Bauchschmerzen sind ein häufiger Grund für den Besuch beim Kinderarzt. Welche Krankheitsbilder dahinterstecken und wie ein gezieltes diagnostisches Vorgehen zu effizienter Therapie führen kann.
Ein Artikel von Dr. Ulrich Enzel
Bei akuten Bauchschmerzen gilt es, rasch organische Krankheitsbilder differentialdiagnostisch abzuklären. Ab dem Kleinkindesalter treten am häufigsten auf: akute Appendizitis, Harnwegsinfektionen und Pyelonephritis, Lymphadenitis mesenterialis und Invaginationen, sowie Gastritiden und (inkarzerierte) inguinale Hernien. Aber auch eine Obstipation kann v. a. bei Koprostase akute Beschwerden verursachen und selbst Zöliakie, ja sogar Tumoren im Bauchraum beginnen häufig mit (rezidivierenden) akuten Schmerzen.
Differentialdiagnostisch muss stets auch an „Nicht-Gastrointestinales“ gedacht werden: von Adnexitis und Ovarialtorsion über Ureter-Steine und Hodentorsionen bis zur Coxitis fugax. Ja auch kardiologische Erkrankungen und solche der oberen, mittleren und v. a. unteren Atemwege, schließlich akute Leukämien und Sichelzell-Krisen können primär als akute abdominelle Beschwerden vorgestellt werden. Und immer – vor allem ab dem Schulalter – kann eine funktionelle oder psychosomatische Genese zumeist rezidivierend akute abdominelle Beschwerden induzieren.
Im diagnostischen Algorithmus steht die Anamnese an erster Stelle: Seit wann bestehen die Beschwerden? Treten diese wiederholt in derselben Form auf? Gibt es tageszeitliche Abhängigkeiten, Bezug zu Wochen-/Schultagen, Schulzeit oder Ferien? Verschlechtern oder bessern Nahrungszufuhr, Miktion, Defäkation die Schmerzen? Bestehen akute oder chronische z. B. schulische Belastungen? Immer gilt es, Begleitsymptome wie Erbrechen, Diarrhoe, auch Nahrungsverweigerung abzufragen. Bei chronifizierenden abdominellen Beschwerden sollten – am besten mithilfe eines differenzierten Bauchschmerzkalenders – Zusammenhänge zu Nahrungsmitteln, v. a. Milch und Obstsäften ebenso abgeklärt werden, wie zu wechselnder Stuhlfrequenz, -konsistenz und schleimigen, gar blutigen Auflagerungen. Führen die Schmerzen zu nächtlichem Aufwachen? Sind Gewichts- und Längen-Entwicklung beeinträchtigt? Schließlich auch: Gibt oder gab es ähnliche Beschwerden bei Angehörigen?
Die klinische Untersuchung muss immer als – ggf. auch wiederholt durchzuführender – Ganzkörperstatus angelegt sein mit Blick v. a. auch auf den thorakalen und den HNO-Bereich sowie Gelenke. Bei der Labordiagnostik sollte als erstes der Urin untersucht werden, bei rezidivierenden und chronischen Beschwerden rasch weitere Diagnostik folgen:
Basislabor: großes BB + diff. BB, Blutgasanalyse, CRP und/oder BSG, Elektrolyte, GPT, LDH, AP, Lipase, Bilirubin, Gamma-GT, TSH, Kreatinin, Kreatinkinase, Procalcitonin, Blutzucker, ges. IgA, Gewebstransglutaminase-IgA-AK; evtl. Quick/INR/PTT; immer Urin-Status
Stuhl: Untersuchung auf Giardia-lamblia-Antigen, Dientamoeba fragilis, Würmer/Wurmeier, evtl. Helicobacter-AK, Pankreas-Elastase, Laktoferrin oder Calprotectin
Probatorischer Auslass- und/oder Belastungsversuch mit Laktose- und/oder Fruktose oder H2-Exhalations-Test
Ultraschall-Untersuchung Abdomen + Harnwege
Achtung: „Maximal-Diagnostik“ (Koloskopie, MRT usw.) möglichst vermeiden: „Empirische Therapie vor Endoskopie!“
Die häufigsten organischen Ursachen von chronischen abdominellen Beschwerden sind in folgender Tabelle aufgeführt. In etwa 70 % dieser Fälle muss von funktioneller Genese ausgegangen werden. Nur in ca. 30 % Organdiagnosen!
