Die Diagnose von Gicht ist gar nicht so einfach – Fehlalarme und übersehene Fälle inklusive. Worauf ihr bei euren Patienten achten solltet und warum Kurkuma und Magermilchpulver es nicht bringen, fasst eine Leitlinie zusammen.
Hübsch sind sie ja, die Harnsäurekristalle unter dem Polarisationsmikroskop: gelb und blau schillernde, elegante Stillette. Die Vorstellung aber, dass sich solche Nadeln in den Gelenken materialisieren, ist weniger erbaulich. Bei der Gicht passiert genau das.
Die soeben aktualisierte, 93 Seiten starke S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Gicht der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie klärt über den aktuellen Stand des Wissens auf. Neben Diagnose und Therapie geht sie auch auf die Themen Komorbidität und Komedikation ein. Die spielen bei der Wahl der Gicht-Medikamente insofern eine Rolle, als manche Arzneien, wie etwa Diuretika, den Harnsäurepegel in die eine oder andere Richtung verschieben.
Wie die Krankheit entsteht, ist erfreulich klar: Ist der Harnsäurespiegel im Blut zu hoch, kristallisiert Harnsäure aus. Die nadelartigen Kristalle lagern sich in Gelenken, im Gewebe und in Organen ab. Das kann zu Entzündungen führen, die auf Dauer die Gelenke zerstören. Bei jedem zehnten Gichtpatienten bilden sich Tophi, das sind typische, knotige Kristalldepots z. B. in Gelenkschleimbeuteln, die die Gelenke bis zur Unbrauchbarkeit deformieren können. Zudem sind Nierenschäden, Herzinfarkte und Schlaganfälle häufiger, und Lebensqualität sowie Lebenszeit vermindert.
Auch die Physik hinter der Kristallbildung mit pH-Wert, Temperatur und Harnsäurekonzentration ist klar. Dass es beim ersten Gichtanfall meist ein Gelenk am großen Zeh erwischt, liegt beispielsweise daran, dass es dort kühler ist und sich die Kristalle entsprechend früher als an anderen Orten bilden. Weniger klar ist, warum Männer per se ein größeres Risiko haben, an Gicht zu erkranken.
Trotz ihrer monokausalen Entstehung ist die Diagnose der Gicht nicht so einfach. Von den sechs in einem IQWiG-Gutachten untersuchten Verfahren löst nur das Röntgen keine Fehlalarme aus (100%ige Spezifität), übersieht allerdings sehr viele Gicht-Fälle (27 % Sensitivität). Die Leitlinienautoren empfehlen neben der Anamnese und der Befunderhebung auch die Messung der Harnsäurekonzentration im Serum. In Facharztpraxen wird meist auch ein betroffenes Gelenk punktiert, um Harnsäurekristalle mikroskopisch nachzuweisen.
Ein akuter Gichtanfall soll rasch mit Colchicin, Glukokortikoiden oder nicht-steroidalen Antirheumatika behandelt werden. Man erhofft sich davon, die Dauer des Gichtanfalles zu verkürzen und die Entzündungskaskade und damit mögliche Gewebeschäden zu verringern. Zudem sollten Patienten betroffene Gelenke ruhigstellen, hochlagern und kühlen.
Um die Harnsäurekonzentration zu senken, kann man entweder ihre Bildung mit Urikostatika wie Xanthinoxidasehemmern senken oder ihre Ausscheidung mit Urikosurika fördern. Patienten sollte bewusst sein, dass sie die Medikamente jahrelang nehmen werden. Wann man die Therapie sinnvollerweise wieder beenden kann, ist eine offene Frage.
Offen ist auch noch, ob eine Target-to-Treat-Therapie, mit der Patienten auf einen Zielwert von 5 oder 6 mg/dl Harnsäure eingestellt werden, einer konstanten Gabe der Medikamente überlegen ist. Ein fixer Zielwert scheint im ersten Jahr der Therapie die Anzahl der Schübe zu erhöhen, und sie danach zu senken. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin stellt sich mit einem Sondervotum explizit gegen eine routinemäßige Target-to-Treat-Therapie. Ihr reicht die Evidenz dafür nicht aus. Sie hält Laborkontrollen, wie bei Dauermedikationen üblich, für ausreichend.
Noch eine wichtige Take-Home-Message: Ein weiteres IQWiG-Gutachten findet keine ausreichende Evidenz für alles, was an Gicht-Diäten in Ratgeberforen und -büchern propagiert wird – wie Sauerkirschpräparate, Vitamin C, Omega 3 Fettsäuren, Kurkuma oder Magermilchpulver.
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