Fett ist nicht gleich Fett: Braunes Fettgewebe spielt eine größere Rolle als die meisten von uns noch im Studium gelernt haben. Warum es ausgerechnet im Kampf gegen Adipositas helfen kann, lest ihr hier.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung.
Einen dieser schlaksig dürren Artgenossen, der essen kann, was und wieviel er will, aber trotzdem halb verhungert aussieht, kennt wohl jeder. Begnügte man sich früher mit der Erklärung „schlechter Futterverwerter“, häufen sich die Hinweise, dass im braunen Fettgewebe (BAT) ein Schlüssel zur Erkenntnis liegt. Was im Zeitalter der global anwachsenden Adipositasprävalenz Probleme bereitet, ist die Speicherung überschüssiger Nahrungsenergie in Form depotbildender weißer Fettzellen. Zwar erfüllt ein Mindestmaß an subkutanen und viszeralen Weißfettdepots wichtige Funktionen als Energiereserve für die (körperliche) Leistungserbringung, als mechanischer Organschutz sowie als Wärmeisolator.
Doch dominiert heutzutage nur allzu oft die von bewegungsarmen Tätigkeiten in gut beheizten Innenräumen und ständiger Verfügbarkeit hochkalorischer Nahrung geförderte Fettspeicherung gegenüber der Energierekrutierung für Bewegungs- und Kraftanstrengungen. In der Folge sind ungünstig lokalisierte weiße Fettdepots zu einem gravierenden Gesundheitsproblem geworden. Ein Zuviel an viszeralem, in und um die Bauchorgane eigelagertem weißem Fettgewebe gilt besonders wegen seiner proentzündliche Adipokine produzierenden Stoffwechselaktivität als starker Risikofaktor für das metabolische Syndrom, für kardiovaskuläre und Krebserkrankungen. Diese bedenkliche Entwicklung hat das Interesse am BAT geschärft.
Seine Färbung verdankt das BAT dem hohen Gehalt an Cytochrom-reichen Mitochondrien, die hier aber nicht als Produzenten für organisch nutzbare Energie (ATP) fungieren, sondern Fett(säuren) für die Wärmeproduktion verbrennen. Zur Unterscheidung von der durch Muskelzittern erfolgenden Thermogenese hat sich die Bezeichnung „Non-Shivering Thermogenesis (NST)“ durchgesetzt. Vereinfacht gesagt sind weiße Adipozyten für das Speichern von Energie (in Form einer einzelnen großen Triglyzerid-Vakuole) zuständig, wohingegen braune Adipozyten ihre in vielen kleinen Triglycerid-Vakuolen steckende Fettenergie thermogen „verheizen“.
Aus heutiger Sicht bedauerlich, wurde das BAT in der Forschung lange stiefmütterlich behandelt. Dominierte doch die Ansicht, dass die BAT-Thermogenese lediglich im Säuglingsalter als Warmhaltemechanismus von Belang sei. Im Laufe der Adoleszenz würden sich die braunen Fettdepots bis zur weitgehenden Bedeutungslosigkeit zurückbilden, so der Glaube. Erst als moderne Bildgebungsverfahren (MRT, PET) zeigten, dass aktives BAT auch in späteren Lebensphasen etwa um Nieren und Nebennieren, in der Nacken-/Schlüsselbeinregion und der Brusthöhle erhalten bleibt, wurden die Forschungen intensiviert. Dabei zeigten sich deutliche individuelle Unterschiede in der Quantität und besonders im Aktivitätslevel dieser Energie verbrauchenden BAT-Anteile.
Allgemein lässt sich konstatieren, dass Frauen gegenüber Männern und schlanke gegenüber fülligeren Personen im Schnitt höhere BAT-Anteile aufweisen und diese mit zunehmendem Lebensalter schrumpfen (hier und hier). Es mehren sich die Befunde, dass die Höhe der Wärme produzierenden BAT-Aktivität in hohem Maß durch externe Faktoren wie Kälte und Bewegungsreize getriggert wird. Je höher der Anteil und die Aktivität des „schmelzbaren“ BATs, desto geringer ist das Risiko zur Fettdepot- und Übergewichtsentwicklung. Hinsichtlich der Wandelbarkeit ist von Belang, dass im Jahr 2012 mit dem beigen oder „brite“ (brown-in-white) Fett ein hybrides Fettgewebe entdeckt wurde, das Eigenschaften weißer und brauner Adipozyten vereinigt und sich vermutlich unter Vermittlung des Myokins Irisin je nach Einwirkung von Kälte- und Muskelaktivierungsreizen in die eine als auch in die andere Variante entwickelt.
