Bei der Therapie psychotischer Erkrankungen sind Neuroleptika Standard – doch während die Zahl der Verordnungen weiter steigt, wird immer weniger über die Nebenwirkungen aufgeklärt. Was Ärzte und Apos wissen müssen.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung.
Neuroleptika, auch Antipsychotika genannt, sind eine Klasse von Medikamenten, die hauptsächlich zur Behandlung von Schizophrenie, bipolaren Störungen und anderen psychotischen Erkrankungen eingesetzt werden. Sie beeinflussen das zentrale Nervensystem, indem sie die Aktivität bestimmter Neurotransmitter, insbesondere Dopamin, modulieren. In Deutschland gibt es eine Vielzahl von zugelassenen Neuroleptika, die in zwei Hauptkategorien unterteilt werden: typische (klassische) und atypische (neue) Neuroleptika.
In Deutschland erhalten jährlich mehrere Millionen Menschen Neuroleptika, sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Es wird geschätzt, dass etwa 2,3 Millionen gesetzlich versicherte Patientinnen und Patienten pro Quartal ambulant von Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie betreut werden, darunter viele mit neuroleptischen Therapien. Auch in den ambulanten psychiatrischen Behandlungszentren werden jährlich etwa 2 Millionen Behandlungsfälle registriert, bei denen Neuroleptika eine zentrale Rolle in der Therapie spielen. Zusätzlich wurden im Jahr 2022 rund 810.978 Patienten vollstationär in psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern behandelt, wobei psychotische Störungen wie Schizophrenie oft mit Neuroleptika therapiert werden
Die Verordnungszahlen von Neuroleptika, insbesondere der neueren atypischen Substanzen wie Quetiapin oder Risperidon, sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, was die Bedeutung dieser Medikamentengruppe in der Versorgung psychischer Erkrankungen unterstreicht. Umso wichtiger ist es, dass nicht nur Ärzte, sondern auch pharmazeutische Angestellte der Apotheken über die Nebenwirkungen der Medikamente Bescheid wissen und Patienten dahingehend umfassend aufklären.
In Deutschland werden sowohl typische als auch atypische Neuroleptika verordnet. Hier ein Überblick über einige der am häufigsten verwendeten Präparate:
Haloperidol, ein typisches Neuroleptikum der ersten Generation, wird in Deutschland häufig in der Akutbehandlung psychotischer Zustände, bei Schizophrenie sowie bei Delir auf Intensivstationen eingesetzt. Es ist besonders nützlich bei schweren Agitationen und psychotischen Symptomen, wie Halluzinationen und Wahnvorstellungen. In der Intensivmedizin wird es vor allem bei Delir, insbesondere im Zusammenhang mit Alkoholentzug oder nach Operationen, verwendet.
Die Verordnungszahlen von Haloperidol sind jedoch rückläufig, vor allem wegen der stärkeren Nutzung moderner, atypischer Neuroleptika wie Quetiapin oder Risperidon. Diese atypischen Neuroleptika haben ein günstigeres Nebenwirkungsprofil, insbesondere in Bezug auf extrapyramidale Symptome (z. B. Parkinsonismus und Akathisie), die bei Haloperidol häufiger auftreten. Aktuelle Studien zeigen, dass der Einsatz von Haloperidol bei bestimmten Indikationen wie Delir weniger vorteilhaft sein könnte, was ebenfalls zu einer Reduktion seiner Verschreibungen beiträgt. Der Rückgang von Verordnungen ist teilweise auf Bedenken bezüglich seiner Nebenwirkungen und die Verfügbarkeit besser verträglicher Alternativen zurückzuführen. Aktuelle Richtlinien und Studien, wie die aus dem Jahr 2023, legen nahe, dass Haloperidol in spezifischen, akuten Situationen zwar immer noch nützlich ist, aber die langfristige Anwendung zugunsten moderner Antipsychotika weiter abnimmt. Dies unterstreicht die Verschiebung hin zu einer stärker differenzierten, individuell angepassten Therapie bei psychischen Erkrankungen.
