Blutgerinnsel in der Lunge können zum Tod führen oder einen Kreislaufkollaps nach sich ziehen. Wie eine Studie zeigt, kann eine Behandlung mit Thrombolytika auch Lungenembolie-Patienten mit mittlerem Sterberisiko das Leben retten. Doch Experten raten zur Vorsicht.
Experten schätzen, dass in Deutschland pro Jahr bis zu 40.000 Menschen an einer Lungenembolie sterben. Sie entsteht meistens, wenn sich ein Blutgerinnsel in einer Beinvene löst, in die Lunge wandert und dort eine Arterie verschließt. Bei sehr vielen Betroffenen erschwert die unspezifische Symptomatik eine rasche Diagnose und den unverzüglichen Therapiebeginn. Die momentan gültige S2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie macht eine Behandlung der Lungenembolie-Patienten von deren hämodynamischem Status abhängig: Bei Hochrisikopatienten, die an arterieller Hypotension und Fehlfunktion der rechten Herzkammer leiden, sollten Ärzte nicht nur den Kreislauf unterstützen und die Blutgerinnung hemmen, sondern sofort eine aktive Auflösung der Blutgerinnsel durch Gabe von Thrombolytika einleiten.
Bei Patienten mit niedrigem Risiko, die einen stabilen Kreislauf und keine Fehlfunktion der rechten Herzkammer aufweisen, reicht dagegen die alleinige Antikoagulation mit Heparin oder Fondaparinux aus. Für Patienten mit mittlerem Sterberisiko, also solchen, die zwar hämodynamisch stabil sind, aber eine Fehlfunktion der rechten Herzkammer oder eine Herzmuskelschädigung zeigen, war bislang noch nicht klar, welches Therapiekonzept hier am besten greift. Wissenschaftler haben nun in einer großen kontrollierten Studie untersucht, ob eine frühe thrombenauflösende Behandlung auch bei diesem Patientenkollektiv das Risiko von Tod oder schweren Komplikationen senken kann. Wie das Forscherteam um Professor Stavros Konstantinides im New England Journal of Medicine mitteilte, verhinderte das Thrombolytikum Tenekteplase einen frühen Kreislaufkollaps bei Lungenembolie-Patienten mit mittlerem Sterberisiko. Dabei traten allerdings vermehrt Hirnblutungen auf. In der Studie behandelten Konstantinides und seine Kollegen 1.005 Patienten in 13 Ländern Europas. Alle Probanden waren hämodynamisch stabil; Fehlfunktionen der rechten Herzkammer wiesen die Forscher per CT oder Ultraschall nach, Herzmuskelschädigungen mit Hilfe des Biomarkers Troponin. Anschließend wurden alle Probanden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt: 506 Patienten erhielten eine einmalige Injektion von Tenekteplase und einen Blutgerinnungshemmer, die anderen 499 Patienten bekamen nur ein Placebo und einen Blutgerinnungshemmer verabreicht. Weder behandelnde Ärzte noch Patienten wussten, wer zu welcher Gruppe gehörte. Tenekteplase ist ein Enzym, das die Wirkung des natürlichen gewebespezifischen Plasminogenaktivators imitiert und vor allem bei Herzinfarkt und ischämischem Schlaganfall angewendet wird.
Die Thrombolyse mit Tenekteplase zeigte eine deutliche, statistisch signifikante Wirkung: Im Vergleich zur Placebo-Gruppe, in der binnen einer Woche 28 Patienten starben oder einen Kreislaufkollaps erlitten, widerfuhr in der Tenekteplase-Gruppe nur 13 Patienten das gleiche Schicksal. Jedoch trat bei 10 Patienten der Tenekteplase-Gruppe ein hämorrhagischer Schlaganfall auf, im Gegensatz zur Placebo-Gruppe, in der nur ein Patient einen solchen Schlaganfall hatte. „Der Preis für die Wirksamkeit der schnellen Thrombusauflösung war das vermehrte Auftreten von Blutungen, darunter auch von Schlaganfällen mit Hirnblutung“, sagt Konstantinides, Leiter des Bereichs Klinische Studien am Centrum für Thrombose und Hämostase (CTH) der Universitätsmedizin Mainz. „Diese ereigneten sich häufiger bei Patienten über 75 Jahren als bei jüngeren Patienten, allerdings war der Alterseffekt statistisch nicht signifikant.“ Um die Blutungsgefahr zu senken, kann Konstantinides sich vorstellen, dass es eine Möglichkeit wäre, bei älteren Patienten die Dosis von Tenekteplase zu verringern. Eine Alternative zur systemischen Gabe von Thrombolytika, so der Mediziner, sei der Einsatz von Kathetern, mit deren Hilfe man kleine Mengen des Thrombolytikums direkt in die betroffene Lungenarterie bringen könne. Konstantinides dazu: „Dadurch erreicht man eine Auflösung des Thrombus ohne die Gefahr einer größeren Blutung.“ Er und seine Mitarbeiter wollen nun Strategien zur Risikoabschätzung bei akuter Lungenembolie entwickeln, mit denen Ärzte vor allem Patienten mit geringem Blutungsrisiko besser identifizieren können.
Aufgrund der zwiespältigen Ergebnisse der Studie plädieren Experten für Zurückhaltung beim Einsatz von Thrombolytika: „Bei Lungenembolie-Patienten mit mittlerem Risiko“, sagt Professor Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin des Universitätsklinikum Köln, „sollte man Tenekteplase und ähnliche Medikamente erst einsetzen, wenn ihr Kreislauf instabil wird. Bis dahin sollte man diese Patienten antikoagulieren und engmaschig überwachen.“ Auch sein Kollege, Professor Ulrich Hoffmann, Leitender Arzt der Sektion Angiologie am Interdisziplinären Gefäßzentrums des Klinikums der Universität München sieht die Sachlage ähnlich: „Es ist sicher nicht verkehrt, diese Patienten zuerst einmal konservativ zu behandeln. Erst wenn sie hämodynamisch instabil werden oder sich die rechtsseitigen Belastungszeichen des Herzen verschlechtern, sollte man zu einem Thrombolytikum greifen.“