Ein Wiener Forschungsteam konnte 2020 über PET-Scans nachweisen, dass es große Unterschiede in der Wärme produzierenden BAT-Aktivität zwischen verschiedenen Menschen gibt. Die Analysen zeigten, dass Personen mit aktivem BAT nach Kälteexpositionen nicht nur mehr Energie verbrennen, sondern auch ein gesünderes serologisches Fettsäureprofil aufweisen. So fanden sich im Blut der BAT-aktiven Probanden höhere Titer entzündungshemmender Fettsäuren, wohingegen mit Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen assoziierte Fettsäuren niedriger konzentriert waren.
Zum Umfang der durch BAT-Thermogenese entsorgten Energie kommentierte PD Dr. Tim Hollstein vom UK Schleswig-Holstein in Kiel, dass ein durchschnittlicher Mensch etwa 100 bis 300 g BAT hauptsächlich in der Hals-Schlüsselbeinregion aufweist. Bereits 50 g aktives BAT könnten bis zu 300 kcal pro Tag verbrennen. Da schlanke Personen nachweislich über mehr aktives BAT als übergewichtige Menschen verfügen, sei es naheliegend, dass BAT eine wesentliche Rolle für die individuelle Körpergewichtseinstellung spielt, so Hollstein. Neben der Erhöhung des Energieverbrauchs wird auch der im BAT erfolgenden Produktion sogenannter Batokine – Botenstoffe mit Positivwirkungen auf verschiedene Organstoffwechselprozesse – gesundheitsförderliche Relevanz beigemessen. Als Beispiel führt Hollstein das Batokin „Fibroblast Growth Factor 21 (FGF21)“ an, das die Fettverbrennung in der Leber optimiert und der Fettleberentwicklung entgegenwirkt.
Mittlerweile sind Nachweise erbracht, dass insbesondere drei Lebensstilfaktoren die energiefressende Thermogenese im BAT auf Touren bringen. Neben Kälteexpositionen (hier) und körperlicher Aktivität (hier) ist auch die Nahrungsaufnahme ein Aktivator (hier). Offenbar trägt BAT zur sogenannten nahrungsinduzierten Thermogenese bei. Dabei geht es um die postprandiale Erhöhung der Körpertemperatur und eine über die zur Verdauung benötigte Energie hinausgehende Wärmeabgabe an die Umgebung. Die Höhe sowohl der verbrauchten Verdauungsenergie als auch der BAT-Thermogenese ist von Menge und Qualität (Fett-, Kohlenhydrat-. Eiweißanteile) der Nahrung abhängig und zeigt zudem individuelle Unterschiede. So kann sich die zur Verdauung und Nährstoffresorption einer identischen Mahlzeit verbrauchte Energiemenge sowie die Höhe der Wärmeproduktion zwischen zwei Individuen deutlich unterscheiden, was die Neigung zur Übergewichtsentwicklung mitbestimmt. Einen weiteren interessanten Befund hat eine deutsch-finnische Forschungskooperation geliefert: Demnach induziert aktiviertes BAT unter Vermittlung des Darmhormons Sekretin auch ein Sättigungsgefühl im Gehirn. Wer’s auf die harte Tour mag, kann also öfter mal auf eine Chilischote beißen. Das Capsaicin lässt nicht nur schnell den Schweiß aus allen Poren schießen, sondern geht studienbasiert mit einer BAT-Aktivierung einher, die einige Fettkalorien als Wärme entfleuchen lässt.
Die Erkenntnis, dass BAT besonders reich an Mitochondrien ist, die Fettsäuren nicht „wie üblich“ in ATP umsetzen, sondern zur Wärmeproduktion verheizen, darf als gesichert angesehen werden. Auch an der grundsätzlichen Wandelbarkeit von weißen monovakuolären Fettspeicher-Adipozyten in zur Thermogenese fähigen plurivakuolären braunen Adipozyten bestehen kaum mehr Zweifel. Wie diese Wandlung mit Erhöhung der Mitochondriendichte und Veränderung der mitochondrialen Reaktionskaskade vonstattengeht und wie die Wärmeproduktion in den braunen Fettzellen unter Erhöhung der Stoffwechselrate auf molekularer Ebene abläuft, ist im Hinblick auf adipositastherapeutische/-präventive Maßnahmen noch nicht hinreichend aufgeklärt.
