Eine neue Gebührenordnung für Ärzte liegt auf dem Tisch – ausgearbeitet von der BÄK und abgenickt von PKV und Beihilfen. Warum Lauterbach aber noch nicht unterzeichnet und Ärzte damit unzufrieden sind, lest ihr hier.
England zieht gegen Argentinien in den Krieg. Der erste Commodore kommt auf den Markt. Die CDU stellt wieder den Bundeskanzler – Helmut Kohl. Die Gebührenordnung der Ärzte wird aktualisiert. Alle diese Schlagzeilen gehören in das gleiche Jahr – 1982. Für die Ärzte tat sich seitdem in Sachen Abrechnungen nichts.
Wäre das Thema nicht so ernst, wäre es auch ein guter Einstieg zu einem Witz. Traurige Realität aber ist: Für eine optische Kohärenztomografie des Auges, mit der Veränderungen an der Netzhaut erkannt und kontrolliert werden können, muss analog eine Ultraschalluntersuchung des Herzens berechnet werden – weil eine entsprechende Gebührenziffer nicht existiert.
Noch nicht genug den Kopf geschüttelt? Die quantitative topographische Untersuchung der Hornhautbrechkraft mittels computergestützter Videokeratoskopie rechnet man übrigens über die Ziffer der Ultraschalluntersuchung im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge (ggf. einschl. Biometrie und Beurteilung der Organentwicklung) ab. Wer kennt sie nicht, die gynäkologisch arbeitenden Ophtalmologen …
Viel anschaulicher kann kaum dargestellt werden, wie sich Medizin, Technik und Praxis von Finanzen und Abrechnungen entfernt haben und wie notwendig eine Überarbeitung ist. Mit dem Entwurf der GOÄneu haben BÄK und PKV (die politischerseits erzwungenermaßen ihr OK geben muss) nun allerdings einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, der die freie Berufsausübung weiter gewährleisten soll.
Um Zustimmung und Verständnis der 165 teilhabenden Verbände zu erringen, hat es sich die BÄK nicht einfach gemacht. Mit über 1.500 Beispielrechnungen und zugehörigen Folgeabschätzungen wurde ein Gebührenverzeichnis mit 5.500 Ziffern erstellt. Dazu konnte man der PKV ein gesteigertes Ausgabenvolumen von 13,2 % abringen (zuletzt einigte man sich 2017 auf ca. 6 %). Damit müssten die privaten Versicherer rund 1,9 Milliarden Euro berappen.
Dazu kommt eine Stärkung der sprechenden Medizin in den Abrechnungen. Immerhin erfuhr diese zuletzt eine Überarbeitung, als Deutschland letztmals Europameister wurde. Während Ärzte seitdem eine Beratung mit 10,72 Euro abrechneten, haben sich die Gehälter der Fußballer mehr als verzehnfacht – aber das ist ja auch gesellschaftsrelevante Arbeit …
Alles schön und gut – aber nun ab mit dem Papier zur finalen Unterschrift nach Berlin? Ganz so schnell schießen die Preußen nun auch wieder nicht. Nach der nun auslaufenden Prüfungsphase durch die Verbände ist klar: Es gibt noch Bedarf, einzelne Punkte nachzuschärfen.
So scheint die verbesserte Abrechnung der sprechenden Medizin im Entwurf zu Lasten der Labormedizin und diagnostischen Fächer zu gehen – deren Ausgaben und Kostenentwicklung auch alles andere als rückläufig sind. Der Berufsverband Deutscher Laborärzte bringt seine Sicht auf den Punkt: „Alle diejenigen Laborärztinnen und Laborärzte, die viele Stunden investiert haben, eine an der Realität der täglichen Routine orientierte GOÄ zu erstellen, fühlen sich durch den vorliegenden Entwurf um die Früchte ihrer Arbeit betrogen. [….] Eine Abwertung der diagnostischen technischen Fächer um 29 % zerstört auch die Zukunft der nichtärztlichen Mitarbeiter und verstärkt so erheblich den Arbeitskräftemangel durch Verminderung der Attraktivität des Berufes.“
Ein weiterer Kritikpunkt kommt von Seiten der Orthopäden und Chirurgen. In einem Schreiben an BÄK-Präsident Dr. Reinhardt, das DocCheck vorliegt, gehen sie insbesondere auf nun auftretende Mindererlöse und Leistungskürzungen ein, die „sehr ausgeprägt die Leistungen [betreffen], die typischerweise spezifisch in Orthopädie und Unfallchirurgie erbracht werden, aber ebenso in unterschiedlicher Höhe auch andere chirurgische Fächer.“
Einen weiteren Punkt bringen die Kardiologen vor. Diese bemängeln in einem uns vorliegenden Schreiben an Reinhardt, dass die individuellen Steigerungsfaktoren und Hebesätze gestrichen werden soll. Diese müssten beibehalten werden, um „individuelle, differenzierte Diagnostik- und Therapieerfordernisse“ zu gewährleisten. Zudem: „Die aktuell vorgestellte GOÄneu berücksichtigt in keiner Weise die Geldentwertung und Lohnsteigerung des Personals der vergangenen Jahrzehnte. Die Bepreisung vieler Leistungen ist unzureichend, auf EBM-Niveau und mit den betriebswirtschaftlichen Anforderungen einer heutigen fachärztlichen Praxis nicht vereinbar.“
Unisono beklagen die kritisierenden Verbände eine mangelnde Teilhabe in Detailfragen sowie verbesserungswürdiger Transparenz in den Preisgestaltungen. Neben dem BÄK-Konter, dass man kaum alle Detailfragen der 165 Verbände vorab klären konnte, ist man aber nun zum Gespräch bereit. Wie wichtig dieser innerärztliche Klärungsprozess ist, berichtet uns der Virchowbund auf Anfrage: „Die Bundesärztekammer muss dabei viel kommunikative Arbeit leisten, Missverständnisse aufklären und Wissenslücken zur Vorgeschichte des aktuellen Entwurfs schließen – darunter die Entscheidungen unter Frank Ulrich Montgomery, die zum außerordentlichen Ärztetag 2016 geführt haben. Bei „Verwerfungen“ muss die BÄK selbstverständlich mit der PKV nachverhandeln, was auch vonseiten der PKV so vorgesehen ist.“
Das gesamtärztliche Ziel muss sein, den politischen Druck so weit zu erhöhen, dass dem Ministerium keine andere Wahl als die Umsetzung der GOÄneu bleibt. Ohne aktuelle Gebührenordnung geht die Freiberuflichkeit der Ärzteschaft zugrunde.
Und die absurden Fälle durch Analog-Ziffern? Keine Angst, wir werden auch künftig etwas zum Schmunzeln bzw. Verzweifeln haben – die Ziffern bleiben laut derzeitigem Entwurf vorerst bestehen. Man weiß ja nie.
Bildquelle: Andre Taissin, unsplash