Im Laufe der Therapie kann es dazu kommen, dass L-Dopa bei Parkinson-Patienten nicht mehr ausreicht, um die Symptome in den Griff zu bekommen. Welchen Stellenwert haben dann Verfahren wie die Tiefe Hirnstimulation – und welche Möglichkeiten gibt’s noch?
Ein Text von Ulrich Enzel
Die Parkinson-Krankheit ist mit ca. 220.000 Betroffenen – meistens Männer ab 55 bis 60 Jahren – in Deutschland eines der häufigsten neurodegenerativen Krankheitsbilder. Leider müssen die Patienten wie ihre Ärzte mit einem fortschreitenden Verlauf rechnen, vor allem als Folge der zunehmenden Degeneration dopaminerger Neuronen in der Substantia nigra des Mittelhirns. Lässt sich die motorische wie vegetative Symptomatik in den ersten Jahren nach dem Manifestwerden in der Regel gut durch orale Medikamente beeinflussen, verschlechtert sich deren Wirkung oft mit dem Fortschreiten der Krankheit. Oral aufgenommenes Dopamin (als L-Dopa) und/oder Substanzen, welche den Dopamin-Abbau hemmen, wirken immer kürzer und in immer geringerer Intensität.
Bewegungsstörungen wie Verlangsamung und Steifigkeit (Rigor) bei Parkinson-Krankheit werden nach gegenwärtigem Stand vor allem durch einen Mangel an Dopamin im Gehirn vermittelt. Levodopa (L-Dopa) ist eine Vorläufersubstanz von Dopamin. Anders als der Neurotransmitter selbst überwindet L-Dopa die Blut-Hirn-Schranke und kann daher als Medikament intestinal zugeführt werden. Erst im Gehirn wird Levodopa zu Dopamin umgebaut und kann dort den Dopaminmangel bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Das lindert die Bewegungsstörungen bei Parkinson. Auf Tremor sowie Sprach- und Schluckstörungen hat Levodopa keine positive Wirkung. L-Dopa wird mit DOPA-Decarboxylase-Hemmern wie Benserazid oder Carbidopa kombiniert, damit der Wirkstoff nicht schon vor Ankunft im Gehirn in Dopamin umgewandelt wird. Entsprechend der jüngsten S2k-Leitlinie zur Parkinson-Therapie profitieren vor allem ältere Patienten mit kognitiver Beeinträchtigung besonders gut von Levodopa. Für das Frühstadium von Parkinson empfiehlt die Leitlinie MAO-B-Hemmer, Dopaminagonisten oder Levodopa.
Unter oraler L-Dopa-Substitution kann es im Krankheitsverlauf außerdem zunehmend zu unphysiologischen Schwankungen des Dopaminspiegels kommen. Es treten sogenannte motorische Fluktuationen auf. Phasen mit guter Bewegungsfähigkeit, sogar Hyperkinetik, wechseln mit massiver Einschränkung der Bewegungsfähigkeit ab. Es kommt nicht selten sogar zu plötzlichem, schwer kontrollierbarem Wechsel der gesamten Motorik, den On-Off-Phänomenen. Dabei kann sich auch eine persistierende Off-Immobilität entwickeln, bis hin zum „Freezing“, einem abrupten Erstarren in Bewegungslosigkeit und/oder gar nicht mehr kontrollierbaren Bewegungsabläufen (Dyskinesie).
Trotz vorübergehend hilfreicher Dosis-Anpassungen oraler Medikationen können aufgrund von Dopaminmangel im Gehirn immer häufiger plötzliche schwere Schübe der Parkinson-Symptome auftreten, so genannte „Wearing-off-„ und „End-of-Dose-Phänomene“ sowie zunehmend auch eine nächtliche/frühmorgendliche Verlangsamung aller Extremitäten-Bewegungen (Bradykinesie). Pulsatiles, d. h. stoßartiges Anfluten des Dopamins kann im kognitiven Bereich zu einem Wechsel zwischen On-Kreativschüben mit Gedankenflucht oder gar Halluzinationen führen und massiver Off-Reduktion des Lern- und Entscheidungsvermögens. Im limbischen System droht ein Fluktuieren zwischen der gehobenen Stimmungslage einer On-Hypomanie und reduzierter Impulskontrolle mit Off-Apathie, „Ausschalt-Phänomenen“ im Emotional-Affektiven mit depressiver und Angst-Symptomatik.
Doch glücklicherweise stehen für diese fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung intensivierte Verfahren zur Verfügung. So können vom Oralen unabhängige invasive NOFT (Nicht-orale Folgetherapie)-Verfahren solche multiplen On-Off-Symptome deutlich verbessern, sogar verhindern. Dies wird in der Regel auch die Lebensqualität deutlich anheben. Die zuletzt 2023 überarbeitete Deutsche Parkinson-Leitlinie und die der Europäischen Neurologischen Fachgesellschaften gehen detailliert auf die immense Bedeutung dieser nicht oralen Behandlungsformen ein.
