Er soll stark an den Planungen beteiligt gewesen sein.
Bildquelle: Erstellt mit Midjourney.