Häufige Ursachen chronischer abdomineller Beschwerden:
Den Rest betreffen „weitere/seltene Erkrankungen“, u. a. inkarzerierte Hernien, Tumoren, Menstruationsbeschwerden, extrauterine Schwangerschaft, entzündliche gynäkologische Erkrankungen.
Im Grenzgebiet zwischen organisch und funktionell bedingten chronischen Bauchschmerzen steht zum einen – bei 1–4 % der (Schul-)Kinder – die abdominelle Migräne. Heftige periumbilikale Schmerzen sind assoziiert mit mindestens zwei Symptomen der „Migräne-Reihe“: Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Lichtscheue, Blässe. Bei 80 % der Betroffenen bringt Ruhe in dunklem Raum rasche Besserung. Bei ca. 5–9 % aller Kinder und Jugendlichen kommt es zu typischen Beschwerden eines Reizdarm-Syndroms (RDS). Hilfreich wirken oft – wie bei Erwachsenen – FODMAP-arme Diät, Pfefferminzöl und weitere (auch Misch-) Phytotherapeutika, manche Probiotika und regelmäßiges aerobes Training und/oder abdominelles Yoga und andere körperbezogene Entspannungstechniken.
Bei 70 % aller „Bauchschmerzkinder“ findet sich keine körperliche Ursache, es muss also von funktionellen Beschwerden (FGIP) ausgegangen werden, die schon im Säuglingsalter beginnen können und bei Mädchen doppelt so häufig auftreten wie bei Jungen. Nach den Covid-Lockdowns haben diese FGIP massiv zugenommen. Die beim RDS aufgeführten therapeutischen Maßnahmen und das Ermitteln und Reduzieren/Eliminieren von Schmerztriggern (Bauchschmerzkalender!) helfen meist rascher und besser als psychotherapeutische Interventionen, wie Schmerzbewältigungs-Strategien. Bewährt hat sich eine Psychoedukation auf Basis des biopsychosozialen Modells, das die – auch hirnorganisch nachweisbare – gesteigerte abdominelle Wahrnehmung positiv deutet und als Möglichkeit zu effizienter Selbsthilfe nutzt. Den Patienten und ihren Eltern muss empathisch vermittelt werden, dass erfreulicherweise kein Befund einer organischen Krankheit erhoben werden konnte, dass aber die Bauchschmerzen real existieren. Zentraler Erklär-Ansatz ist die veränderte bidirektionale Darm-Hirn-Interaktion, die nicht nur anatomisch/neurologisch, sondern auch über endokrine, humorale, metabolische und immunologische Faktoren diese beiden Organe verbindet.
Eine Obstipation sollte bei allen Bauchschmerzkindern gezielt ausgeschlossen werden. Diese chronische Störung, die v. a. im Alter von 2 bis 4 Jahren bei über 3 % der Kinder besteht, wird von den Eltern oft nicht als Krankheit aufgefasst, da sie weder akut die Gesundheit gefährdet, erst recht nicht das Leben ihres Kindes bedroht, aber dessen Lebensqualität massiv beeinträchtigen kann. Nach Ausschluss organischer Grundkrankheiten (z. B. Hypothyreose, Innervationsstörungen) ist mit dem „hilfreichen Quartett“ Bewegung, Ernährungsumstellung, Toilettentraining + Polyethylenglykol in der Regel rasch und nachhaltig Beschwerdefreiheit zu erzielen.
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