Fleisch hat einen schweren Stand: Es soll schlecht fürs Herz sein, Krebs begünstigen – und jetzt auch noch Typ-2-Diabetes verursachen. Aber stimmt das wirklich? Wir haben ganz genau hingesehen.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
„Zucker kommt von zu viel Zucker“, lautete die laienverständliche Erklärung für Patienten in Zeiten, in denen der ärztlich verordnete Diabetiker-Speiseplan noch von Broteinheiten und Diät-Schokolade dominiert wurde. Nun geht es dem Fleisch an den diabetischen Kragen – und die Verwirrung ist groß. Denn bereits die Einteilung in vermeintlich risikobehaftete rote und besser beleumundete weiße Fleischsorten ist nicht klar definiert. Geht man nach der Optik, erscheinen myoglobinreiches Rind-, Schweine-, Schaf- und Lammfleisch im Rohzustand tiefrot und nach dem Erhitzen infolge der Methämoglobin-Bildung (Oxidation Fe2+ zu Fe3+) gebräunt. Demgegenüber lassen ein niedrigerer Myoglobingehalt und entsprechend geringere Methämoglobin-Bildung Geflügelfleisch (Hähnchen, Pute) heller erscheinen.
Kombiniert man Optik und Nährstoffgehalt kommt man bei einigen längst nicht mehr als exotisch geltenden Fleischsorten – beispielsweise von Strauß und Känguru – in die Bredouille. Tiefrot im Auge des Betrachters stehen sie mit ihrem Aminosäurespektrum sowie ihrem niedrigen Fettgehalt, ihrer Armut an LDL-Cholesterin und proentzündlicher Omega-6-Arachidonsäure dem weißen Label viel näher. Die fettreiche Weißwurst dagegen wird aufgrund ihrer Nährstoffkomposition den roten Fleischwaren zugeordnet.
Abgesehen von diesen Zuordnungsproblemen ist der Ruf der klassisch roten Fleischsorten seit 2015 arg ramponiert. Da nämlich hat die zur WHO gehörende Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) rotes Fleisch als „wahrscheinlich karzinogen“ (Gruppe 2A-Karzinogen) und verarbeitete Fleisch-/Wurstwaren sogar in die Gruppe-1-Kategorie (karzinogen) eingeordnet. Da eine international einheitliche Definition für „verarbeitet/prozessiert“ fehlt und auch der Unterschied zwischen verarbeitet und hoch verarbeitet nicht geregelt ist, rangiert beispielsweise der magere (aber gepökelte) Kochschinken gemeinsam mit Fett-strotzender Salami und Leberwurst auf einer Gefahrenebene mit Rauchen und Asbest. Ob das gerechtfertigt ist und ob tatsächlich auch Fleischrationen unterhalb der WHO-Empfehlung von maximal 300g pro Woche einen vom übrigen Lebensstil unabhängigen Risikofaktor für die kolorektale Karzinogenese darstellen, wird kontrovers diskutiert.
Und in diesem Rahmen hat sich der Fokus auf zusätzliche pathologische Risiken erweitert. Neben den möglichen kardiovaskulären Gefahren steht der Fleischverzehr auch im Verdacht, eine Mitschuld an der galoppierenden Zunahme der globalen DT2-Prävalenz zu tragen. Studienbasiert hemmt ein Übermaß an gesättigten Fettsäuren die Funktion der pankreatischen Betazellen und senkt die Insulinsensitivität. Zudem befördert die oxidative Wirkung einer hohen Häm-Eisen (Fe2+)-Aufnahme die Ausbildung einer Insulinresistenz. Trotz dieser Befunde bleiben entscheidende Fragen weitgehend unbeantwortet: Ist Fleisch per se ein DT2-Treiber oder ist es à la Paracelsus ein Mengenproblem?
