Seit die Omikron-Variante den Ton angibt, hat die COVID-Pandemie viel von ihrem Schrecken verloren. Wie ihr mit dem verbleibenden Schrecken am besten umgeht, sagt euch eine Leitlinie.
Bei SARS-CoV-2 ging alles rasend schnell: Wie sich das Virus über den Erdball verbreitete, wie es Opfer forderte, neue Varianten hervorbrachte, unseren Alltag pulverisierte, aber auch, wie es unseren Forschergeist stimulierte. Mit welch unglaublicher Dynamik sich das Wissen entwickelte, zeigt die Leitlinie zu COVID-19: Als S1-Leitlinie im Jahr 2020 gestartet, ist jetzt – nach nur vier Jahren bereits die 10. Version als S3-Leitlinie „Empfehlungen zur Therapie von Patienten mit COVID-19“ erschienen.
Gleich vier Fachgesellschaften verantworten die Leitlinie federführend: Die Deutschen Gesellschaften für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, für Pneumologie und Beatmungsmedizin und für Infektiologie sowie die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Auffällig ist, dass sich Empfehlungen nicht nur als gekennzeichnete Textpassagen in den üblichen Boxen, sondern auch unmarkiert im Lauftext finden. Da steht zum Beispiel: „Eine CT des Thorax sollte bei COVID-19 Patienten bei differentialdiagnostischen Unsicherheiten, u. a. Verdacht auf eine Lungenembolie, durchgeführt werden.“ Die CT wird nämlich in diesem Fall als „begleitende Maßnahme“ angesehen und deshalb nicht extra hervorgehoben. „Dies ist gewollt,“ heißt es dazu nur.
So berserkerhaft das Virus über die Menschheit herfiel – „in einem nie dagewesenen Ausmaß“, so die Leitlinienautoren –, so schnell hat es auch seinen anfänglichen Schrecken wieder verloren. Das liegt zum einen an der Immunisierung der Bevölkerung dank Impfung und durchgemachter Infektionen, zum anderen an der weit weniger aggressiven Omikron-Variante. Bei schweren Erkrankungen macht nicht so sehr das Virus, sondern vielmehr die überschießende Immunreaktion Probleme.
Zu Beginn einer Infektion wird das Virus bekämpft: In der ersten Woche nach Einsetzen der Symptome sollen Patienten, die wegen einer Immunsuppression – etwa nach einer Transplantation – ein besonders hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, für drei bis fünf Tage Nirmatrelvir, Ritonavir oder Remdesivir bekommen. Atemnot verlangt weitere Maßnahmen. In der Spätphase der Erkrankung kann das Zuviel an Immunreaktion mit Kortikosteroiden eingedämmt werden. Für Antiköper gab die Leitlinie vor zwei Jahren noch eine offene Empfehlung, doch inzwischen rät sie von deren Einsatz ab.
Ein neu in die Leitlinie aufgenommener Aspekt: Gerade bei immungeschwächten Patienten kann das Virus der körpereigenen Abwehr trotzen und sich in den unteren Atemwegen festsetzen. Dann sollten Patienten eine Kombinationstherapie erhalten. Das Problem ist, dass das Virus in den oberen Atemwegen mit dem klassischen Rachen- und Naseabstrich unter Umständen gar nicht nachweisbar ist, sodass eine Infektion unerkannt bleiben könnte.
Antibiotika gegen Superinfektionen sollen in der Klinik sehr restriktiv, ambulant gar nicht verschrieben werden. Einen routinemäßigen Off-Label Einsatz von Arzneimitteln sehen die Autoren kritisch. Auf folgende Arzneien sollte man besser ganz verzichten: Inhalative Steroide, Molnupiravir, Baricitinib, Anakinra, Ivermectin, Fluvoxamin, Vitamin D, Azithromycin, Colchicin, Simvastatin und Rekonvaleszentenplasma.
Ob Patienten prophylaktisch einen Blutverdünner bekommen sollten, hängt von ihrer Situation ab: Bei ambulanten Patienten ohne besonderes Thromboembolierisiko ist er nicht angezeigt, dagegen können alte, komorbide und teilweise immobile Patienten sowie stationäre Patienten von Heparin profitieren. Bei Intensivpatienten sowie nach der Entlassung aus der Klinik ist die Antikoagulation Abwägungssache.
Neben der Therapie deckt die Leitlinie noch folgende Themen ab: Diagnostik mit dem Nachweis des Virus und möglicher Organschäden, Hygienemaßnahmen, bei denen weniger die Maske als ihr dichter Sitz entscheidend ist, und Maßnahmen bei akuter Atemnot und Kreislaufstillstand.
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