Als Krebspatientin habe ich viele Sorgen, Termine und großen Verwaltungsaufwand. Ein Detail stört mich aber besonders: Für viele Ärzte bin ich kein Mensch, sondern nur eine Nummer.
Als ich als neue Patientin in die Onko-Praxis kam, überreichte mir die MFA neben dem Anamnesebogen und der Datenschutzerklärung einen weiteren Zettel. „Hier ist Ihre Nummer drauf.“ Die war auch nicht zu übersehen. In einer 32 Punkt großen Schrift füllte sie das halbe Blatt aus. „Wie Nummer?“, denke ich und gehe langsam zu einem Stuhl im Wartezimmer. Ich schaue mir das Papier genauer an und lese den folgenden Text:
Der Zettel schrie mich geradezu an. Ich fühlte mich unbehaglich. Der Inhalt löste leichte Magenschmerzen bei mir aus. Warum bloß? Ist doch eigentlich okay, so werden ja auch Fehler vermieden und ich möchte auch nicht unbedingt, dass mein Name durch die halbe Praxis gebrüllt wird, beruhigte ich meinen erhöhten Puls. Während ich dasaß, hatte ich auch nicht mitbekommen, dass irgendjemand mit einer Nummer aufgerufen worden war.
Während ich alle Bögen ausfüllte und darauf wartete, aufgerufen zu werden, schaute ich immer wieder auf den Zettel mit der Nummer. Bei dieser Form der Patientenverwaltung gibt es für mich genau zwei Probleme:
Jetzt stellte ich mir also vor, dass genau dieser Patient diesen Zettel bekommen hätte. Ich denke nicht, dass das seine Einstellung verändert hätte, sondern im Gegenteil. Es wäre eine Bestätigung seines Vorurteils gewesen, das – so habe ich festgestellt – in einigen Köpfen steckt. Schade.
Ergo: Wenn man sich bereits als Nummer fühlt, sollte man sich nicht auch noch als eine identifizieren müssen.
Nachdem ich mich ein wenig bei befreundeten Ärzten und Krebspatienten umgehört hatte, kamen noch andere Anmeldeverfahren zum Vorschein. „Unsere Patienten sind mit Bild in der Kartei”, erklärte mir eine Freundin. Eine andere erzählte: „Ich musste letztens meine Nummer eingeben und dann stand mein Name mit großen Lettern auf einem Display im Wartebereich. Ich und die anderen Wartenden konnten verfolgen, wann ich dran war und wie es für mich in welcher Abteilung weiter ging.” Und der Knaller: „Bei mir hatte sich ein Zahlendreher eingeschlichen. Das war ein Schreck, als schnell klar wurde, dass ich nicht Frau Hinz (79 Jahre alt), sondern Frau Franz (47 Jahre alt) war.”
Ehrlich? Nicht euer Ernst! Anscheinend ist das hier und dort schon lange gelebte Praxis.
Ein positives Beispiel, das alles sehr elegant umschiffend, fand ich folgende Variante: „Wer hat denn am 30. Juni Geburtstag?”, fragte der Gynäkologe in einer Berliner Klinik in den Warteraum. Ich erhob mich und musste lächeln. Mal sehen, ob noch jemand aufsteht, dachte ich bei mir. Nein, ich war die einzige. Mein Geburtstag ist auch eine Zahl, ich weiß. Auch hier könnte es Dopplungen geben, wie übrigens auch bei Namen – auch das habe ich schon erlebt, keine Frage. Trotzdem fand ich das äußerst charmant.
Natürlich weiß ich, dass meinem Namen grundsätzlich eine Nummer hinterlegt ist. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist die Botschaft, die damit transportiert wird – die Distanz zum Patienten, auch wenn das vielleicht so nicht gewollt ist und eine völlig pragmatische Überlegung dahintersteckt. Die Wirkung macht den Unterschied, gerade bei einem Erstgespräch.
Als ich meinen Behandler fragte, warum denn das so gelöst würde, erhielt ich die Antwort: Das hat datenschutzrechtliche Gründe. Okay, wenn in Deutschland etwas argumentativ untermauert werden soll, dann bemühen wir gerne gleich den Datenschutz oder die Versicherung. Ich hakte nach.
„Denken Sie wirklich, dass die MFA am Telefon mit meiner Nummer mit mir spricht, um einen Termin abzustimmen? Das ist doch gar nicht durchzuhalten. Jede, jeder hier wird mit Namen aufgerufen. Warum also so ein Zettel?“ Der Arzt schaute verlegen auf den Boden. „Ich wollte das ja auch nicht, aber meine Kollegin war so von dieser Lösung überzeugt. Ich glaube, wir überdenken das noch mal.“
Einige Wochen später kam ich wieder in die Praxis. „Guten Morgen, nehmen Sie Platz. Bevor wir die Laborwerte besprechen, möchte ich Ihnen sagen, dass mich unser Gespräch nicht losgelassen hat. Wir haben das noch mal im Kollegium besprochen. Die Nummern behalten wir bei, aber nur intern für uns. Den Zettel haben wir abgeschafft.”
Als Nummer verwaltet, aber als Mensch behandelt. So darf das gerne sein.
Schön ist ja, wenn die Daten alle in der von mir gewählten Praxis bleiben. So oder so. Allerdings frage ich mich in dem Zusammenhang auch: Was ist eigentlich mit Services wie z. B. doctolib? Baut sich da gerade eine unter dem Radar der DSGVO fliegende Datenkrake auf, die allein aus der Auswahl der in Anspruch genommenen Fachärzte wertvolle Erkenntnisse gewinnt und hortet? Oder sogar weitergibt? Wer weiß das schon – und wo führt das hin?
Mehr von der Autorin gibt es hier: Das Zellenkarussell.
Bildquelle: Melanie Keppler, unsplash