Ob von Patienten, Kollegen oder Vorgesetzten – auch heute sind viele Medizinerinnen noch sexistischen Angriffen ausgesetzt. Ob in Wort oder Tat, das Thema ist aktuell. Was es braucht, um dem einen Riegel vorzuschieben.
Der Arztberuf war historisch betrachtet lange eine Männerdomäne. Obwohl inzwischen etwa zwei Drittel der Medizinstudierenden weiblich sind, haben viele Patienten nach wie vor eine klare Vorstellung von der Person, die sie kompetent ärztlich behandeln soll. Hier geht es um ein Phänomen, das vielen Kolleginnen in ihrem Arbeitsalltag regelmäßig begegnet: Sexismus. Darunter versteht man die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts. Diese kann sich sowohl auf institutioneller Ebene äußern als auch durch Emotionen (Vorurteile) oder Verhaltensweisen.
In meinen ersten Wochen als Weiterbildungsassistentin in einer Klinik wurde meine Kollegin von einem Patienten mit den Worten „du nix Arzt, du Frau, du Klo putzen“ abgefertigt. Was man als Außenstehender vielleicht als skurrilen Einzelfall abtun könnte, erleben viele Ärztinnen in Deutschland auch nach Jahrzehnten an Berufserfahrung immer wieder – wenn auch meist nicht in dieser Deutlichkeit.
Während ich noch als Schülerin das Gefühl hatte, keinerlei Nachteile aufgrund meines Geschlechts zu erleben (im Gegenteil: mir kam es oft so vor, mich für gute Noten weniger anstrengen zu müssen als meine männlichen Mitschüler), änderte sich diese Wahrnehmung mit Beginn des Studiums drastisch. So erzählte ein Patient in den ersten Tagen meines Krankenpflegepraktikums bei der Chefarztvisite dem versammelten Kollegium, was er vom Körper der „neuen Krankenschwester“ hielt – nämlich nicht viel.
Ich denke, fast jede in der Patientenversorgung tätige Medizinerin kann solche Geschichten zuhauf berichten: Man macht täglich Visite bei einem Patienten, der sich im Verlauf beklagt, er hätte die ganze Woche keinen Arzt zu Gesicht bekommen. Oder aber man hat einen blutjungen Studenten dabei – dieser wird als „Herr Doktor“ angesprochen, man selbst ignoriert. Für alle, die noch nicht genug Beispiele haben: der Marburger Bund Saarland hat auf seiner Homepage einige Zitate gesammelt.
Darüber hinaus erleben Ärztinnen Sexismus nicht nur von Seiten der Patienten, auch Chefärzte stellen häufig lieber junge Männer ein – unter anderem, weil diese im Hinblick auf eine mögliche Familienplanung oft seltener oder kürzer ausfallen. Von sexistischen Kommentaren durch Kollegen und Vorgesetzte mal ganz zu schweigen.
Wenn man über Sexismus berichtet, muss leider auch gesagt werden, dass es nicht immer „nur“ bei diskriminierenden Kommentaren bleibt: so erleben Betroffene teilweise sexuelle Belästigung bis hin zu Gewalt.
Die wenigen Umfragen unter ärztlichem Personal zu erlebtem Sexismus beziehungsweise sexueller Belästigung bei der Arbeit sprechen eine eindeutige Sprache (auch DocCheck fragte dazu in der Community nach).
So berichteten in einer anonymen Onlinebefragung 76 % Ärztinnen und 62 % Ärzte der Charité Berlin von Situationen im Berufsleben, die sie als (sexuelle) Grenzverletzung einordneten. Am häufigsten wurden verbale Grenzüberschreitungen wie abwertende oder anzügliche Sprache genannt. In einer anderen Befragung, ebenfalls aus Deutschland von 2019, gab jeder vierte Mediziner an, in den vergangenen drei Jahren von Patienten sexuell belästigt worden zu sein. 7 % der Befragten bejahten, dass sie solch grenzüberschreitendes Verhalten von Kollegenseite erfahren haben. Ärztinnen waren drei Mal häufiger mit Übergriffen konfrontiert als ihre männlichen Kollegen.
Und obwohl Medizinerinnen ihre Kompetenz aufgrund ihres Geschlechts immer wieder (wenn auch teils subtil) abgesprochen wird, gibt es Studien, die beispielsweise zeigen, dass Chirurginnen weniger Komplikationen und Todesfälle verursachen als ihre männlichen Kollegen. Trotz der Relevanz dieser Forschung ist es fraglich, wie sinnvoll es ist, die Geschlechter weiter gegeneinander auszuspielen.
Außerhalb der medizinischen Fachwelt ist das Ausmaß der beschriebenen Problematik wenig bekannt. Aber auch bei medizinischem Personal fehlt teilweise das Bewusstsein für die Relevanz der Thematik. „Viele Ärzte marginalisieren die Vorkommnisse“ sagt die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB) Dr. Christiane Groß. Hier kommt der Begriff „moderner Sexismus“ ins Spiel: Darunter versteht man die Leugnung von Diskriminierung sowie die Ablehnung von Maßnahmen, welche soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern reduzieren sollen.
Ein offenerer Dialog ist immens wichtig, um Betroffenen zu helfen, ihre Gefühle ernst zu nehmen und adäquat zu reagieren. Darüber hinaus ist auch für eine effektive Prävention die gesellschaftliche Thematisierung unabdingbar.
Daneben muss der Ausbau spezialisierter Anlauf- und Beschwerdestellen vorangetrieben werden. Wir brauchen vor Ort qualifizierte Gleichstellungsbeauftragte, konkrete Maßnahmen und niedrigschwellige Informationsangebote für Betroffene. Bereits bestehende Angebote müssen bekannter gemacht werden. Beim Thema Gleichstellung hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan, aber im medizinischen Bereich (man schaue sich nur die Ober- und Chefarztbesetzungen an) scheint noch viel Luft nach oben.
Bildquelle: Julien Maculan, unsplash