Nachgewiesen ist bislang, dass im Zentrum der Entkopplung des mitochondrialen Fettsäureabbaus von der ATP-Synthese zugunsten der Wärmeproduktion ein Transportprotein der inneren Mitochondrienmembran steht: das auch Thermogenin genannte Uncoupling Protein 1 (UCP-1). Das codierende UCP1-Gen wird in braunen Adipozyten sehr viel stärker als in weißen exprimiert. Mechanistisch ist bislang bekannt, dass UCP1 in durch Kältereize und adrenerge Stimulation aktiviertem BAT das mitochondriale Membranpotential herabsetzt, die Intensität des Elektronentransports der Atmungskette unter Erhöhung des Sauerstoffverbrauchs steigert und durch von der ATP-Synthese entkoppelte Thermogenese den Gesamtenergieverbrauch steigert (hier und hier).
Zur Frage, über welche Mechanismen das thermogene Aktivitätsniveau im BAT reguliert wird, ist eine dänisch-deutsche Forschungskooperation jüngst auf einen bislang unbekannten Schalter gestoßen. Demnach arbeitet im BAT ein selbstlimitierender Aktivitätsmechanismus. In dessen Zentrum steht die Adenylatcyclase AC3. Vereinfacht gesagt sorgt dieses Enzym dafür, dass die Thermogenese im BAT herunterreguliert wird. Bei DNA-Analysen identifizierten die Wissenschaftler eine epigenetisch via Methylierung inaktivierte Promotorsequenz. Durch Kältereize wird dieser Promotor via Demethylierung „angeschaltet“ und von hier aus ein verkürztes AC3-Gen transkribiert, dessen mRNA an den Ribosomen in eine verkürzte Adenylatcyclase translatiert wird. Diese als AC3-AT bezeichnete Variante ist nicht oder zumindest weit weniger stark in der Lage, die Thermogenese im BAT herunterzudimmen. Individuen mit aktiver AC3-AT-Genvariante weisen demzufolge ein deutlich höhere thermogene Aktivität ihres BAT auf; sie „strahlen“ mehr überschüssige Energie als Wärme ab, anstatt Fettdepots zu bilden. Diese Erkenntnis stammt zwar aus Experimenten mit Mäusen – da jedoch AC3 und AC3-AT auch beim Menschen nachgewiesen sind, liegt die Wahrscheinlichkeit für einen analogen Regulationsmechanismus nahe. Aber das war nicht das einzige erhellende Studienergebnis des Jahres 2024 in Sachen „schlankes Fett“.
Ein multizentrisches Forschungsprojekt hat sich im Rahmen des UCP1-katalysierten Entkopplungsprozesses genauer mit dem „Abschalten“ der ATP-Produktion in thermogen aktivem BAT befasst. Dabei sind sie auf einen Regulationsmechanismus gestoßen, der einen zentralen Enzymkomplex der mitochondrialen ATP-Synthese betrifft: Es geht um die ATP-Synthase. Wie der Name verheißt, besteht die Hauptaufgabe des aus mehreren Untereinheiten aufgebauten Enzyms darin, mit dem Antrieb eines über die innere Mitochondrienmembran aufgebauten Protonengradienten die (Fett-)Energie verbrauchende Phosphorylierung von ADP zu energiereichem ATP zu katalysieren. Im Zusammenhang mit der thermogenen Entkopplung im BAT ist es von entscheidender Bedeutung, dass die ATP-Synthase auch als ATPase fungiert („reverser Modus“), also auch die Energie freisetzende Dephosphorylierung von ATP zu ADP katalysiert.
