Die derzeitigen Lieferengpässe bei Medikamenten zwingen uns in den Apotheken zu schwierigen Entscheidungen. Wie sollen wir bestimmen, welcher Patient das knappe Medikament bekommen soll?
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Die Diskussion um Lieferengpässe bei Medikamenten betrifft derzeit nicht nur einen kleinen Teil des Arzneimittelmarkts, auch wenn das Bundesgesundheitsministerium (BGM) nicht müde wird, dies den Bürgern zu suggerieren. Obwohl „nur“ etwa 1 % der Medikamente betroffen sind, handelt es sich oft um lebensnotwendige Präparate, wie Antibiotika, Krebsmedikamente oder Medikamente für Diabetiker. Vor der Grippesaison ist das ein sich alljährlich wiederholendes Szenario, das sich trotz der Intervention der Politik kaum gebessert hat. Diese Engpässe belasten nicht nur die Patienten, sondern auch Apotheken, die viel Zeit und Aufwand in die Beschaffung investieren müssen. Der ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold betonte, dass Apotheken durch den Mangel bei bestimmten Präparaten Schwierigkeiten haben, Patienten in der Erkältungssaison zuverlässig zu versorgen.
Besonders kritisch wird es, wenn nicht nur einfache, sondern hoch spezialisierte Medikamente fehlen. Einige Bundesländer wie Sachsen melden derzeit Engpässe in essenziellen Bereichen wie Schmerzmitteln oder Blutdrucksenkern, was den Alltag in Apotheken besonders belastend macht. Apotheken sind häufig auf aufwändige Importverfahren angewiesen, um Medikamente zu beschaffen, die nicht in ausreichender Menge verfügbar sind. Diese Importverfahren sind jedoch gesetzlich stark reguliert und bieten nur begrenzte Lösungen für den akuten Bedarf.
Das BGM verweist auf bestehende Regelungen, die Apotheken mehr Spielräume ermöglichen sollen, wie etwa den erleichterten Austausch von wirkstoffgleichen Medikamenten. Diese Maßnahmen sind jedoch häufig nicht ausreichend, da nicht jedes Präparat einfach durch ein anderes ersetzt werden kann. Das BMG betont, dass es keine generelle „Versorgungsknappheit“ gibt, sondern lediglich punktuelle Engpässe, bei denen wirkstoffgleiche Alternativen zur Verfügung stehen. Dennoch ist klar, dass die derzeitigen Maßnahmen für viele Patienten in der Praxis nicht ausreichen.
Der zeitliche und logistische Aufwand zur Beschaffung dieser kritischen Medikamente stellt für Apotheken ein massives Problem dar. Da viele dieser Präparate spezifisch auf die Therapie von chronischen Erkrankungen oder schwerwiegenden Infektionen zugeschnitten sind, ist es nicht immer möglich, auf ein Ersatzpräparat auszuweichen. Die Priorisierung des Zeitaufwands für das Beschaffen dieser 1% an fehlenden Medikamenten bedeutet, dass Apotheken ihre Ressourcen auf einen kleinen, aber extrem wichtigen Teil der Arzneimittelversorgung konzentrieren müssen.
Zusätzlich wird in der Diskussion um Lieferengpässe viel zu selten auf ethische Konflikte hingewiesen, denen sich medizinisches und pharmazeutisches Personal oft gegenübersehen. Es gibt oft keine klare Richtlinie, welche Patienten bevorzugt werden sollen, wenn nur ein bestimmtes Medikament verfügbar ist. Eine aktuelle Studie der Universität Leipzig hebt hervor, dass solche Entscheidungssituationen für Apothekenpersonal besonders belastend sein können. Gleichzeitig wird gefordert, dass diese ethischen Fragen stärker in der Ausbildung von Apothekern berücksichtigt werden.
In der Praxis bedeutet ein ethischer Konflikt oft, dass medizinische Fachkräfte zwischen konkurrierenden Prinzipien wählen müssen. Im Fall von Arzneimittelengpässen entsteht ein Dilemma, das sich auf das Wohl des Patienten, rechtliche Vorgaben und wirtschaftliche Überlegungen auswirkt. Ärzte und Apotheker sehen sich beispielsweise häufig gezwungen, zwischen der Verordnung eines weniger wirksamen oder unerprobten Generikums und dem Risiko der Nichtverfügbarkeit eines Medikaments abzuwägen. Dies stellt nicht nur eine medizinische, sondern auch eine ethische Herausforderung dar.
Die Umfrage von Wernecke et al. im Zusammenhang mit der Studie zeigt, dass ethische Konflikte in Apotheken sehr häufig auftreten. Vor allem der Konflikt „Generikum ist nicht am besten geeignet“ wurde von 28,4 % der befragten Apotheker als tägliche Herausforderung beschrieben. Dies ist besonders relevant in der aktuellen Situation von Lieferengpässen, da Generika häufig als Ersatz für nicht verfügbare Originalpräparate angeboten werden. Solche Entscheidungen können jedoch das Vertrauen des Patienten in die Behandlung beeinträchtigen und die Wirksamkeit der Therapie gefährden, was eine immense ethische Belastung für das pharmazeutische Personal darstellt. Die größte ethische Belastung zeigte sich in der Sorge um schwangere Patientinnen und ungeborene Kinder.
Die Studie identifiziert mehrere Schlüsselfaktoren, die die ethische Entscheidungsfindung in Apotheken beeinflussen. An erster Stelle steht das pharmazeutische Wissen, gefolgt von rechtlichen Vorgaben und persönlichen Werten. Dies verdeutlicht die Komplexität der Entscheidungen, die das pharmazeutische Personal im Kontext von Lieferengpässen treffen muss. Während das pharmazeutische Wissen dazu beiträgt, die beste verfügbare Alternative zu wählen, sind rechtliche Vorgaben oft starr und lassen wenig Spielraum für individualisierte Lösungen. Die Einhaltung rechtlicher Normen kann in manchen Fällen sogar dem Wohl des Patienten entgegenstehen, insbesondere wenn ein benötigtes Medikament nicht verfügbar ist.
Viele Apotheker plädieren daher für mehr ethische Schulungen im Rahmen ihrer Ausbildung und beruflichen Weiterbildung, um besser auf solche Situationen vorbereitet zu sein.
Zusammengefasst zeigt sich, dass die aktuelle Lage bei den Lieferengpässen ein komplexes und vielschichtiges Problem darstellt. Auch wenn die von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen vereinzelt Wirkung zeigen, sind weitergehende strukturelle Veränderungen notwendig. Apotheken benötigen mehr Flexibilität und Unterstützung, um ihre Patienten kontinuierlich mit notwendigen Medikamenten zu versorgen. Die derzeitigen Engpässe mögen statistisch gesehen nur einen kleinen Teil des Marktes betreffen, haben aber aufgrund der betroffenen Präparate gravierende Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung und den Stress, dem das pharmazeutische Personal dadurch mehrfach täglich ausgesetzt ist.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Ethische Konflikte: Apothekenpersonal steht vor ethischen Dilemmata, wenn sie entscheiden müssen, welche Patienten bei Engpässen bevorzugt werden, besonders wenn nur begrenzt geeignete Generika verfügbar sind.
Forderungen: Es wird mehr Flexibilität und Unterstützung für Apotheken gefordert, da aktuelle Maßnahmen der Regierung oft nicht ausreichen, um die Versorgung sicherzustellen.
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