Gummibärchen mit Fliegenpilz-Wirkstoff gibt’s neuerdings legal zu kaufen. Ungefährlich ist der Verzehr aber nicht – er kann sogar tödlich enden. Wie Muscimol wirkt und was bei Vergiftungserscheinungen zu tun ist, lest ihr hier.
Mit Muscimol versetzte Gummibärchen haben sich in letzter Zeit einen Platz auf dem Markt der gesundheitlich bedenklichen „neuartigen Lebensmittel“ erobert. Die psychoaktive Substanz aus dem Fliegenpilz ist bekannt für ihre halluzinogenen und sedierenden Effekte. Da Produkte mit Muscimol in Gummibärchenform bisher meist über den Onlinehandel und inzwischen zunehmend auch über öffentlich zugängliche Automaten vertrieben werden, sieht sich das medizinische und pharmazeutische Fachpersonal immer wieder mit Fragen zu den Wirkungen und Risiken konfrontiert. Wir werfen einen Blick auf die biochemischen Eigenschaften des Wirkstoffs, die Risiken bei einer entsprechenden Vergiftung und den Mangel an rechtlicher Regulierung dieser neuen „Süßigkeit für Erwachsene“.
Muscimol ist ein biogenes Toxin, das in bestimmten Arten der Gattung Amanita, wie dem Roten Fliegenpilz (Amanita muscaria) und dem Pantherpilz (Amanita pantherina), vorkommt. Es ist am sogenannten Pantherina-Syndrom, auch Fliegenpilzsyndrom genannt, beteiligt und führt zu halluzinogenen sowie sedierenden Effekten. Chemisch betrachtet ist Muscimol ein Isoxazol-Derivat mit der Summenformel C₄H₆N₂O₂. In natürlichen Amanita-Arten variiert die Konzentration von Muscimol je nach Wachstumsbedingungen. Während der Rote Fliegenpilz zwischen <0,01 und 1,0 % des Wirkstoffs enthält, zeigt der Pantherpilz eine Konzentration von 0,19 bis 1,9 %, wobei die höchste Konzentration im Fruchtfleisch der Fruchtkörper vorliegt. Es entsteht durch Decarboxylierung der instabilen Ibotensäure – ein Prozess, der sowohl während der Lagerung und Trocknung des Pilzes als auch teilweise im menschlichen Körper nach dem Verzehr abläuft.
Muscimol ist ein unspezifischer Agonist an GABA-A-Rezeptoren, insbesondere an den extrasynaptischen GABA-A-Rezeptoren. Diese Rezeptoren vermitteln eine tonische Hemmung im zentralen Nervensystem, indem sie Chloridkanäle länger geöffnet halten und so eine langanhaltende Hyperpolarisation der Nervenzellen bewirken. Muscimol entfaltet an diesen Rezeptoren eine 120–140 % stärkere Wirkung als das endogene GABA selbst, was zu stark sedierenden, anxiolytischen und hypnotischen Effekten führen kann. Zusätzlich wirkt es, wenn auch schwächer, an GABA-B-Rezeptoren, was die komplexe psychoaktive Wirkung verstärkt. Der Wirkstoff aus dem Fliegenpilz kann zu Bewusstseinsveränderungen führen, darunter halluzinogene Effekte, die sich durch gestörte Raum- und Zeitwahrnehmung, Euphorie und teils farbige visuelle Erscheinungen zeigen. Die Wirkung setzt etwa 30 bis 90 Minuten nach Einnahme ein und hält bis zu 8 Stunden an. Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit zu GABA wird das Pilzgift im Gegensatz zu diesem nicht von der GABA-Transaminase abgebaut, was seine verlängerte Wirkung erklärt.