Chlorpromazin wird in verschiedenen Bereichen eingesetzt, darunter zur Behandlung von Schizophrenie, schweren Verhaltensstörungen, Übelkeit und Erbrechen sowie als Prämedikation vor Operationen. Es wird auch bei chronischen Zuständen wie hartnäckigem Schluckauf und als Unterstützung bei der Behandlung von Tetanus verwendet. Die sedierende Wirkung von Chlorpromazin macht es zudem nützlich für die Linderung von Unruhe und Ängsten bei schwer erkrankten Patienten. Weltweit ist die Verordnung von Chlorpromazin jedoch rückläufig, und die Gründe sind dieselben wie bei Haloperodol: Moderne, atypischer Antipsychotika weisen ein besseres Nebenwirkungsprofil auf und verursachen weniger schwere Nebenwirkungen, wie tardive Dyskinesien.
Clozapin wird üblicherweise zur Behandlung von therapieresistenter Schizophrenie eingesetzt, insbesondere bei Patienten, die auf andere Antipsychotika nicht ansprechen. Es ist aufgrund seines Wirkprofils oft das Mittel der Wahl, wenn andere Behandlungen versagen. Allerdings ist seine Verordnung in Deutschland aufgrund der strengen Sicherheitsanforderungen, wie regelmäßigen Blutbildkontrollen zur Vermeidung einer Agranulozytose relativ begrenzt. Die Verordnungszahlen von Clozapin sind insgesamt stabil, aber es wird weiterhin seltener und meist in spezialisierten Fällen eingesetzt.
Risperidon wird häufig zur Behandlung von Schizophrenie, bipolaren Störungen und reizbarer Unruhe bei Demenzpatienten eingesetzt. Es wird besonders geschätzt wegen seiner Wirksamkeit und geringeren Neigung zu motorischen Nebenwirkungen im Vergleich zu älteren Neuroleptika. Risperidon wird sowohl in oraler Form als auch als Depotpräparat verabreicht, um eine bessere Therapieadhärenz zu ermöglichen. Die Verordnungszahlen von Risperidon in Deutschland sind in den letzten Jahren gestiegen, da es als gut verträgliche Option bei psychotischen Störungen und demenzbedingten Verhaltensstörungen zunehmend verschrieben wird. Es gehört zu den häufig verordneten Antipsychotika, insbesondere in Pflegeheimen, wo eine wirksame Sedierung oft notwendig ist. Dieser Trend zeigt, dass Risperidon in der psychiatrischen Versorgung weiterhin an Bedeutung gewinnt
Olanzapin wird in der Psychiatrie vor allem zur Behandlung von Schizophrenie und bipolaren Störungen eingesetzt. Es wird oft aufgrund seiner sedierenden Wirkung und der guten Verträglichkeit bei schweren psychotischen und affektiven Störungen verschrieben. Olanzapin wirkt durch die Blockade von Dopamin- und Serotonin-Rezeptoren und hilft, Symptome wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und starke Stimmungsschwankungen zu lindern. Die Verordnungszahlen in Deutschland zeigen, dass es weiterhin eine wichtige Rolle in der psychiatrischen Behandlung spielt. Während es aufgrund seiner Wirksamkeit in der Behandlung schwerer Störungen häufig verschrieben wird, gibt es gleichzeitig Bedenken hinsichtlich der Nebenwirkungen, insbesondere der Gewichtszunahme und des Risikos für Stoffwechselstörungen.
Diese Nebenwirkungen führen dazu, dass Olanzapin mit Vorsicht verwendet wird, insbesondere bei Langzeittherapien. Trotz der möglichen Nebenwirkungen bleibt Olanzapin ein zentraler Bestandteil der Behandlung von Patienten, bei denen andere Antipsychotika nicht ausreichend wirken oder schlecht verträglich sind. Die Verordnungszahlen sind daher stabil, obwohl moderne Alternativen wie Aripiprazol in bestimmten Fällen bevorzugt werden.
