Viele Kopfschmerz-Patienten, die Medikamente übergebrauchen, scheuen den Entzug – aus Angst vor weiteren Schmerzen. Nun gibt es eine neue Therapie, die sowohl die Schmerzen als auch die Abhängigkeit beheben kann.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung
Kopfschmerzen durch den Übergebrauch von Schmerzmitteln, auch als „Medication Overuse Headache“ (MOH) bekannt, stellen ein erhebliches Problem dar, sowohl für die Betroffenen als auch für das Gesundheitssystem. Es wird geschätzt, dass etwa 0,5–2 % der Bevölkerung darunter leidet – darunter mehr Frauen als Männer. Patienten, die regelmäßig Schmerz- und Migränemittel einnehmen, laufen Gefahr, ihre Kopfschmerzen zu verschlimmern, anstatt sie zu lindern. Immer wieder steht die Überlegung im Raum, ob es sinnvoll ist, vor einer prophylaktischen Therapie mit CGRP-Antikörpern einen Entzug der Akutmedikation durchzuführen.
In der Leitlinie der Europäischen Akademie für Neurologie zur Behandlung von Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch liest man: „Es bleibt die Unsicherheit, ob vorbeugende Medikamente früh oder spät hinzugefügt werden sollten, und dieses Problem wartet auf weitere Untersuchungen.” Auch in der deutschen Leitlinie Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln (Medication Overuse Headache = MOH) steht der Satz: „Valide Studien, ob zuvor eine Medikamentenpause bei MOH durchgeführt werden muss, bevor diese Medikamente eingesetzt werden, gibt es nicht.” Dies ist nun in einer aktuellen Studie untersucht worden.
In Apotheken erleben wir häufig, dass Patienten sich davor scheuen, die Behandlung gegen MOH zu beginnen, wenn sie ihre gewohnten Schmerzmittel vorab absetzen müssen. Die Angst vor den möglicherweise intensiven Kopfschmerzen, die während eines Entzugs auftreten können, hält so manchen davon ab, eine solche Therapie überhaupt in Betracht zu ziehen. Diese Bedenken sind verständlich, insbesondere bei Patienten, die schon lange unter chronischen Kopfschmerzen leiden. Doch diese Ängste könnten bald der Vergangenheit angehören, denn die retrospektive Studie am Universitätsklinikum Essen eröffnet eine weniger belastende Behandlungsoption für die Betroffenen.
In der Studie wurden 291 Patienten mit Migräne untersucht, die entweder episodische oder chronische Kopfschmerzen hatten. Ein Teil der Patienten litt zusätzlich unter MOH. Alle Teilnehmer begannen eine prophylaktische Therapie mit einem der CGRP-Antikörper – Erenumab, Fremanezumab oder Galcanezumab – ohne vorherige Entgiftung von ihren Akutmedikamenten.
Die Ergebnisse waren vielversprechend: In allen Patientengruppen, unabhängig vom Vorhandensein eines MOH, konnte die Anzahl der monatlichen Kopfschmerztage, Migränetage und Tage mit Akutmedikation signifikant reduziert werden. Besonders bemerkenswert ist, dass bei 60,6 % der Patienten mit chronischer Migräne und MOH am Ende der Studie kein Medikamentenübergebrauch mehr diagnostiziert werden konnte. Bei den Patienten mit episodischer Migräne war dieser Effekt sogar noch deutlicher: 88,6 % der Betroffenen konnten ihre Kopfschmerzen erfolgreich in den Griff bekommen, ohne zuvor auf ihre Schmerzmittel verzichten zu müssen.
Diese Erkenntnisse sind besonders relevant für die Behandlung in der Praxis. Die Möglichkeit, eine Antikörpertherapie ohne vorherigen Entzug durchzuführen, könnte für viele Patienten den entscheidenden Anstoß geben, eine Behandlung zu beginnen, die sie sonst möglicherweise gemieden hätten. Insbesondere in Apotheken können wir diese neue Behandlungsoption den Patienten nahebringen und sie ermutigen, sich trotz ihrer Ängste an einen Kopfschmerzspezialisten zu wenden, wenn sich ein Übergebrauch von (Kopf-)Schmerzmitteln abzeichnet. Für viele Betroffene bedeutet dies, dass sie nicht nur von den Schmerzen, sondern auch von der belastenden Vorstellung eines Entzugs entlastet werden. Stattdessen könnte die Therapie direkt mit der prophylaktischen Gabe der CGRP-Antikörper starten, was in vielen Fällen zu einer signifikanten Verbesserung führt.
Das pharmazeutische Personal der Apotheke kann auch mit einer allgemeinen Beratung ihrer gefährdeten Patienten einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie die Kriterien für MOH kennen und bei der Abgabe von Schmerzmitteln an die Kunden berücksichtigen und aufklären. Dabei werden folgende zentrale Kriterien berücksichtigt:
Das Ziel einer umfassenden pharmazeutischen Beratung bei der Abgabe von Medikamenten ist es immer, die Lebensqualität der Patienten nachhaltig zu verbessern – und manchmal bedeutet das auch, ihnen die Angst vor dem ersten Schritt zu nehmen.
Medication Overuse Headache (MOH): Ein übermäßiger Gebrauch von Schmerzmitteln zur Behandlung von Kopfschmerzen kann zu verstärkten Kopfschmerzen führen, was besonders bei chronischen Kopfschmerzpatienten ein Problem darstellt. Etwa 0,5–2 % der Bevölkerung sind betroffen, darunter mehr Frauen als Männer.
Neue Therapieansätze ohne Entzug: Eine Studie am Universitätsklinikum Essen zeigt, dass eine prophylaktische Behandlung mit CGRP-Antikörpern (z. B. Erenumab) ohne vorherigen Entzug der Akutmedikamente erfolgreich sein kann.
Relevanz für die Praxis: Diese neue Therapieoption könnte Patienten helfen, die Angst vor dem Entzug zu überwinden und eine wirksame Behandlung zu beginnen. Apotheken können hierbei eine wichtige Rolle spielen, indem sie Patienten über die neue Therapieoption aufklären und sie ermutigen, eine Behandlung zu beginnen.
Bildquelle: Raimond Klavins, Unsplash