Studien zur Assoziation zwischen Fleischverzehr und DT2-Inzidenz gibt es seit etwa 2010 reichlich. Doch die Ergebnisse sind ebenso wenig konsistent wie es die Studiendesigns und angewendeten Analysemethoden sind. Ein Grundproblem ist der Mangel an Arbeiten, die sich auf Fleisch-Diabetes-Zusammenhänge konzentrieren. Meist wird die Untersuchung der Diabetes-Assoziation als „Beimischung“ in Studien behandelt, die als primäres Outcome kardiovaskuläre oder Krebsrisiken nennen. Ein echter Mangel herrscht an Arbeiten, die auch das weiße (Geflügel-)Fleisch in den Fokus nehmen.
Alles konzentriert sich auf die roten Varianten, die dann in mehr oder weniger hoch verarbeiteter Form in Hinblick auf ihre potenziell DT2-fördernde Wirkung verglichen werden. Unter Berücksichtigung dieser Unsicherheiten lieferte eine erste Metaanalyse von 17 prospektiven Kohorten- und 3 Fall-Kontrollstudien mit Daten von rund 1,2 Millionen Personen einzig für hoch verarbeitete Fleischwaren eine signifikante Steigerung der Diabetes-Inzidenz – statistisch um 19 % pro 50 g Tagesration. Der Verzehr von unverarbeitetem roten Fleisch war nicht mit höheren Diabeteszahlen assoziiert. Weißes Fleisch wurde nicht untersucht. Qualitativ das gleiche Ergebnis gab es übrigens für die Koronare Herzkrankheit (nur prozessiertes Gleich steigert Risiko).
Im jüngsten und bis dato umfangreichsten Forschungsprojekt zur fraglichen Fleisch-DT2-Beziehung nutze eine von klinischen Epidemiologen der Universität Cambridge geleitete internationale Forschungskooperation ein föderiertes Multidatenbanksystem, das Zugriff auf individuelle Gesundheitsdaten von fast zwei Millionen Personen gewährte, die 31 Kohorten aus 20 Ländern entstammen. Individuelle Voraussetzung für die Aufnahme in die Studie waren ein Mindestalter von 18 Jahren sowie verfügbare Daten zu den Ernährungsgewohnheiten, zur diabetischen Vorgeschichte und potenziellen Störfaktoren (Lebensstil). Ausschlusskriterien waren eine zu Studienbeginn vorliegende Diabetesdiagnose jedweden Typs sowie eine übermäßig niedrige oder hohe tägliche Energieaufnahme (♀: < 500 oder > 3.500 kcal; ♂: < 800 oder > 4.200 kcal). Die Informationen zur individuellen Ernährung beruhten auf Selbstauskünften (Fragebögen, Ernährungsprotokoll, Diet-History).
Als unverarbeitetes rotes Fleisch wurde pures, nicht durch Räuchern, Trocknen, Einsalzen oder chemische Konservierungsstoffe haltbar gemachtes Rind-, Schweine-, Lamm- und Kalbfleisch eingeordnet. Einem oder mehreren derartigen Prozessen unterzogene Fleischwaren wie Schinken, Räucherspeck, Würstchen und alle Wurstarten wurden als prozessiert klassifiziert. Die Kategorie Geflügel enthielt das unverarbeitete Muskelfleisch von Huhn, Pute, Ente und Gans. Die Verzehrmengen anderer Lebensmittelgruppen sowie die Gesamtenergieaufnahme wurden als Kovariablen bei der statistischen Analyse als mögliche Verzerrgrößen ebenso berücksichtigt wie soziodemographische Faktoren (Alter, Geschlecht, Ethnie, Bildungsniveau), Lebensstil (Rauchen, Alkohol, körperliche Aktivität) BMI, Komorbiditäten und diabetische Familenanamnesen. Im Beobachtungszeitraum inzidierte DT2-Erkrankungen wurden durch Abgleich mit Krankheitsregistern, Patientenakten und Arztauskünften abgesichert.
