Eine weitgehend unbekannte Methode, das Leben selbstbestimmt, würdevoll und schmerzfrei zu beenden, ist das Sterbefasten. Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit fordert aber von betreuenden Ärzten eine persönliche Haltung zum Thema. Ein Überblick.
Viele Menschen werden vom Tod überrascht, weil er so unvorhergesehen eintritt. Doch Menschen, die sich das Ende herbeiwünschen, haben es mitunter schwer, dieses Ziel zu erreichen. Die Gründe, warum ein Mensch, der noch nicht im Sterben liegt, sein Leben beenden möchte, sind vielfältig. Sie reichen von der unerträglichen Aussicht auf einen langsamen Verfall, wie beispielsweise bei einer Demenzerkrankung, über tödliche Krankheiten, wie Krebs, bis zur Lebensmüdigkeit in hohem Alter.
Eine schon seit der Antike praktizierte, in unserer Gesellschaft dennoch recht unbekannte Möglichkeit, das Leben vorzeitig zu beenden, ist das Sterbefasten bzw. der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF). Bei dieser Methode beendet der lebensmüde Mensch aus freien Stücken die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit. Er gewinnt Selbstbestimmung am Lebensende und die Möglichkeit, sich von den Angehörigen angemessen zu verabschieden, ohne sie und sich selbst durch einen gewaltsamen Suizid zu erschüttern. Zudem ist der Tod bei professioneller Begleitung friedlich und schmerzfrei.
Doch wie weit geht eigentlich das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, das eigene Leben? Für Menschen, die das Leben als Geschenk Gottes betrachten, kommt ein selbst gewählter Eingriff, um es zu beenden, nicht in Frage. Privatdozent Dr. Alfred Simon von der Akademie für Ethik in der Medizin in Göttingen betrachtet das Leben als ein hohes Gut, mit dem man verantwortungsvoll umgehen soll. Dies schließt für ihn aber durchaus die Möglichkeit ein, das eigene Leben z.B. angesichts einer schweren und aussichtslosen Erkrankung selbstbestimmt zu beenden. Immer mehr Menschen wünschen sich, „gut“ zu sterben. Selbstverständlich ist „gut“ ein sehr persönlicher Wert, doch es zeigt sich in Umfragen, dass der Tod als integraler Bestandteil des Lebens langsam aus der Tabuzone rutscht. Der Anspruch an ein würdevolles Sterben, das den Willen des Sterbenden so weit wie möglich berücksichtigt, hat Einzug in die Palliativmedizin und die Hospizbewegung gefunden. Dennoch treibt viele Menschen vor allem die Angst. Die Angst davor, was am Lebensende mit dem eigenen Körper passieren wird, was passieren soll und wer sich dafür einsetzt. Frau Elke Simon, Patientenberaterin bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz, empfiehlt daher denen, die sich bei ihrer Organisation informieren, sich ausführlich mit einer Patientenverfügung auseinanderzusetzen und ein für den individuellen Fall passendes Dokument aufzusetzen.
Eine Patientenverfügung greift jedoch erst dann, wenn der Patient seinen eigenen Willen nicht mehr kundtun kann. Im Fall des FVNF wird die Entscheidung zu einem Zeitpunkt getroffen, bei der der Patient noch aus freiem Willen und eigenverantwortlich handelt. Im Idealfall, so erklärt Herr Dr. Alfred Simon, erfolgen Gespräche mit anderen Ärzten, den Pflegenden, eventuell auch mit Psychologen, um die aktuelle Situation und den Wunsch zu sterben beurteilen zu können. „Kommt das Team in einer gemeinsamen Beratung zu dem Schluss, dass die Entscheidung freiverantwortlich getroffen wurde, so ist es für die beteiligten Ärzte möglich, den Patienten bei diesem Weg zu begleiten und zu unterstützen.“ Eine fachgerechte und professionelle Begleitung ist dringend notwendig; denn nur weil ein Patient den Weg des FVNF geht, heißt das nicht, dass man nichts mehr für ihn tut. Vielmehr braucht er dann intensive Betreuung, beispielsweise in Form von Mundhygiene, um das Durstgefühl zu lindern, Schmerztherapie oder Behandlung bei Angstzuständen. Eine Umfrage der Bundesärztekammer unter 527 Ärzten zum ärztlich begleiteten Suizid und aktiver Sterbehilfe aus Sicht der deutschen Ärzteschaft aus dem Jahr 2010 zeigt, dass 69 Prozent der Ärzte es für fast unmöglich halten, einzuschätzen, ob der Suizidwunsch eines Patienten endgültig ist oder nicht. Im Hinblick auf diesen Punkt ist der FVNF ein guter Weg, denn er ist nicht vom ersten Moment an endgültig, wie es die Einnahme einer tödlichen Dosis eines Medikaments ist. Eine Umkehr ist in den ersten Tagen leicht möglich.