Aripiprazol wird vor allem zur Behandlung von Schizophrenie, bipolaren Störungen und als Zusatztherapie bei therapieresistenten Depressionen eingesetzt. Es zeichnet sich durch ein gutes Nebenwirkungsprofil aus und wirkt sowohl antipsychotisch als auch stimmungsstabilisierend. In der Geriatrie wird Aripiprazol oft als Augmentationsmittel bei Depressionen verwendet, die auf andere Therapien nicht ansprechen. Die Verordnungszahlen von Aripiprazol in Deutschland sind tendenziell steigend, da es aufgrund seiner Verträglichkeit und vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten zunehmend verschrieben wird, insbesondere in Langzeittherapien.
Quetiapin wird vor allem zur Behandlung von Schizophrenie, bipolaren Störungen und in geringer Dosierung auch bei Depressionen eingesetzt, besonders als Zusatztherapie bei therapieresistenten Fällen. Es hat sowohl sedierende als auch antipsychotische Wirkungen. Aufgrund seiner beruhigenden Wirkung wird es auch off-label für Schlafstörungen eingesetzt, obwohl dies kontrovers diskutiert wird. Die Verordnungszahlen von Quetiapin in Deutschland sind in den letzten Jahren angestiegen, insbesondere wegen seiner vielseitigen Anwendung bei verschiedenen psychischen Störungen. Es gehört zu den am häufigsten verschriebenen atypischen Antipsychotika, das besonders nach dem Patentablauf von Seroquel® im Jahr 2012 einen bedeutenden Teil der Antipsychotika-Verschreibungen ausmacht.
Neuroleptika haben ein breites Spektrum an Nebenwirkungen, die je nach Wirkstoff unterschiedlich ausgeprägt sein können. Generell lassen sich die Nebenwirkungen folgendermaßen kategorisieren:
Hyperprolaktinämie: Besonders bei Risperidon und Haloperidol kann es zu erhöhten Prolaktinwerten kommen, was bei Frauen Menstruationsstörungen und bei Männern Potenzstörungen verursachen kann.
Clozapin kann bei etwa 1 % der Patienten eine Agranulozytose auslösen, eine potenziell lebensbedrohliche Verminderung der weißen Blutkörperchen, die regelmäßige Blutbildkontrollen erfordert.
Ein zentraler Aspekt bei der Verordnung von Neuroleptika ist die umfassende Aufklärung des Patienten über mögliche Nebenwirkungen und deren Management.
Wichtige Punkte für das Gespräch mit dem Patienten:
Neuroleptika werden immer häufiger verordnet, was den Anschein erwecken könnte, eine solche Behandlung sei nichts Besonderes mehr und die Medikamente nicht besonders erklärungsbedürftig. Doch die Vielfalt der möglichen Nebenwirkungen erfordert eine individualisierte Therapie und eine enge Überwachung. Es braucht also umfassende Patientenaufklärung in Arztpraxen und Apotheken sowie ein frühzeitiges Erkennen und Management der Nebenwirkungen, um die Therapie zu optimieren und das Risiko für Langzeitschäden zu minimieren.
Anwendungsbereiche und Neuroleptika-Arten: Neuroleptika (Antipsychotika) werden vor allem bei Schizophrenie, bipolaren Störungen und psychotischen Erkrankungen eingesetzt und unterteilen sich in typische und atypische Varianten.
Zunahme der Verordnungen: Die Verschreibungen atypischer Neuroleptika wie Quetiapin und Risperidon steigen, während typische Neuroleptika wie Haloperidol aufgrund besserer Verträglichkeit zunehmend weniger verschrieben werden.
Nebenwirkungen und Überwachung: Neuroleptika haben diverse Nebenwirkungen (z.B. motorische und metabolische), weshalb Patienten regelmäßig überwacht und über Risiken aufgeklärt werden müssen, insbesondere bei der langfristigen Anwendung.
Rolle der Aufklärung: Um Nebenwirkungen und Therapieabbrüche zu minimieren, ist eine umfassende Aufklärung durch Ärzte und Apotheker notwendig, vor allem bei potenziell kritischen Substanzen wie Clozapin.
Bildquelle: Andrej Lišakov, Unsplash