Die statistischen Berechnungen zur Ermittlung der Hazard Ratios (HR) und 95 % Konfidenzintervalle (CI) für den Zusammenhang jeder Fleischsorte mit dem DT2-Risiko erfolgten über Regressionsanalysen. Als Portionsgröße wurde 100 g (kleines Steak) für unverarbeitetes rotes und Geflügelfleisch sowie 50 g für prozessierte Fleischwaren (zwei bis drei Scheiben Wurst) angesetzt. Zusätzlich errechneten die Wissenschaftler über Lebensmittelsubstitutionsanalysen, wie sich der Ersatz einer Fleischsorte durch eine andere auf das DT2-Risiko auswirkt.
Insgesamt entwickelten über die durchschnittlich 10-jährige Nachbeobachtungszeit von den fast zwei Millionen in der Analyse berücksichtigten Personen gut 107.000 (5,5 %) einen DT2. Für den alltäglichen Verzehr einer 50 g-Portion prozessierter Fleischwaren errechneten die Analysten über alle Regionen gemittelt eine Risikosteigerung von 15 % (HR: 1,15; 95 % CI: 1,11–1,20). Auch für den Verzehr einer täglichen 100 g-Portion unverarbeiteten roten Fleischs sowie von 100 g Geflügel wurden Assoziationen errechnet, die aber mit 10 % für rotes Fleisch (HR: 1,10; 95 % CI: 1,06–1,15) und 8 % für Geflügel (HR: 1,08; 1,02–1,14) niedriger ausfielen. Insgesamt wurden die Assoziationen als eher schwach, mit einer besonders für Geflügel unsicheren Evidenz eingestuft.
Insgesamt zeigte sich bei allen ermittelten Zusammenhängen zwischen Fleischverzehr und DT2 eine deutliche Heterogenität zwischen den Kohorten – auch innerhalb einer Region. Für die Hypothese, dass unterschiedliche Alters-, Geschlechts-, BMI- oder Komorbiditätsstrukturen dafür verantwortlich wären, ließen sich in sekundären Einzelfaktoranalysen keine Belege finden.
Um den möglichen Einfluss von Übergewicht zu prüfen, berechneten die Analysten die Fleisch-DT2-Assoziation mit und ohne Adjustierung auf den BMI. Hier zeigte sich für alle Fleischsorten ein mit der BMI-Anpassung einhergehender signifikanter Abfall der Fleisch-DT2-Assoziation – für prozessiertes Fleisch von 23 auf 15 %, für rotes Fleisch von 18 auf 10 % und für Geflügel von 21 auf 8 %. Dieses Ergebnis stärkt die im Zentrum vieler Diskussionen stehende Auffassung, dass nicht der Fleischverzehr per se pathogen, sondern eher eine durch überbordenden Fleischverzehr bedingte Fettleibigkeit die ausschlaggebende Komponente ist.
In den Lebensmittelsubstitutionsanalysen ermittelten die Studienautoren rechnerische DT2-Risikominderung um 7 bzw. 10 % durch den Ersatz von 50 g verarbeiteten Fleischwaren durch 100g Rotfleisch (HR 0,93; 95 % CI: 0,90–0,97) bzw. durch 100 g Geflügel (HR 0,90; 95 % CI: 0,82–0,97). Dagegen brachte der Ersatz von Rotfleisch durch die gleiche Portion Geflügel keine signifikante Reduktion der Diabetesinzidenz.
Als Alleinstellungsmerkmale ihrer Arbeit im Vergleich zu früheren Metaanalysen proklamieren die Studienautoren:
Insgesamt resümieren die Autoren eine im Vergleich zu früheren Studien schwächere Assoziation zwischen Fleischverzehr und DT2-Inzidenz, was nach ihrer Einschätzung einem Publikationsbias geschuldet sein könnte. Vor dem Hintergrund der insgesamt recht niedrigen DT2-Inzidenz von 5,5 % über einen Zeitraum von zehn Jahren, nehmen sich die fleischabhängigen Zuwachsraten insbesondere für unverarbeitetes und Geflügelfleisch gering aus. Zudem war die ermittelte Evidenz für die Assoziation zwischen Geflügel und DT2 gering.
