Weltweit suchen Forscher nach neuen Therapien für erhöhte Blutfettwerte. Bereits Anwendung findet der PCKS9-Inhibitor, der in Studien das Risiko für kardiovaskuläre Todesfälle erfolgreich senken konnte. Vielversprechend erscheint auch eine cholesterinsenkende Impfung.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Europa die Todesursache Nummer eins. Etwa jeder zweite stirbt daran. Ein wesentlicher und zugleich behandelbarer Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Fettstoffwechselstörungen, an denen etwa 65 % der Deutschen leiden[Paywall]. Unter dem Begriff Fettstoffwechselstörung versteht man eine veränderte Zusammensetzung der Lipoproteine. Je nachdem, welche Lipidkonzentration verändert vorliegt, kann zwischen verschiedenen Störungen unterschieden werden:
Die Ursachen sind vielfältig. Sie können unter anderem durch Diabetes, Übergewicht, Rauchen, eine Schilddrüsenunterfunktion, Essstörungen oder Lebererkrankungen hervorgerufen werden. Aber auch die Wirkung von Medikamenten z. B. Glucocorticoide, können die Zusammensetzung der Lipoproteine beeinflussen. In solchen Fällen spricht man von einer sekundären Fettstoffwechselstörung. Primäre Fettstoffwechselstörungen sind dagegen erblich bedingt. Die genaue Ursache für die Entstehung der Arteriosklerose durch Fettstoffwechselstörungen ist noch nicht vollständig geklärt. Laut der Response-to-injury-Hypothese sollen Risikofaktoren wie Bluthochdruck das Endothel schädigen. Es kommt es zu einer subintimalen LDL-Anhäufung mit nachfolgender Entzündung. Die angelockten Makrophagen nehmen das LDL auf und wandeln sich in Schaumzellen um. Dadurch entstehen atherosklerotische Plaques, wodurch die Durchblutung des Blutgefäßes erschwert wird. Im schlimmsten Fall verschließen die Plaques das Gefäß vollständig und der Betroffene erleidet einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Die Therapie bei erhöhten Bluttfettwerten zielt in erster Linie auf die Umstellung des Lebensstils ab. Im August 2016 wurden die Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS) dazu überarbeitet. In der aktualisierten Leitlinie finden sich folgende Empfehlungen zu Lebensstil und Ernährung:
Den positiven Einfluss von Nüssen auf erhöhte Blutfettwerte konnten Mediziner unter der Leitung von Klaus Parhofer vom Klinikum der Universität München zeigen. Der Verzehr von 43 Gramm Walnüssen (etwa eine Handvoll) pro Tag über acht Wochen senkte das Non-HDL-Cholesterin um 7 %. Non-HDL-Cholesterin ist die Differenz von Gesamtcholesterin und HDL. Dabei werden neben LDL auch die atherogen wirksamen Very Low Density Lipoprotein (VLDL)- und Intermediate Density Lipoprotein (IDL)-Lipoproteine gemessen. Dies ermöglicht eine bessere Risikoeinschätzung als eine alleinige LDL-Messung. Kürzlich erschien nun in der Zeitschrift Nutrients die Nachfolgestudie, in der Ärzte um Charlotte Bamberger und Klaus Parhofer untersucht hatten, ob der Effekt der Walnüsse durch Kohlenhydrate oder Fette beeinflusst wird. Charlotte Baumgartner hatte circa 200 gesunde Frauen und Männer mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren untersucht. Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen unterteilt. Alle Teilnehmer verzehrten nun jeden Tag 43 Gramm Walnüsse. Die erste Gruppe sollte dabei die Kohlenhydrat-Aufnahme, die zweite Gruppe die Fett-Aufnahme und die dritte beides reduzieren. Nach acht Wochen hatte sich das Non-HDL-Cholesterin um etwa 5 % gesenkt. „Und das unabhängig davon, ob man bei der Ernährung Fette oder Kohlenhydrate anstelle der Walnüsse weglässt“, erklärt Klaus Parhofer. „Interessanterweise haben sich die Probanden auch nur begrenzt an die ihnen vorgegebene Diät gehalten. Aber selbst dann, wenn man sich die Personen anschaut, die unsere Empfehlungen konsequent umgesetzt haben, sieht man keinen Unterschied bezüglich der Verbesserung des Cholesterinspiegels. Es spielt also keine Rolle, ob man Fette oder Kohlenhydrate reduziert, während man täglich eine Handvoll Walnüsse isst.“ Unerheblich war auch, ob die Walnüsse zur Hauptmahlzeit oder als Snack zwischendurch gegessen wurden. Reicht eine Lebensstilumstellung nicht aus, werden die Patienten medikamentös mit Statinen, aber auch Fibraten, Ezetimib, PCSK9-Inhibitoren oder andere Wirkstoffklassen behandelt. Die teuren PCSK9-Inhibitoren sind eine Option, wenn die LDL-Cholesterinwerte unter einer Statin plus Ezetimib-Behandlung nicht ausreichend gesenkt werden können oder der Patient Statine nicht verträgt.
