Die Leitlinie zum afrikanischen Augenwurm liest sich wie ein Krimi mit Horror-Elementen. Erfahrt hier alles, was ihr zu dem gruseligen Parasiten wissen müsst und warum er doch nicht so harmlos ist, wie bisher angenommen.
Wie mag es wohl sein, wenn einem ein sieben Zentimeter langer Wurm durch das Auge wandert, genauer durch das subkonjunktivale Gewebe der Skleren oder Augenlider? Auch wenn der Wurm nur 0,5 Millimeter dick ist, dürfte der Horror gewaltig sein, den geschätzt 20 Millionen Menschen in West- und Zentralafrika dabei erleben. In manchen Zonen sind mehr als 40 % der Bevölkerung betroffen. Kaum zu glauben, aber der Wurm, der ansonsten im Unterhautgewebe lebt, hinterlässt kaum Spuren, wenn ihn die Wanderlust packt. Auch seine mitunter in Massen in die Blutbahn entlassenen, einen Viertel Millimeter langen Larven, die so genannten Mikrofilarien, stellen keine akute Bedrohung dar.
Deshalb gilt die Infektion mit Loa loa, auch Wanderfilarie oder Augenwurm genannt, bislang als harmlose Malaise – zu Unrecht, wie die S1-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Loiasis (Afrikanischer Augenwurm) betont. Denn neue Untersuchungen zeigen, dass vom Augenwurm Befallene nicht nur Beschwerden haben, sondern auch kürzer leben. Verantwortlich für die Leitlinie sind die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit sowie die Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Gesundheit.
So groß die globale Bedeutung des Augenwurms ist, so verschwindend ist sie für Deutschland, wo man die jährlich Betroffenen vermutlich an einer Hand abzählen kann. Es sind Migranten oder Reiseheimkehrer, die sich länger oder häufiger im afrikanischen Urwald oder der Savanne aufgehalten haben. Dass der Augenwurm so streng auf Afrika begrenzt ist, liegt an seinem Zwischenwirt, einer Bremse, die der Wurm als Kinderstube braucht. Wenn die Larve in der Bremse das erste und zweite Studium durchlaufen hat, kann sie bei der nächsten Blutmahlzeit der Bremse wieder Menschen befallen, dort erwachsen werden, sich paaren und viele Larven zeugen.
Auch wenn sich in Extremfällen mehr als 30.000 Larven in einem Milliliter Blut tummeln, kann der Mensch sich glücklich schätzen, der Endwirt zu sein. Denn üblicherweise gehen Parasiten mit ihrem Endwirt pfleglich um, schließlich wollen sie sich nicht ihr eigenes Grab schaufeln. Auch der Mensch tut offenbar gut daran, dem Wurm nicht den Garaus machen zu wollen, sondern als akzeptables Übel hinzunehmen. So hat die Bevölkerung in Endemiegebieten eine Toleranz entwickelt. Wenn dagegen das naive Immunsystem von Europäern zum Angriff bläst, richtet es mehr Schaden an als der Wurm.
Neben der typischen Wanderung und den so genannten Calabar-Schwellungen vor allem an den Handgelenken, macht sich der Augenwurm häufige durch unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Lähmungen und Zahnschmerzen bemerkbar. Auch seltene, schwere Komplikationen kommen vor, die vermutlich für die beobachtete Übersterblichkeit verantwortlich sind.
Trotz der Folgen eines Befalls ist die Therapie heikel. Ein „erfahrener Tropenmediziner“, wie die Leitlinie betont, soll die Risiken der Krankheit gegen die der Therapie und einer Neuinfektion abwägen. Eine Therapie kann nämlich böse enden, wenn das Immunsystem beim Kontakt mit in Massen abgetöteten Wurmlarven Amok läuft. Das bereits vor 100 Jahren entwickelte Diethylcarbamazin (DEC) tötet die Larven so schnell und gründlich, dass es nur bei relativ niedrigen Mikrofilarienkonzentrationen das Mittel der Wahl ist. Bei höheren Konzentrationen sollen erst eine Blutwäsche oder andere Mittel, die langsamer als DEC wirken, die Larvenanzahl reduzieren. Da DEC als einziges Mittel nachweislich auch erwachsene Würmer tötet, ist aber nur mit ihm eine Heilung möglich.
Noch ein Wort zur Augenwanderung des adulten Wurms: So gruselig sie ist, sie hat auch ihre praktische Seite. So heißt es in schönster Leitlinien-Prosa: „Die Würmer können während der Augenwanderung zumeist unkompliziert entfernt werden, was bei einer Infektion mit einem einzelnen Wurm die Erkrankung kausal heilen kann.“ Allerdings sollte man sich sputen, weil „der adulte Wurm innerhalb kurzer Zeit weitergewandert und dadurch nicht mehr auffindbar sein kann“.
Bildquelle: erstellt mit midjourney