Diabetiker haben häufiger Parodontitis – und umgekehrt. Worauf ihr als Haus- und Zahnärzte achten solltet.
Eine Volkskrankheit kommt selten allein. So ist es zumindest bei Diabetes und Parodontitis. Jede der beiden Krankheiten erhöht das Risiko, die andere zu bekommen. Beide zu haben, führt zu schwereren Verläufen und verkompliziert die Therapien. Die neue S2k-Leitlinie „Diabetes und Parodontitis“ unter der Federführung der drei Deutschen Gesellschaften für Parodontologie, Diabetes sowie Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hat sich jetzt dieser doppelt belasteten Patientengruppe angenommen. Die Leitlinie richtet sich primär an Ärzte, die mit Diabetikern zu tun haben, sowie an Zahnärzte und an das entsprechende Fachpersonal. Für Zahnimplantate bei Diabetikern gibt es eine eigene Leitlinie.
Bei einer Parodontitis attackiert das Immunsystem Bakterien, die den Zahnfleischrand besiedeln. Wird die Entzündung chronisch, zerstört sie Zahnfleisch und Kieferknochen, bis die Zähne den Halt verlieren und ausfallen. Jeder zehnte Erwachsene ist von Parodontitis betroffen, behandelt wird jedoch nur ein Bruchteil von ihnen. Dabei ist schwere Parodontitis neben Karies für mehr Lebensjahre mit beschädigter Gesundheit (DALYs) verantwortlich als jede andere menschliche Erkrankung. Auch Typ-2-Diabetes mit seiner etwas niedrigeren Prävalenz, dafür mit steigender Tendenz, verursacht enorm viel Leid und jährlich mehr als 25.000 Todesfälle, vor allem durch Blutgefäß- und Nierenschäden.
Weil viele Menschen regelmäßig zum Zahnarzt gehen, aber die Hausarztpraxis meiden, rät die Leitlinie Zahnärzten, Parodontitis-Patienten auf ihr erhöhtes Diabetesrisiko hinzuweisen und selbiges mit einem Fragebogen oder Risikorechner zu ermitteln. Hierfür eignet sich etwa der Findrisk genannte Rechner, den die Deutsche Diabetes-Stiftung anbietet. Danach hat ein 60-jähriger, schlanker, sportlicher Mann ohne familiäre Vorbelastung, der sich zudem gesund ernährt und weder mit Bluthochdruck noch Zuckerwerten auffällig geworden ist, ein Diabetesrisiko von 1 % für die nächsten zehn Jahre.
Schätzt der Rechner das Risiko dagegen hoch ein, kann ein Fingerbluttest den Diabetes-Verdacht erhärten. In einem RCT zeigte sich, dass mit Aufklärung und Blutzucker-Messung 86 % der Patienten im nächsten halben Jahr zum Hausarzt gingen, ihren Lebensstil optimierten und ihren HbA1C-Wert deutlich senkten.
Auch die umgekehrten Fälle gibt es, in denen Diabetiker zwar regelmäßig den Hausarzt aufsuchen, aber den Besuch beim Zahnarzt scheuen. Deshalb sollen Hausärzte ihre Diabetes-Patienten darüber aufklären, dass sie ein dreifach erhöhtes Parodontitis-Risiko haben, und dass eine chronische Entzündung die Folgen ihres Diabetes verschlimmern und die Therapie erschweren kann. Willkommener Nebeneffekt: Die Information, dass ein gut eingestellter Diabetes das Risiko für Parodontitis senkt, kann Patienten zusätzlich motivieren, ihre Diabetes-Behandlung ernst zu nehmen.
Der Risikorechner der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie, den die Leitlinie Hausärzten empfiehlt, ist jedoch weniger hilfreich als der Diabetes-Rechner. Derselbe gesundheitsbewusste Mensch, der von Findrisk grünes Licht bekommt, würde hier ein rotes Lämpchen erhalten: Ein 60-jähriger Mann mit höherer Schulbildung, der nie geraucht hat, dessen Zahnfleisch nicht blutet und dessen Zähne nicht wackeln, hat laut Rechner ein Parodontitis-Risiko von 79 bis 86 %. Hier genügt also oft der bloße Augenschein: Alter Mann, marsch marsch zum Zahnarzt! Die Parodontitis-Behandlung würde sich jedenfalls lohnen: Sie senkt den HbA1C so effektiv wie ein zweites Diabetes-Medikament.
Damit das Aufklären leichter fällt, hat die Leitlinie die Empfehlungen für die Patientenansprache mundgerecht formuliert. Man sollte sich dabei jedoch vor Alarmismus hüten. Auf die Frage von Diabetikern, woran sie Parodontitis selbst bemerken könnten, sollen Hausärzte unter anderem „an schlechtem Geschmack“ antworten, verbunden mit dem Rat: „Wenn Sie jemals irgendeines dieser Zeichen bemerkt haben, sollten Sie so bald wie möglich einen Zahnarzt aufzusuchen.“
Bildquelle: Enis Yavuz, Unsplash