Die aktuelle Metaanalyse punktet mit der hohen Probandenzahl von fast zwei Millionen Menschen, deren weiter geografisch-ethnischer Diversität sowie der Einbeziehung von Daten zum Geflügelfleischverzehr. Das föderierte Studiendesign, das anstelle der statistischen Ergebnisse früherer Studien individuelle Ernährungsfaktoren der Probanden analysiert, macht die Arbeit zu etwas Besonderem.
Eine markante Schwäche besteht in der meist nur einmaligen Erhebung der Ernährungsgewohnheiten zu Studienbeginn. Lediglich in drei der 31 analysierten Kohorten erfolgten mehrmalige Erhebungen der aktuellen Ernährungsweisen in Intervallen zwischen zwei und vier Jahren. Somit blieben in den meisten Kohorten währenden des im Schnitt 10-jährigen Beobachtungzeitraums vollzogene Veränderung in Menge und Qualität der Lebensmittelauswahl unberücksichtigt. Zudem verweisen die Autoren auf Schwierigkeiten bei der Harmonisierung von analytischen Variablen und Analysemethoden. So gelang es nicht, durchgehend einheitlichen Verfahren zur Datenregression sowie Datenerfassungsmethoden für den Nahrungskonsum und potenzielle Störfaktoren zur Anwendung zu bringen. Das Fehlen einer solchen Harmonisierung könnte ursächlich zur beobachteten Ergebnisheterogenität zwischen und innerhalb der Kohorten beigetragen haben.
Unter Berücksichtigung dieses Schwächenkanons lautet das Resümee der Autoren: „Unsere Ergebnisse deuten auf einen geringen Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Typ-2-Diabetes hin.“ Eingedenk der begrenzten Aussagekraft und dem Wissen, dass auf Selbstauskünften basierende Ernährungsstudien ohne Interventionsdesign keine Kausalitäten aufdecken können, deuten die Ergebnisse zumindest darauf hin, dass besonders der tägliche Verzehr schon kleiner Portionen verarbeiteter Fleischwaren mit einer DT2-Risikosteigerung verbunden ist. In geringerem Ausmaß trifft das auch für unverarbeitetes rotes und Geflügelfleisch zu, wobei die Belastbarkeit für die Geflügel-DT2-Beziehung sehr bescheiden ausfällt.
Wenngleich die föderierte Metaanalyse aus Cambridge keinen erleuchtenden Durchbruch liefert, stützt sie den weitestgehenden ernährungsmedizinischen Konsens, dass die Minimierung, wenn nicht gar der Verzicht auf stark verarbeitete Fleischprodukte eher mit gesundheitlichem Nutzen – auch in Bezug auf das Risiko für die Diabetesentwicklung – einhergeht. Ob die vage Erkenntnis, dass auch der Verzehr von täglich 100 g unverarbeitetem roten oder Geflügelfleisch das DT2-Risiko geringfügig erhöht, Anlass zur Beunruhigung gibt, muss jeder für sich entscheiden. Dass ein an den DGE-Empfehlungen orientierter Verzehr qualitativ hochwertigen Fleischs von höchstens 300 g pro Woche der Gesundheit abträglich ist, hat keine wissenschaftliche Evidenz. Und daran ändert auch diese Arbeit nichts, zumal die Ernährung nur ein (wichtiger) Lebensstilbaustein ist, der weder isoliert betrachtet werden noch gravierende Ausfälle in anderen Bereichen – wie Rauchen, Alkoholabusus und Bewegungsmangel – kompensieren kann.
Bildquelle: Diana Light, unsplash