Facharzt zu werden, kostet viel Zeit und Geld – und garantiert am Ende trotzdem keine Anstellung. Warum Praxisinhaber die hochqualifizierten Kollegen nicht beschäftigen wollen.
Einer der Kollegen erzählte, dass seine Frau als fertige Internistin mit Berufserfahrung gerade eine Anstellung in einer Praxis suche – und war völlig irritiert, dass niemand sie anstellen wolle. Vor zwei oder drei Jahren hätte ich mich das vielleicht auch noch gefragt, doch nun konnte ich es ihm erklären (auch wenn ich nicht weiß, ob das wirklich half):
Das Hauptproblem ist das Timing und der Facharzt selbst: Sobald man fertiger Arzt ist, läuft alles auf die Facharztprüfung hin. Danach streben die meisten dann auch sehr schnell, weil man erst dann wirklich „fertig“ ist. Wie ich früher schon einmal erzählt habe, hat mir mein Chef damals davon abgeraten, möglichst schnell den Facharzt zu machen und jetzt weiß ich auch warum: Wenn man einmal Facharzt ist, ist das System dann darauf ausgelegt, dass man sich niederlässt.
Damit man schnell seinen Facharzt macht, wird auch die Weiterbildung gerade in der Allgemeinmedizin im niedergelassenen Bereich gefördert – sowohl finanziell als auch dadurch, dass damit geworben wird, man könne dort Familie und Beruf besser vereinen.
Leider hat eben diese Förderung dazu geführt, dass einige sehr geschäftstüchtige Kollegen die Förderung nur einfach „durchreichen“ an den Weiterbildungsassistenten und leider sehr wenig weiterbilden, dafür aber – sicher familienfreundlich – nicht so sehr auf die Stunden achten, die wirklich gearbeitet werden. Klingt also super: Viel Geld, super Arbeitszeiten, alles toll.
Vielen Weiterbildungsassistenten ist aber nicht klar, dass ein schnelles Facharzt-Sein auch seinen Haken hat (dann ist die Förderung nämlich weg, weil man sich ja eigentlich selbst niederlassen soll, man muss eine KV-Zulassung samt KV-Notdiensten haben etc.). Das heißt zwar für die angestellten Ärzte wieder mehr Geld für die höhere Qualifikation, aber das muss der Chef dann auch aufbringen – oder er bietet eben nur die Weiterbildung an, entlässt den Facharzt und holt sich den nächsten (günstigen) Weiterbildungsassistenten.
Was dann? Traditionell wurde an dieser Stelle dann die eigene Praxis gegründet bzw. übernommen. Blöderweise fällt diese Zeit (oft Anfang bis Mitte 30, wenn man normal „durchgezogen“ hat) aber genau in die Zeit der Familiengründung. Entsprechend sind die Leute mit dem Facharzt fertig, wenn die Kinder noch klein sind und man nun gar nicht die Zeit hat für eine Praxisgründung. Und gerade in den ersten ein bis zwei Jahren verdient man als Neu-Praxisinhaber eher wenig, sondern hat stattdessen jede Menge Kosten für den Aufbau, das Personal etc.
Die Lage: Man hat dann den Facharzt, ist höher qualifiziert als vorher – aber beruflich ist es schwieriger. Selbstständigkeit mit einem hohen zeitlichen wie finanziellen Ressourcenaufwand oder eine Anstellung, aber bei den Praxischefs ist man jetzt plötzlich unbeliebter.
Aber warum wollen die Praxisinhaber denn nicht noch mehr Fachärzte anstellen (wenn sie nicht schon selbst im Rentenalter sind und deswegen gern ihre Praxis abgeben wollen, nachdem der angestellte Facharzt ein oder zwei Jahre „angefüttert“ wurde)? Naja – das liegt daran, dass die Gehälter der angestellten Ärzte dank diverser Proteste des Marburger Bundes in einer Weise gestiegen sind, dass sie schlichtweg für eine Hausarztpraxis kaum finanzierbar sind: 25 % zwischen 2014 und 2024 (wobei gleichzeitig der Punktwert nur um ca. 11 % gestiegen ist – letztlich damit deutlich unterhalb der Inflation liegt).
Und jetzt kommt bald die nächste Runde und das Angebot von 5,5 % Erhöhung von Seiten der Arbeitgeber wurde bereits als unzureichend abgelehnt. Da ich mich normalerweise auch an die Tarife der kommunalen Krankenhäuser halte, bekomme ich da langsam Angst… Wie soll ich das denn bezahlen, wenn meine beiden Weiterbildungsassistenten fertig werden? Ich würde beide super gern behalten, sie sind tolle Ärztinnen, aber mit dann vier (teilzeit-)angestellten Fachärzten ist das kaum noch finanzierbar. Wir brauchen die Ärzte, aber ich kann die Versorgung in der Region nicht allein aus meiner Tasche bezahlen!
Aber damit erklärt sich auch sehr schnell, warum eine fertige Internistin mit Berufserfahrung kaum Möglichkeiten hat, einen Job zu finden: Sie ist sicherlich hochqualifiziert und wäre toll für die Patienten, aber für die Praxisinhaber ist sie vor allem auch TEUER. Und das muss man sich als Niedergelassener auch leisten können. Unser Punktwert wird nämlich nicht an Inflation oder Gehälter angepasst – auch die Hausarztverträge werden nur alle 5 Jahre angepasst – und das heißt, dass die Inflation der letzten Jahre auch da ihre Spuren hinterlassen hat.
Damit erklärt sich auch, warum immer mehr Ärzte ohne Nachfolger schließen: Will man als Arzt wirklich das Risiko eingehen, einen Facharzt anzustellen, der noch nicht sicher ist, was er machen will und sich damit finanziell ins eigene Fleisch schneiden, wenn das alte Konzept der „Altersvorsorge durch Praxisverkauf“ nicht mehr sicher funktioniert? Denn dann hätte der Arzt doppelt verloren: Erst durch das hohe Angestellten-Gehalt (und die KV-Dienste, die letztlich nämlich auch der Praxisinhaber selbst begleichen muss) und am Ende durch die ausbleibende Nachfolge. Denn die Generation an jungen Ärzten, die jetzt kommt, hat in den nächsten Jahren noch kleine Kinder (und oft hoch qualifizierte Partner, die auch nicht unbedingt zu Hause bleiben und unterstützen).
So weit, so schwierig. Was also tun? Das deutsche Gesundheitssystem ist jetzt schon das teuerste in der EU bei gleichzeitig überschaubarer Lebenserwartung – also werden weitere Kosten wahrscheinlich sofort als unfinanzierbar abgelehnt werden. Ich glaube, dass wir uns der gesellschaftlichen Debatte stellen müssen, wie sich diese Gesundheitskosten zusammensetzen und dann entscheiden, wie unser Gesundheitssystem aussehen soll. Diese Debatte wünsche ich mir (ohne Populismus, sondern wirklich als sachliche Debatte).
Denn so ist es maximal schlecht: Wir bilden hochqualifizierte Ärzte aus, die dann aber nicht am Patienten arbeiten, weil sie eben nicht selbständig sein wollen – verhindern aber auch, dass andere sie anstellen, weil es zu teuer ist. Das muss besser gehen.
Ich freue mich auf konkrete Vorschläge.
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