Männer leider anders an psychischen Erkrankungen als Frauen. Die Konfrontation mit den eigenen Gefühlen kann für den einen oder anderen eine Herausforderung sein. Was die Therapie von Männern besonders macht, lest ihr hier.
Zunehmend wird in den wissenschaftlichen Medien von gendermedizinischen Besonderheiten z. B. bei der pharmakologischen Behandlung von metabolischen Erkrankungen berichtet oder auch generell über genderspezifische Besonderheiten bei weiteren Erkrankungen, z. B. COPD und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dass Männer auch psychisch „anders“ erkranken als Frauen, dies sowohl in der Symptommanifestation, verlaufsspezifischen Aspekten und bzgl. der behandlungsrelevanten Rahmenbedingungen, hat sich auch in den letzten Jahren mehr oder weniger etabliert (wobei man dies nicht unbedingt in der praktischen und klinischen Alltagsversorgung flächendeckend behaupten kann). Über die geschlechtsspezifischen Aspekte bei der Depression haben wir bereits hier auf DocCheck berichtet.
Überraschend dürfte die Tatsache der unterschiedlichen, genderspezifischen Symptommanifestation psychiatrischer Erkrankungen nicht mehr sein. Unterschiede in der Neuroanatomie und funktionellen Neurophysiologie erwirken gemeinsam mit unterschiedlichen kulturspezifischen Sozialisationserfahrungen divergierende Zustände im Erleben und Verhalten – z. B. was für die Psychopathologie von großer Relevanz ist, in der Emotionsregulation.
So weit, so gut. Wenn Männer jedoch psychisch belastet sind oder psychisch sogar erkranken, ist der Weg in eine geeignete Behandlungsmethode nicht so einfach. Eine geeignete Behandlungsstrategie kann u. a. auch eine Richtlinien-Psychotherapie beinhalten – muss jedoch nicht unbedingt, wobei leitliniengemäß i.d.R. eine Psychotherapie zusätzlich zu einer pharmakologischen Behandlung empfohlen wird. Leider viel zu oft, ohne dass im Vorfeld die Indikation für eine Psychotherapie – genauer gesagt Richtlinien-Psychotherapie – geprüft wird. Die hausärztliche Überweisung, die eigentlich seit dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes im Jahre 1999 für die Aufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung nicht erforderlich ist, signalisiert für viele, Männer und Frauen, eine formale Bescheinigung für die Notwendigkeit einer psychotherapeutischen Behandlung.
Nun ist es aber so, dass viele Hilfesuchende – und hier geht es primär um Männer – mit der Richtlinienpsychotherapie wenig anfangen können. Wie sieht so eine Behandlung aus? „Was ist dann an mir anders, wenn ich therapiert bin?“, fragt ein potentieller Patient. Und „was“ wollt ihr denn an mir therapieren? Die Konfrontation mit eigenen Gefühlen kann für den einen oder anderen Mann – auch „modernen“ Mann – eine große Herausforderung sein. Es ist hier nicht die Absicht, tradierte Klischees zu zementieren. Natürlich kommt auch eine erhebliche Zahl von Männern in die Psychotherapie, die gerade dies suchen: die Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen und dysfunktionalen Bewältigungsmechanismen.
Dennoch bleibt das Projekt „Gefühlskunde“ für Männer ein problematisches und risikoreiches Unterfangen. Einige Kollegen haben bereits sich mit dem Thema „Verbalisieren von Emotionszuständen“ bei Männern befasst, z. B. Süfke & Neumann. Aus praktischer Erfahrung kann dies die erste therapeutische Stufe bzw. der einführende Therapieabschnitt sein, bevor es überhaupt zur Bearbeitung von dysfunktionalen Kognitionen und Oberplänen kommt. Dabei geht es nicht nur darum, „Männer zur emotionalen Sprache zu bringen“, sondern grundsätzlich die Rahmenbedingungen der sprechenden Medizin zu erläutern. Vor allem auch die Vermittlung von dem Grundgedanken, dass es sich hier nicht nur um „Reden“ handelt, denn durch Reden ohne Handeln ändert sich nichts. Und genau diesen Grundsatz zu vermitteln, ohne dass der behandelte Mann sich angegriffen oder korrigiert fühlt, ist ein wichtiges – nicht das wichtigste – Merkmal einer männerorientierten Psychotherapie.
Warum das so ist? Die meisten Männer wachsen in einem weiblich dominierten emotionalen Umfeld auf. Die meiste Gefühlsarbeit – sei in der Kita, sei es auch später in den zwischenmenschlichen Beziehungen – wird von Frauen übernommen. Dass man den Fokus darauf setzt, löst bei den meisten Männern Unbehagen aus. Viele formulieren dies wie folgt: „Ich kenne mich ‚damit‘ nicht aus!“ oder „Über mich und meine Gefühle reden, das ist nicht so meins.“
Da Akkulturation und Sozialisationserfahrungen die Ausprägung des geschlechtsspezifischen Erlebens und Verhaltens mit bestimmen, können unterschiedliche kulturbezogene Lebensumwelten auch sehr verschiedene Einflüsse auf die Darstellung psychischer Phänomene haben. In meiner Arbeit mit z. B. arabischstämmigen jungen und älteren Männern ist das Konzept der „Ehre“ sehr wichtig. Je nach Bildungsstand ist dieses Konzept entweder zentral oder auch sogar marginal. Auch die Ausprägung, wie viel Einfluss das Ehrkonzept auf das seelische Wohlbefinden haben darf, hängt sehr stark vom Bildungsgrad ab (persönliche Beobachtung, keine standardisierte Metaanalyse!).
Besonders schwierig für männliche Patienten oder Hilfesuchende ist es, wenn sie einen akuten Anlass haben, der mit ihrem eigenen genderspezifischen Selbstbild nicht zusammenpasst, wie etwa Männer, die Gewalt in der Ehe oder in intimen Beziehungen erleben, oder solche, die von Ex-Freundin gestalkt werden. Auch Männer – wenn auch die Anzahl davon gering ist bzw. die Dunkelziffer sehr hoch – die Opfer von sexualisierter Gewalt sind oder waren. Leider existieren wenige Aufklärungskampagnen, die männliche Betroffene dazu ermutigen, sich Hilfe zu holen. Nicht selten melden sich die Partnerinnen bei mir, um für ihren Mann oder Freund einen Termin zu vereinbaren „Ich kann das besser erklären, daher rufe ich Sie an!“ – wird fast entschuldigend hinzugefügt.
Noch seltener sind Präventionsangebote zur Resilienzförderung für Männer. Wobei dieses Phänomen im Führungskontext gar nicht so unbekannt ist. Wünschenswert wären Präventionsangebote und frühkindliche Schulung von Umgang mit Gefühlen, Stress und psychischen Krisen. Dies sollte eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein – nicht nur eine des Gesundheitswesens.
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