Als klinischer Konsens, um eine pragmatische Identifizierung von Patienten mit fortgeschrittener Parkinson-Krankheit und Eignung für eine NOFT zu ermöglichen, wurden die klinischen 5-2-1-Kriterien vorgeschlagen:
Wenn Patienten diese Kriterien erfüllen, ist mit 3,8-mal häufigeren Stürzen, 3,6-mal höherer Hospitalisierungsrate, 3,4-mal geringerer Zufriedenheit mit der bisherigen Therapie und signifikant reduzierter Lebensqualität zu rechnen gegenüber „Negativ 5-2-1-Getesteten“. Das Fortschreiten der Parkinson-Krankheit zu diesen NOFT-Kriterien korreliert in der Regel mit der Notwendigkeit, dass alle 3 Stunden eine orale Medikation erforderlich wird, so die Erfahrung vieler Ärzte.
Doch welches sind diese weiteren Therapie-Optionen, die Parkinson-Patienten mit umfangreichen Potenzialen zur Besserung motorischer Symptome wie zum Anheben der Lebensqualität zur Verfügung stehen? Fast zur Routine gehört die Technik der Tiefen Hirnstimulation (THS), bei der dauerhaft Mikro-Elektroden in den Nucleus subthalamicus (STN) implantiert werden. Diese rasch einen substanziellen Mehrwert verschaffende STN-THS kann laut der aktuellen Leitlinie bereits in den ersten drei Jahren nach Einsetzen von Fluktuationen oder Dyskinesie zum Einsatz kommen, selbst bei Patienten im Alter unter 60 Jahren. Eine zu erwartende Wirksamkeit muss durch einen standardisierten Levodopa-Test vorab geklärt werden, auch da die STN-THS nicht vollständig reversibel ist. Das Vorhandensein einer Demenz oder einer schweren Depression gilt als wichtige Kontraindikation für eine THS.
Zu den Alternativen gehört die subkutane Gabe von Apomorphin, welche Fluktuationen bessern und – in leider zumeist nur geringem Umfang – die Lebensqualität stabilisieren kann. Der Wirkstoff kommt jedoch oft erst zum Einsatz, wenn nebenwirkungsärmere (s.o./s.u.) Therapieoptionen ausgeschöpft sind. Ähnliches gilt für die zweite subkutane Option: Foslevodopa.
In den Vordergrund gerückt sind intra-jejunale Infusionen, besonders seit für diese von der oralen Aufnahme unabhängige, kontinuierliche Medikamenten-Applikation nicht nur Levodopa plus Cardidopa (LCIG) zur Verfügung steht, sondern seit Anfang 2021 zusätzlich Entacapon (LECIG), welches höhere Levodopa-Plasmaspiegel und dadurch eine Reduktion der L-Dopa-Dosis ermöglicht. Die hierdurch erreichten konstanten Plasmaspiegel reduzieren stark die oftmals bedrohlichen Off- und Hyper-On-Phasen und verlängern die erwünschten On-Zeiten ohne Dyskinesien und die weiteren, oben beschriebenen lästigen, geradezu gefährlichen Symptome massiv. Ein weiterer Vorteil dieser auch in den aktuellen Leitlinien favorisierten individuell variabel einstellbaren kombinierten Medikamenten-Applikation direkt in den Dünndarm entsteht durch das Umgehen gastrointestinaler Motilitätsstörungen. Insbesondere bei Parkinson-Kranken stellt sich häufig eine Gastroparese mit verzögerter Magen-Entleerung ein, welche die Resorption oral aufgenommener Medikamente zusätzlich verzögern und sogar stark behindern kann.
Die Autoren einer aktuellen Publikation richten den Fokus auf eine sequentielle Therapie, bei der kontinuierliche Therapieformen und THS nicht als Konkurrenz eingestuft werden, sondern als komplementäre Verfahren, die es gilt in Ergänzung zueinander zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Krankheitsentwicklung zu prüfen und einzusetzen. Denn diese besitzen ganz verschiedene Stärken und Schwächen und unterscheiden sich deutlich – sowohl in der Handhabung als auch bezüglich Nebenwirkungsprofil und Kontraindikationen.
Ihr Fazit: „Um die Lebensqualität und Teilhabe der Patienten zu erhalten oder wieder zu verbessern, sollte fortlaufend die Indikationsstellung zur Einleitung einer solchen Therapie geprüft und die Auswahl des Verfahrens auf die zu diesem Zeitpunkt führende Symptomatik zugeschnitten sein. Neben dem sequentiellen Einsatz dieser kontinuierlichen Therapieverfahren kann in ausgewählten Fällen zudem die Kombination aus THS und pumpenbasierten Verfahren zur bestmöglichen Versorgung der Patienten beitragen.“
Quellen:
Deuschl et al. European Academy of Neurology/Movement Disorder Society - European Section guideline on the treatment of Parkinson's disease: I. Invasive therapies. Eur J Neurol, 2022. doi: 10.1111/ene.15386
Schröter et al. Synergien statt Rivalitäten – die missverstandenen Rollen von kontinuierlicher intrajejunaler Levodopatherapie und Tiefer Hirnstimulation bei der Behandlung des Morbus Parkinson – eine Expertenmeinung. Fortschr Neurol Psychiatr, 2024. doi: 10.1055/a-2238-1641
Phokaewvarangkul O et al. What was first and what is next in selecting device‑aided therapyin Parkinson’s disease? Balancing evidence and experience. J Neural Transm, 2024. doi: 10.1007/s00702-024-02782-2
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