Im März 2017 wurde die FOURIER-Studie veröffentlicht, in der die Wirkung des PCSK9-Hemmers mit dem Handelsnamen Evolocumab untersucht wurde. Für die Untersuchung hatten im Zeitraum zwischen Februar 2013 und Juni 2015 etwa 27.500 Hochrisiko-Patienten mit einer atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankung zusätzlich zu einer Statin-Therapie alle zwei Wochen bzw. einmal im Monat Evolocumab oder ein Placebo injiziert bekommen. In der Evolocumab-Gruppe sank der LDL-Cholesterinwert um etwa 60 % von 90 mg/dL auf 30 mg/dL. Zudem reduzierte sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte, Krankenhausaufenthalte aufgrund einer instabilen Angina und Schlaganfälle traten in der Evolocumab-Gruppe 15 % seltener auf. Die Wirkung von Evolocumab beruht dabei auf der Inhibierung des sogenannten PCSK9-Signalwegs. Normalerweise löst die Bindung des PCSK9-Proteins an den LDL-Rezeptoren der Hepatozyten den Abbau dieser Rezeptoren aus. Die Inhibierung durch Evolocumab führt dazu, dass der Rezeptor vermehrt zurück an die Zelloberfläche der Leberzellen gelangt. In der Folge nehmen die Zellen mehr LDL auf und die Konzentration im Blut nimmt ab.
Doch PCSK9-Hemmer sind teuer und wirken relativ kurz. Zudem können sich Antikörper gegen den Wirkstoff bilden, wenn der Hemmer über einen längeren Zeitraum verabreicht wird. Das kann die Wirkung beeinträchtigen. Aus diesem Grund suchten Wissenschaftler um Marianne Pouwer von der Universität Leiden in den Niederlanden nach neuen Wirkstoffen. Entwickelt haben sie den Impfstoff AT04A. Dieser veranlasst den Körper, gegen PCSK9 Antikörper zu bilden. Die Wissenschaftler haben ihren Impfstoff an genetisch veränderten Mäusen getestet, die durch eine kalorien- und fettreiche Ernährung (Western Diet) innerhalb von 18 Wochen an Arteriosklerose erkrankten. Verglichen mit der Kontrollgruppe hatten die Nager der AT04A-Gruppe einen 50 % niedrigeren Cholesterinspiegel. Zudem waren Marker für Gefäßentzündungen reduziert und atherosklerotische Schäden traten 60 % seltener auf. Die Antikörper konnten die Wissenschaftler noch bis zu einem Jahr in den Nagetieren nachweisen. Der Impfstoff wird derzeit an der Medizinischen Universität in Wien in einer klinischen Phase-1-Studie getestet. https://www.youtube.com/watch?v=zopsORZgfbk
Die Wissenschaftler um Ulf Landmesser von der Charité am Campus Benjamin Franklin und Kausik Ray vom Imperial College London setzen dagegen auf eine Therapie mit einer Ribonukleinsäure – einer small-interfering RNA (siRNA). Die doppelsträngige siRNA verbindet sich in Hepatozyten mit der mRNA des PCSK9-Gens. Die von der mRNA codierten PCSK9-Proteine werden daraufhin nicht mehr produziert. Für ihre Studie hatten die Mediziner etwa 500 Hochrisiko-Patienten eine siRNA (Inclisiran) oder ein Placebo verabreicht. Es zeigte sich, dass die siRNA den LDL-Cholesterinwert um bis zu 50 % reduzierte. „Besonders interessant ist für uns der langanhaltende Effekt der Behandlung, der bereits nach einer einmaligen Gabe noch über neun Monate lang sichtbar war“, so Ulf Landmesser in einer Pressemitteilung. „Im nächsten Schritt wollen wir die Behandlung jetzt in einem großen klinischen Studienprogramm als neue Therapie zur Vermeidung des Herzinfarkts und Schlaganfalls bei Hochrisiko-Patienten weiter entwickeln“, fügt er hinzu.