Das Forscherteam hat nun herausgefunden, dass diese reverse ATP-Synthase-Aktivität eine wichtige Rolle bei der Entkopplung des mitochondrialen Fettsäureabbaus von der ATP-Synthese zugunsten der Thermogenese im BAT spielt. Bei der Einstellung der Balance zwischen ATP-Synthese und ATP-Hydrolyse übernimmt ein Protein mit der Bezeichnung ATP-Synthase-Inhibitionsfaktor 1 (IF1) eine Schlüsselrolle. In Anhängigkeit vom aktuellen Energiebedarf kann IF1 beide Reaktionsrichtungen hemmen. Die jeweilige Gleichgewichtsverschiebung wird durch die aktuelle Größe des Membranpotentials und den pH-Wert bestimmt. In ihren Experimenten mit isolierten Mitochondrien, mit Zellkulturen und in vivo mit Mäusen eruierten die Wissenschaftler, dass die ATPase-hemmende IF1-Funktion im BAT bei Kälteeinwirkung herunterreguliert wird, sodass sich das Gleichgewicht auf die Seite der hydrolytischen ATP-Spaltung verschiebt und die freiwerdende Energie unter dem Einfluss des Entkopplungsenzyms UCP1 der Thermogenese zugeführt wird. Interessanterweise hatte die Kälteeinwirkung keinen Einfluss auf die IF1-Aktivität in Mitochondrien von Leber und Herz. Die kälteindizierte Entkopplung des Fettabbaus von der ATP-Produktion scheint somit ein BAT-spezifischer Mechanismus zu sein.
Die moderne Lebensweise hat das BAT rar und träge werden lassen. Hinreichend lange BAT-aktivierende Kälteexpositionen, tägliche körperliche Belastungen und viel Verdauungsarbeit erfordernde Ernährungsroutinen finden in den Industrienationen kaum mehr statt. Die beiden in diesem Jahr publizierte Studien haben tiefere Einblicke in den Mechanismus der Energieverbrauchssteigerung durch Thermogenese im BAT geliefert. Es gibt augenscheinlich molekulare Schalter, über die sich die BAT-Mitochondrien auf hohen thermogenen Energieverbrauch einstellen lassen. Das nährt die Hoffnung, die gezielte BAT-Aktivierung zukünftig als therapeutisches Instrument zur Adipositasbekämpfung einsetzen zu können und im Idealfall auch weiße Fettzellen durch entsprechende Adaptationen einem Bräunungsmechanismus zuzuführen. Die Verfügbarkeit BAT-aktivierender Medikamente (Kältemimetika?) oder genregulatorisch wirksamer Therapeutika ist angesichts des gegenwärtigen Forschungsstandes „Zukunftsmusik“.
In welchem Ausmaß eine hinreichend effektive Braunfettaktivierung/-vermehrung allein über Lebensstiländerung erreichbar ist, lässt sich gegenwärtig zwar nicht abschätzen. Doch ein Versuch in diese Richtung ist allemal sinnvoller als sich allein der Hoffnung auf in ungewisser Zukunft verfügbare pharmakologische Unterstützung hinzugeben. Veränderungen am eingefahrenen Lebensstil vorzunehmen ist bis auf weiteres die verheißungsvollste Methode, das im braunen Fett steckende Potenzial zur Energieverbrauchssteigerung zu nutzen. Das erfordert das Brechen mit geliebten Routinen. Und damit tut sich der gemeine Mensch bekanntermaßen schwer, besonders wenn es keine Erfolgsgarantie gibt.
Braunes Fettgewebe (BAT) als Kalorienfresser: BAT verbrennt Energie durch Wärmeproduktion (Non-Shivering Thermogenesis), reduziert Fettdepots, senkt Übergewicht-Risiken und bleibt auch im Erwachsenenalter aktiv, beeinflusst durch Alter, Geschlecht und Lebensstil.
Aktivierungsfaktoren und Gesundheitseffekte: Kälte, Bewegung und bestimmte Nahrungsmittel steigern BAT-Aktivität, fördern die Umwandlung von weißem in braunes Fett und sorgen für gesundheitsfördernde Effekte, z. B. durch entzündungshemmende Botenstoffe wie FGF21.
Therapeutisches Potenzial und Lebensstil: Forschung an molekularen Mechanismen wie UCP1 und ATP-Regulation könnte BAT-Aktivierung fördern; aktuell bleibt die Anpassung von Lebensstilfaktoren (Kälte, Bewegung, Ernährung) die praktikabelste Methode.
Quellen:
Bildquelle: Susan Wilkinson, Unsplash