Doch darf ein Arzt dem Wunsch des Patienten nachkommen, ohne sich (berufs-)rechtlich strafbar zu machen? Hierzu muss man die Begrifflichkeiten und Definitionen betrachten. Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) unterscheidet in seinen aktuellen Reflexionen zum ärztlich assistierten Suizid zwischen einer Hilfe beim Sterben und einer Hilfe zum Sterben, wobei er die ärztliche Begleitung beim FVNF eindeutig der erlaubten und gebotenen Hilfe beim Sterben zurechnet. Diese Auffassung teilt auch Dr. Simon: „Die Begleitung eines Patienten beim freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit stellt keine Hilfe zur Selbsttötung dar, sondern gehört zu den Pflichten des Arztes im Rahmen der ärztlichen Sterbebegleitung. Sie steht nicht in Konflikt mit dem in der (Muster-)Berufsordnung zum Ausdruck gebrachten Verbot der ärztlichen Suizidhilfe.“
Immerhin wurden 34 Prozent der Ärzte, die an der Umfrage der Bundesärztekammer teilnahmen, schon um Hilfe beim Suizid gebeten. „Grundsätzlich“, betont Frau Elke Simon, „muss ein Arzt diesen Weg respektieren. Das ist nicht jedem mit dem eigenen Verständnis für die Aufgabe eines Arztes möglich.“ Die Umfrage bringt ans Tageslicht, dass die Mehrheit der Ärzte (62 Prozent) gegen eine Legalisierung des ärztlich begleiteten Suizids ist und 53 Prozent die Legalisierung als Belastung empfinden würden. Allerdings wurde in der Umfrage nicht unterteilt nach den unterschiedlichen Methoden des ärztlichen Beistands.
Auch das Pflegeteam muss sich darauf einlassen. In dem Buch „Ausweg am Lebensende“ beschreiben die Autoren Chabot und Walther beispielhaft vier Fälle von Menschen, die den Weg des FVNF gegangen sind. Eine Frau hatte aufgrund von nicht ausreichender Mundpflege schmerzhafte Blasen im Mund. Die Autoren folgern aus dem Protokoll zu diesem Fall, dass es dem Pflegeteam anscheinend schwer fiel, jemanden zu betreuen, der sterben wollte, ohne an einer tödlichen Krankheit zu leiden. Frau Simon berichtet auch, dass sich Pflegeeinrichtungen mitunter weigern, den Willen des Patienten anzuerkennen und eine künstliche Ernährung empfehlen. „Da spielt eine Rolle, dass es heißen könnte: Ihr seid die, bei denen die Bewohner verhungern!“, erklärt sie das strittige Vorgehen. Und auch Dr. Alfred Simon sagt, dass sich einige Häuser nicht trauen, den möglichen Spielraum – vor allem im Zusammenspiel mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung – auszuloten und auszuschöpfen. „Doch“, so Dr. Simon weiter, „es setzt ein Umdenken ein, das den Willen des Patienten als bindend anerkennt.“ Ein Umdenken und ein konstruktiver Austausch scheinen auch weiterhin dringend nötig, denn die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich Lockerungen bei der „passiven Sterbehilfe“, um ein selbstbestimmtes Leben wenn nötig auch selbstbestimmt beenden zu können.