Versuche, den Wirkstoff therapeutisch zu nutzen, blieben bisher ohne Erfolg. Eine Phase-1-Studie zur intrazerebralen Muscimol-Infusion bei therapieresistenter Epilepsie zeigte keine signifikante Wirkung auf das Anfallsverhalten. Ebenso wurde eine Phase-1-Studie zur Wirksamkeit bei Parkinson-Patienten frühzeitig abgebrochen, da keine ausreichenden Ergebnisse vorlagen. Diese Ergebnisse und die hohe Toxizität schränken die therapeutische Nutzung erheblich ein. Die toxikologische Literatur gibt eine LD50 von 4,5 mg/kg bei Ratten (intravenös) und 45 mg/kg (oral) an. Beim Menschen reichen bereits 6 mg des Wirkstoffes aus, um Vergiftungen auszulösen, weshalb Produkte wie die Muscimol-Gummibärchen mit jeweils 5 mg des Wirkstoffes pro Stück nicht nur in meinen Augen definitiv als gesundheitlich bedenklich einzustufen sind.
Obwohl muscimolhaltige Gummibärchen in einigen Verkaufsautomaten zu finden sind, ist ihr Verzehr also nicht unbedenklich. Nach der Novel-Food-Verordnung der EU (Verordnung (EU) 2015/2283) müssen Produkte, die neuartige Inhaltsstoffe enthalten, eine spezielle Sicherheitsprüfung durchlaufen, bevor sie offiziell als Lebensmittel zugelassen werden können. Aktuell ist jedoch unklar, ob muscimolhaltige Gummibärchen diesen Anforderungen vollständig entsprechen, was ihre Einstufung in eine rechtliche Grauzone rückt. Bei Nachfragen durch Kunden oder Patienten sollte in jedem Fall empfohlen werden, Vorsicht walten zu lassen, da diese Produkte noch nicht umfassend auf gesundheitliche Risiken geprüft sind. Offizielle Stellen wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) weisen regelmäßig auf die potenziellen Gefahren solcher Inhaltsstoffe hin, sodass eine sorgfältige Bewertung ratsam ist, bevor man solche Produkte konsumiert.
Die Einnahme von Muscimol, insbesondere in unkontrollierten Dosen über vermeintliche Süßigkeiten, birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, besonders wenn beispielsweise Kinder sie mit harmlosen Gummibärchen verwechseln. Symptome einer Vergiftung können gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall umfassen sowie neurologische Reaktionen wie Schwindel, Ataxie, Psychosen und in schweren Fällen Kreislaufversagen und Muskelzuckungen. Die BZgA warnt zudem, dass bei höheren Dosen Erregungszustände, Verwirrtheit und sogar Bewusstlosigkeit oder Koma möglich sind, wie ein aktueller Fall in Hessen beweist. Schwere, möglicherweise tödliche Vergiftungen sind selten, aber für Kleinkinder, ältere Menschen und chronisch Kranke besteht ein erhöhtes Risiko. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) warnte bereits im August, und auch ganz aktuell jetzt im Oktober wieder vor den gesundheitlichen Risiken von dieser speziellen Gummibärchen.
Ein spezifisches Antidot für Muscimol existiert nicht, weshalb die Behandlung ausschließlich symptomatisch erfolgt. Die BZgA empfiehlt, im Fall einer Vergiftung 20 bis 40 g medizinische Kohle einzunehmen und sich schnellstmöglich in ärztliche Behandlung zu begeben. Bei Patienten mit neurologischen Symptomen wie Agitation ist allerdings Vorsicht geboten, da eine orale Kohleaufnahme oder Magenspülung ein Aspirationsrisiko birgt. In solchen Fällen können Benzodiazepine zur Sedierung verwendet werden, auch wenn sie die neurotoxische Wirkung von Muscimol verstärken können. Die symptomatische Behandlung sollte bei gastrointestinalen Beschwerden einen Flüssigkeits- und Elektrolytersatz umfassen.
Quellen:
Chandra et al. Prototypic GABAA Receptor Agonist Muscimol Acts Preferentially Through Forebrain High-Affinity Binding Sites. Neuropsychopharmacol, 2010. 10.1038/npp.2009.203
Yamauchi et al. Presynaptic inhibition by muscimol through GABAB receptors. Eur J Neurosci, 2000. doi: 10.1046/j.1460-9568.2000.00248.x.
Gadaleta et al. SAR and QSAR modeling of a large collection of LD50 rat acute oral toxicity data. J Cheminform, 2019. doi: 10.1186/s13321-019-0383-2
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