Alle Kinder sind mal aufmüpfig, doch bei manchen ist das ein Dauerzustand. In diesem Fall kann es sich um eine Störung des Sozialverhaltens handeln – ein Krankheitsbild, das Ärzte ernstnehmen sollten.
So gut wie alle Kinder haben ihre rebellischen Phasen und lehnen sich gegen soziale Normen und Regeln auf. Auch Streitereien unter Kindern und Jugendlichen sind nichts Ungewöhnliches. Wenn ein solches Verhalten allerdings Überhand nimmt, könnte es sich auch um eine Störung des Sozialverhaltens handeln. Doch wie unterscheidet man zwischen „normalem“ und „gestörten“ Verhalten, wodurch wird es ausgelöst – und was kann man tun?
Eine Störung des Sozialverhaltens zeichnet sich durch aggressive Verhaltensmuster und das Missachten von Regeln und der Rechte anderer aus, welche über Zeit schlimmer werden. Dazu zählen:
In der Differentialdiagnostik ist es wichtig, zwischen anderen affektiven oder psychotischen Störungen zu unterscheiden: Bei diesen tritt das auffällige Verhalten meist in Phasen auf, während die Störung des Sozialverhaltens anhaltend und sich langsam verschlimmernd ist.
Das Alter, bei dem die Störung beginnt, scheint außerdem eine Rolle zu spielen. Setzt das auffällige Verhalten bereits vor dem 11. Lebensjahr ein (Childhood-Onset-Typ), zeigen die Kinder oft verstärkte physische Aggression im Vergleich zu Kindern, bei denen die Störung erst ab dem 11. Lebensjahr (Adolescent-Onset-Typ) auftritt. Zudem ist die Prognose für den Adolescent-Onset-Typ besser. Generell sind zwischen 1–5 % der Kinder betroffen, dabei werden Jungen deutlich häufiger diagnostiziert als Mädchen, in verschiedenen Studien reicht die Ratio von 4:1 bis 12:1.
Wodurch die Störung ausgelöst wird, ist unklar. Diskutiert werden sowohl organische Ursachen als auch persönliche Erfahrungen und Umständen. So gibt es Hinweise, dass Gehirnverletzungen oder Entwicklungsverzögerungen die Entwicklung einer Störung des Sozialverhaltens begünstigt. Eine Vererbung ist ebenfalls denkbar. Aber auch ein instabiles Zuhause gilt als Risikofaktor, dazu zählen zum Beispiel fehlende Struktur, Misshandlung oder suchterkrankte Eltern. Auch ein Mangel an Unterstützung im Schulkontext kann begünstigend sein. Eine Störung des Sozialverhaltens kommt zudem häufig mit anderen Erkrankungen wie ADHS, Depression oder PTBS.
Eine Studie konnte kürzlich nachweisen, dass betroffene Kinder strukturelle Veränderungen in der Gehirnstruktur aufweisen. Beispielsweise war das Volumen der Amygdala im Schnitt geringer. Die Amygdala ist unter anderem für Angst zuständig und die Autoren merken an, dass Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens häufig auch keine Angst vor einer möglichen Bestrafung zeigen. Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen konnten allerdings nicht beobachtet werden, ebenso wenig zwischen Kindern und Jugendlichen. Ob die Unterteilung in den Childhood-Onset- und Adolescent-Onset-Typ also wirklich fundiert ist, ist noch nicht geklärt. Außerdem konnte keine Korrelation mit dem Intelligenzquotienten oder – anders als bisher angenommen – einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom gefunden werden.
Für eine gute Behandlung ist es wichtig, auch das Umfeld des betroffenen Kindes einzubeziehen. So gibt es beispielsweise Trainings für Eltern, damit sie die Vermittlung von prosozialem Verhalten und positiver Verstärkung erlernen. Auch gibt es Interventionsprogrammen an Schulen. Für das Kind selbst kann eine Psychotherapie hilfreich sein, indem es Problemlösungsskills und Wut-Management erlernt. Stimmungsstabilisierende Psychopharmaka können ebenfalls indiziert sein. Falls Komorbiditäten wie ADHS vorliegen, sollten diese natürlich auch behandelt werden. Ebenfalls empfehlenswert ist es, eine Labordiagnostik durchzuführen, um andere Erkrankungen, inklusive möglicher Suchterkrankungen, zu identifizieren. Das größte Problem bei der Behandlung ist allerdings häufig eine geringe Compliance der Patienten. Gerade bei Patienten, die zu kriminellen Handlungen neigen, finden regelmäßige Therapietermine häufig erst auf erzwungener Basis, z. B. in Haft, statt.
Bildquelle: Nathan Dumlao, Unsplash